Montag, 17. Oktober 2016

Opfer: Viktimologie und Viktimisierung

Opferrituale finden sich in vielen menschlichen Kulturen, bis in die Gegenwart. Hier sehen wir die Segnung der Opfer von Kain und Abel. Nur ein winziges Detail der fantastischen Mosaike in der italienischen Kathedrale Otranto, die um 1165 geschaffen wurden. Siehe dazu etwa den Artikel von Gerold Späth, hier 

Nicht erst durch das heutige Richtfest des umstrittenen Deutschlandhauses der Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung, das bereits vor der ersten Ausstellung mehrere Führungspersonen verschlissen hat, ist das Opfer-Thema aktuell. 

 
Die Entgleisungen in den sogenannten sozialen Medien und deren inflationäre Opferrhetorik macht deutlich, dass es sich um ein aktuelles, soziales und politisches Thema handelt, das sich durch eine kulturhistorische Untersuchung sicherlich differenzierter betrachten und damit auch in seiner aktuellen Dynamik besser verstehen lässt.

Die Macht der Bilder – Tendenzen der Viktimisierung
 

Flucht und Vertreibung, sexuelle Diskriminierung und Missbrauch, körperliche und psychische Gewalt wie Mobbing. Im Kontext all dieser Phänomene taucht meist das klassische Begriffspaar Opfer/Täter auf. Doch der Philosoph Slavoj Žižek Liebe Dein Symptom wie Dich selbst! Jacques Lacans Psychoanalyse und die Medien beschrieb den Prozess der Viktimisierung bereits 1991 als ein gesellschaftliches Identitätsbildungsmerkmal der Postmoderne.

Von der unheimlichen Omnipräsenz der Opferrolle
 

Žižek zufolge neigt das postmoderne Subjekt zu einem narzisstischen Selbstverhältnis, es betone seine Beschädigtheit und stelle sich gern in einer selbstgewählten Opferrolle dar. Pegida und Co. lassen grüßen und es scheint, als sei der Žižeksche Opferbegriff geeignet, um die Populismus-Krise und viele mit ihr verbundene Phänomene in den Staaten Europas und anderen demokratischen Gesellschaften zu analysieren.

Liebe Dein Symptom wie Dich selbst!
 

Die Autoren Andrea und Justin Westhoff befragten Soziologen, Historiker und Kriminologen zum Opfer-Thema und berichten von der recht jungen, der Kriminologie zugeordneten Disziplin Viktimologie. Entstanden ist ein – je nach Vorliebe – lesens- und hörenswerter Bericht, den wir an dieser Stelle empfehlen möchten.
 

Service und Links
- Viktimologie - Andrea und Justin Westhoff über aktuelle Tendenzen in der Opferforschung, hier
- Pieke Biermann über Mithu Sanyals neues Buch ‚Vergewaltigung – Aspekte eines Verbrechens‘ vor, hier
- Vivien Leue über die Schmerzensgeldklagen des ehemaligen Wettermoderators Jörg Kachelmann, hier
- Christiane Habermalz berichtete über das Richtfest der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, hier
- Margot Litten über die Ablehnung, die Vertriebene aus dem Osten in Westdeutschland erlebten, hier
- Britta Fecke im Gespräch mit dem Historiker Stephan Scholz und die Frage, welche Rolle die Erinnerung an Flucht und Vertreibung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg für die aktuelle Flüchtlingskrise haben kann, hier
- Hintergrund, das Buch Slavoj Žižek Liebe Dein Symptom wie Dich selbst! Jacques Lacans Psychoanalyse und die Medien, hier
- Nina Ort rezensiert Slavoj Žižek Liebe Dein Symptom wie Dich selbst!, hier
- Opfer im Köblers Deutsches Etymologisches Wörterbuch, hier 

- weitere kunstlich-Beiträge der Rubrik Wörter, hier

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