Sonntag, 23. Oktober 2016

Ausstellungskritik: Alle wollen wohnen. Gerecht. Sozial. Bezahlbar – nur noch bis 30. Oktober in Köln – ab Juli 2017 dann in Essen

Ein Screenshot der Website für die Ausstellung 'Alle wollen wohnen. Gerecht. Sozial. Bezahlbar' des M:AI - Museums für Architektur und Ingenieurkunst NRW © M:AI - Museum für Architektur und Ingenieurkunst NRW

Dank der jeden Donnerstag angebotenen, mit viel Engagement, Expertise und Humor vorgetragenen Führung haben wir eine guten Einstieg in die Ausstellung zum Thema Soziales Bauen gehabt, die passend inmitten der größten Baustelle für Wohnungen in Köln zu sehen ist.

Sehr schön auch die Anekdote, der zufolge der auf der Baustelle vertretene Bauherr GAG just einen Tag vor Ausstellungsbeginn ein riesiges Werbeplakat anbringen ließ, so dass die Ausstellungsbesucher durch das extra für die Ausstellung geschaffene Panoramafenster weniger von der Baustelle, dafür aber eine vermeintlich zufriedene GAG-Kundin sehen können.

Der perfekte Ausstellungsort und der kölsche Klüngel


Auch spannend der Hinweis, dass die nun sukzessive realisierte Bebauung auf dem Gelände der Clouth-Fabrik heute – dank der grassierenden Wohnungsnot – noch viel dichter ausgefallen würde. Zum Glück für Käufer und künftige Mieter sind die Clouth-Pläne schon ein paar Jahre alt. Denn Köln boomt, bis 2030 wird sie, so die hehr vorsichtige Prognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung, wird die Domstadt um dreißigtausend Einwohner wachsen.
 

6.000 neue Wohnungen werden daher jedes Jahr gebraucht und derzeit werden nur - oder besser immerhin schon – rund 4000 Baugenehmigungen pro Jahr erteilt. Der Blick durch das eben erwähnte Ausstellungspanoramafenster zeigt einen Ausschnitt des 14,5 Hektar großen Areals der ehemaligen Rheinischen Gummiwarenfabrik Franz Clouth. Bis 2019 entsteht hier ein neues Veedel – das Kölsche Wort für Stadteil oder Viertel - mit elftausend Wohnungen. Die ersten 150 sind bereits bezogen, 100 weitere sind gerade eben bezugsfertig geworden. Es ist das größte innerstädtische Entwicklungsgebiet der Stadt auf dem bis 2019 1.100 Wohnungen entstehen - also nicht 11.000 wie F.A.Z. Autor Rossmann schreibt.

Die Eigentümerquote in Deutschland lag 2011 bei 45,9%

Um die Ausstellung und das große Thema Soziales Bauen zu strukturieren, haben die Ausstellungsmacher, das M:AI – Museum für Architektur und Ingenieurkunst NRW – Team, 5 Themenkomplexe geschaffen, die Soziales Bauen von möglichst verschiedenen Perspektiven her beleuchtet. Gemeinsam mit dem Düsseldorfer Büro für Ausstellungsgestaltung und Grafik nowakteufelknyrim wurden 5 polymorphe Räume geschaffen, die sich auf die Urform des Hauses – das berühmte fertig ist das Nikolaushaus – beziehen und sich jeweils auf einen Themenkomplex konzentrieren.

Das Recht auf Wohnen und der vorbildliche Wohnungsbau der 1920er Jahre


Die Schlagwörter für die 5 Themen sind 1. ‚Küche Diele Bad‘, hier werden Wohntypologien als Spiegel gesellschaftlicher Prozesse vorgestellt. 2. ‚Die Akteure‘, also die Frage, wer baut eigentlich? Hier werden deutschlandspezifische Informationen zum Mietmarkt und die klassischen Akteure wie Wohnungsgenossenschaften, private Investoren, Genossenschaften und Baugruppen vorgestellt. Der 3. Komplex widmet sich dem ‚Recht auf Wohnen‘, hier werden die zahlreichen, umstrittenen Bauvorschriften und Rahmenbedingungen erläutert, die sich aus der staatlichen Förderung ergeben. 
‚Das Haus‘ wird der 4. Komplex genannt, hier werden verschiedenen Architektur-Typologien vorgestellt, die sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelten und recht aktuelle Beispiele des geförderten Wohnungsbaus. Der 5. Komplex widmet sich dem Thema unter dem Schlagwort ‚Wohngebiete‘ und skizziert den Wohnungsbau der letzten 120 Jahre als eine Reihe von Antworten auf die gesellschaftlichen Herausforderungen.

Die Dreiteilung des deutschen Wohnungsmarktes: private Wohnungsunternehmen (36%), kommunale Wohnungsunternehmen (29%) und Genossenschaften (31%)


Viele fragen sich natürlich – so wie F.A.Z.-Rezensent Andreas Rossmann in seinem Artikel – warum kommt die aktuelle Flüchtlingsdebatte nicht vor? Rossmann beklagt dies und schreibt, dass auch ‚Container, Leicht-, Modul- und Plattenbau’ nicht vorkommen. Stimmt aber nicht. Natürlich kommt der Plattenbau – in West und Ost – und auch das modulare Bauen vor.

Wir haben einen der Kuratoren der Ausstellung – Peter Köddermann – gefragt, wo denn die Flüchtlinge als ein Aspekt der Wohnungsnot abgebildet seien. Er betonte, dass das M:AI sich bewusst gegen eine explizite Thematisierung der Flüchtlinge entschieden habe, denn deren Interessen seien letztlich denen der bereits hier lebenden Bevölkerung sehr nahe. Außerdem hat der Deutsche Pavillon der letzten Architektur-Biennale in Venedig dies zum Thema gewählt.

Und dass es vor allem in den Großstädten an bezahlbarem Wohnraum mangelt, war schon vor der sogenannten Krise ein Problem. In diesem Sinne argumentiert auch Rossmann in der F.A.Z: ‚Die Flüchtlinge haben es allenfalls größer gemacht - und das öffentliche Bewusstsein dafür geschärft. Ihre Wohnbedürfnisse sind keine grundsätzlich anderen als die der weniger finanzkräftigen Bevölkerungsschichten. Doch erst die Debatte über ihre Aufnahme hat das Thema ganz oben auf die politische Agenda gesetzt.‘
 

Fazit 
   
Die Ausstellung in der Halle 18 auf dem Gelände der Clouth-Fabrik erlaubt einen umfassenden Überblick, denn Ziel ist es, den Aspekt des Sozialen Bauens möglichst aktuell von vielen Seiten zu beleuchten. Das gelingt in einer spannenden Ausstellungsarchitektur, mit vielen anschaulichen Modellen und interaktiven Elementen und ansprechendem Ausstellungsdesign. 

Die durchaus komplexen Themen werden anschaulich vermittelt, wer sich die Zeit nimmt, kann durchaus ein paar Stunden mit dem Studium der Texte und Graphiken verbringen. Doch da sich die Ausstellung in einer alten, ungeheizten Fabrikhalle befindet, empfiehlt es sich, diese warm gekleidet zu besuchen.

Experten werden sicher vieles vermissen, doch da sie nicht die Zielgruppe sind, kann dem M:AI zu dieser vielseitigen Ausstellung durchaus gratuliert werden. Schade nur, dass die Ausstellung schon Ende Oktober eingepackt wird, um dann im Sommer nächsten Jahres in Essen wieder installiert zu werden. Mit zielgruppengerechter und nachhaltiger Werbung für das Projekt, könnte die Ausstellung sicher viele Interessierte auf die aktuell größte innerstädtische Baustelle Kölns locken.

 

Service
Alle wollen wohnen. Gerecht. Sozial. Bezahlbar - bis 30. Oktober
Clouth-Gelände an der Xantenerstraße zwischen Kalkarer Str. und Kretzerstraß
50733 Köln
- Öffnungszeiten: Di – So von 11 – 18 Uhr und donnerstags bis 19 Uhr  

- lobenswert: Eintritt frei und kostenlose Führungen, immer donnerstags, 18 Uhr, nach Anmeldung unter info@mai.nrw.de
 

Links 
- die Website zur Ausstellung Alle wollen wohnen. Gerecht. Sozial. Bezahlbar, hier
- die F.A.Z.-Rezension der Ausstellung von Andreas Rossmann, hier
- was man eben soziales Bauen nennt. Friedrich Achleitner über die Architektin Grete Schütte-Lihotzky, hier
- Soziales Bauen in Mexiko, Baunetz Woche #459, hier
- Modernes und soziales Bauen in Afrika - Afritecture, Ausstellung des Münchner Architekturmuseums (2014), hier

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