Freitag, 28. Oktober 2016

Von Clowns, Social Bots und der dringenden Notwendigkeit der Medienkritik

Unheimlich aktuell, doch sicher ganz anders gedacht: Félix Nadars um 1855 inszenierte Fotografie von einem Clown, die sich heute im Pariser Musée d´Orsay befindet. © RMN-Grand Palais (Musée d'Orsay) / Hervé Lewandowski

Kontextwissen, Propaganda, Manipulation, Emotionalisierung und Skandalisierung in den sozialen Medien sind große, brisante Themen. Immer deutlicher wird, dass die Mechanismen und die Macht der dank des www omnipräsenten (bewegten) Bilder uns vor Herausforderungen stellen, denen wir als Individuen und Gesellschaften (noch) nicht gewachsen sind. 

Daher widmen wir uns an dieser Stelle diesem Phänomen anhand von zwei recht aktuellen Beispielen. Das hier im Ausschnitt gezeigte, vor rund 160 Jahren von dem französischen Multitalent und Fotografen Félix Nadar geschaffene Bild eines Clowns, der durch eine Tür schreitet, dürfte aktuell wohl recht umstritten rezipiert werden. Warum eigentlich?

Seit Wochen kursieren in den, zunächst vor allem US-amerikanischen, sozialen Medien Gerüchte, natürlich belegt mit Fotos und Videos, die Angst und Schrecken vor den sogenannten bösen Clowns verbreiten. Steter Tropfen höhlt den Stein. Die Gruselgeschichten sind so erfolgreich, dass sich inzwischen sogar deutsche Minister zum diesem Thema äußern und Kinder und Jugendliche Angst vor Halloween haben.

Steile Karriere: Vom Teenie-Gerücht zur offiziellen Reaktion des Staates 

Tatsache ist, dass Nadars Clown, also seine inszenierte Fotografie von 1855, die sich heute im Pariser Musée d´Orsay befindet, sicher nichts mit den aus US-amerikanischen Horrorfilmclowns des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu tun hat, die gerade in den sozialen Medien wiederauferstehen. Und zum Teil treiben 'die' bösen Clowns, dank wirrer Nachahmer, die von den Berichten und Bildern im Netz inspiriert oder besser angesteckt wurden, nun also in der realen Welt da draußen ihr Unwesen. Die ehemals neuen, heute vor allem sozialen Medien genannten Techniken verändern uns – und damit unsere Welt.

Clowns und freigelassene Programme töten Menschen 

Dies ist leider keine Zuspitzung. Wir wechseln das Thema, doch das Sorgeniveau bleibt hoch. Denn die medienkritischen Analysen des aktuellen US-Wahlkampfes sind erschreckend. Sie machen deutlich, dass sich neben den probaten, in Jahrtausenden etablierten Mitteln, Argumente, Rhetorik, Lügen und Intrigen, eine neue, für das 21. Jahrhundert typische Technik zunehmend stark in den politischen Wahlkampf der Demokratien einmischt.

Fakt ist: Propagandasoftware dominiert den US-Wahlkampf 

Die bereits im letzten US-Wahlkampf bedeutenden sozialen Medien sind zum Schlachtplatz für tausende Propagandaroboter geworden, sogenannte clevere Propagandasoftware. Aber wer ist angesichts der Dominanz und Omnipräsenz der sozialen Medien und der Perfektion heutiger Propaganda-Bots, noch in der Lage rasch zu entscheiden, ob ein Kommentar von einem Menschen oder von einem Roboter stammt? Der Turing-Test lässt grüßen. Experten sprechen erstmalig mehrheitlich davon, dass die US-Wahl in den sozialen Medien gewonnen werden könnte.

...Roboter kommentieren Roboter – Millionen von Social-Bots...

Auch in Deutschland ist dieses Thema nun angekommen. Ausgerechnet die AfD - wen wundert’s angesichts der offensichtlichen Parallelen zu Trump? - kündigt nun an, im kommenden Bundestagswahlkampf 2017 Propaganda-Bots einsetzen zu wollen. Die Situation ähnelt einem Science-Fiction-Plot bzw. klingt wie ein Zitat aus der Terminator-Reihe: Aktuell greift eine Technologie um sich, die vor wenigen Jahren von US-amerikanischen und russischen Militärs für die künftigen, inzwischen jedoch mehr oder weniger verborgen stattfindenden Cyber-Kriege entwickelt wurden.

...Medienkritik und der kluge Verzicht...

Wir wollen an dieser Stelle keine Partei ergreifen, Bots sind Bots. Aber wenn diese Programme bereits jetzt so clever sind, dass sie kaum bzw. nur schwer als Bots zu erkennen sind, scheint uns ein Umdenken bzw. eine gesteigerte Skepsis gegenüber dem eigenen Informationskonsum und auch der Produktion, also der Reaktion auf Inhalte aus den sogenannten Medien nahe zu liegen. Stichwort Rezeptionstheorie und -kritik. Hiermit wollen wir an dieser Stelle enden und kommen an den Anfang zurück.

Fazit und Appell 

Die einzige Reaktion auf den Hype, besser die Hysterie um die fiesen Clowns, die Kindern Halloween vermaledeit, und die Reaktionen auf die von Social Bots generierten fraglichen Kommentare kann eigentlich nur Skepsis, Medienkritik und -verzicht sein. Auch wenn künftige, softwarebasierte Verfahren Bots schneller entlarven können, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass dies nur ein technologisches Katz-und-Maus-Spiel wird.

Der kanadische Soziologe Phil Howard erforscht seit Jahren die Verwendung von Social Bots. Das einzige, so Howard, was wir aktuell tun können ist: Mehr Aufklärung über den Umgang mit und in den sozialen Medien. Diskutieren sie mit ihren Freunden, erklären sie ihnen, was diese Programme können. Vielleicht sogar face-to-face…

Service und Links
- Hintergrund: Die Macht der Social Bots im US-Wahlkampf, hier
- Analyse: Stimmungsmacher oder intelligente Helfer? hier
- Stephanie Rohde im Gespräch mit Peter Welchering über die Software, hier
- Der Spiegel über die Verzerrung des US-Wahlkampfes, hier
- Benedikt Schulz über den Kampf gegen die Propaganda-Software, hier
- die Linke ruft zum Verzicht / Verbot von Social Bots im Wahlkampf auf, hier
- Hintergrund: Informationen über Felix Nadar und das Clown-Thema, hier
- kein Scherz, der NRW-Justizminister droht Clowns, hier
- mehr über das Horroclownphänomen, hier
- vernetzte Welt, der Cyberkrieg zu Hause, hier 
- verwandtes Thema: Bei den Nachrichtenangenturen ziehen die Text-Roboter ein, hier

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