Montag, 3. Mai 2010

Skandal, Zensur und die alte Frage: Was darf Kunst?

Auch so konnte man zu Beginn der 1990er noch provozieren. Fotocollage/Ausschnitt aus: Kissing nun von Oliviero Toscani (1992) © Oliviero Toscani

Angesichts der erhitzten Debatten um Papst und Kirche scheint ein kleiner Exkurs über die Kunst der Provokation angebracht.
Hier vorab ein paar Motive zur Einstimmung, aber Achtung!
Empfindsame Leser sollten nicht weiterscrollen, denn wegschauen hilft doch...

Das skandalöse Cover des Satiremagazins Titanic vom April 2010 © Titanic

2006 sorgte die Cartoon-Serie Popetown für Aufsehen. Doch eigentlich ein das alles ein alter Hut, könnte man denken, wenn man sich etwa an einen Kunstskandal der ausgehenden 1920er Jahre erinnert:

George Grosz sorgte mit seinen den deutschen Militarismus thematisierenden Grafiken für einen der berühmtesten Justizfälle der Weimarer Republik. Eine von ihnen zeigt einen mit Gasmaske und Armeestiefeln bekleideten Jesus am Kreuz. Darunter schrieb Grosz die unheilige Verbindung von Kirche und Krieg betreffend: ‚Halt dein Maul und diene weiter‘. Der Strafprozess dauerte drei Jahre. Grosz musste durch drei Gerichtsinstanzen, um schließlich einen Freispruch zu erwirken. Bereits 1924 wurde der Künstler wegen der 'Verletzung der öffentlichen Moral' angeklagt und verurteilt (siehe dazu ein Kalenderblatt von Deutschlandfunk).

Ausschnitt aus: George Grosz: Maul halten und weiter dienen, Zeichnung 1927. Das Motiv ist Teil einer Serie und wurde häufig variiert. © VG Bild-Kunst

Wenige Jahre später provozierte Max Ernst mit seiner unheiligen Jungfrau, die dem Jesuskind so heftig den Hintern versohlt, dass dessen Heiligenschein zu Boden fällt. Neben einer kunsthistorischen Interpretation ist auch der Vergleich einer philosophischen (z. B. die von Dr. Joachim Kahl) mit einer theologischen (z. B. die von Pfarrer Peter Steinle) Lesart des Werkes spannend.

Von der Gasmaske zu Bananen und Fröschen

Nähern wir uns der Gegenwart: Also zeitgenössische Kunst, die abhängig von manchen Rezipienten als Blasphemie verstanden wird. Wen wundert's, man muss nicht lange Suchen...

Thomas Baumgärtel: Banane am Kreuz (1985). Das Werk ist noch als Edition erhältlich. Nach der ersten Kreuzigung einer Banane in einem Katholischen Krankenhaus im Jahre 1983 schuf der Künstler 1985 eine Installation mit 12 Kreuzen.
© Thomas Baumgärtel

Wenige Jahre nach dem Kölner Sprayer kreuzigte Martin Kippenberger - der alte Punk - statt der postmodernen Paradiesfrucht dann einen Frosch. Das Werk stiftete zuletzt in Bozen Unruhe, worüber die Presse ausführlich und genüsslich berichtete (siehe sueddeutsche.de, taz oder welt.de). Denn wie es der Teufel wollte, kam just zum Zeitpunkt der Diskussion um den Blasphemie-Frosch der Papst nach Bozen.

Detailaufnahme, Martin Kippenberger: Zuerst die Füsse (1990)
©
Martin Kippenberger, Museion und VG Bild-Kunst

Kirche und Politik in trauter Harmonie?

Nähern wir uns der Gegenwart und wenden den Blick ein wenig von religionsspezifischer Zensur ab auf jene in der (Kunst-)Politik. Auch in Dresden, wo man sich den Verlust des Weltkulturerbe-Titel leisten kann, ist jüngst ein Skandal um die Freiheit der Kunst beendet worden: Die Künstlerin Erika Lust portraitierte nach einer - wie sie sagt - spontanen Eingebung beim Radeln die Dresdner Bürgermeisterin nackt vor einer riesigen, düster und futuristisch zugleich anmutenden Brücke.

Der Titel des Bildes von Lust ist eindeutig gewählt: Frau Orosz - so der Name der Bürgermeisterin - wirbt für das Welterbe nannte die Künstlerin das Werk und landete damit prompt vor Gericht. Doch entgegen der zunächst entschlossenen Drohung der Politikerin, derzufolge sie notfalls auch bis vor das Verfassungsgericht ziehen wolle, gab sie nun klein bei (siehe dazu die Sächsische Zeitung online und der Spiegel 15/2010, S. 46).

Thomas Baumgärtel: Banane am Kreuz (2004, Acryl auf Leinwand)
©
Thomas Baumgärtel

Solidarität bitte! Z wie Zensur oder ZDF?

Und damit keine Missverständnisse entstehen, muss im Sinne der Solidarität auch noch dieses Bild in diesem Kontext erwähnt werden. Sein Schöpfer Kurt Westergaard hat einen erneuten Anschlag auf sein Leben zu Beginn des Jahres nur knapp überlebt und scheint jetzt auch noch - wie jüngst etwa Der Spiegel berichtete - mit Selbstzensur von Seiten des ZDFs konfrontiert.

© Kurt Westergaard und Jyllands Posten

Nachdem alles ewig für einen Auftritt des Künstlers in einer ZDF-Show vorbereitet wurde, kam plötzlich eine Absage vom Sender, die Erik Guldager - der ebenfalls vom ZDF eingeladene Galerist Westergaards - wie folgt kommentierte: 'We have never experienced anything like that before. Sad to see the way islamic groups run your TV-station!' Im Magazin Andruck berichtete Deutschlandfunk (10. Mai) von einem spannenden Buch, das die Hintergründe der Reaktionen auf die Karikaturen aufzeigt: Jytte Klausen: -The Cartoons that shook the world

Aprospos ZDF und Zensur: War da nicht schon einmal was, gab es nicht schon vor Monaten eine ähnlich peinliche Aktion? Nein, nicht der Kellner war es, sondern der Koch und der Intendant, also der Fall Nikolaus Bender. Letzterer war mal Chefredakteur beim ZDF, nur leider gilt er als eigensinnig und kritisch. Das passte den Unionspolitikern um Hessens Ministerpräsidenten Roland Koch nicht und so musste Brender gehen. Zyniker betonen die unheimliche Koinzidenz und meinen 'von wegen Zufall.' Sie sehen einen direkten Zusammenhang im Sinne von Berlusconi lässt grüßen. Denn aufmerksamen ZDF-Beobachtern dürfte die unheimliche Verbindung zwischen dem Erscheinen der Berlusconi-Erotessa Michelle Hunziker, die seit Herst 2009 Thomas Gottschalk mit Leib und Seele bei Wetten dass? zur Seite steht, und dem Verschwinden Benders nicht entgangen sein.

Verkehrte Welt? Mut in Moskau

In Moskau dagegen zeigte man - obwohl Russland ja nicht gerade im Ruf steht ein Land der Kunst- und Pressefreiheit zu sein - 2008 unter dem Titel Verbotene Kunst Werke, die zuvor der Selbstzensur russischer Museen zum Opfer gefallen waren. Der Kurator für zeitgenössische Kunst an der Moskauer Tretjakow-Galerie Andrej Jerofejew zeigte trotz aller vorhersehbaren Risiken Bilder von kopulierenden Sicherheitskräften und Nackten unter Ölduschen (siehe dazu etwa die Besprechung der art.de).

Ein Werk der russischen Künstlergruppe Blaue Nasen: Tschetschenische Marilyn
© Blaue Nasen und Tretjakow-Galerie Moskau

Manche der gezeigten Kunstwerke waren so gefährlich, dass sie - Duchamp lässt grüßen - hinter Gucklöchern präsentiert werden mussten. Die Reaktionen orthodoxer Christen, ultrarechter Nationalisten und des Establishments waren eindeutig: Das Kunstministerium brandmarkte die Sammlung Jerofejews als 'Schande für Russland.' Der Kurator verlor seinen Job und musste 2009 mit dem ebenfalls abgesetzten Leiter des Sacharow-Zentrums Jurij Samodurow vor Gericht (siehe sueddeutsche.de). Jerofejew drohte eine Geld- oder Bewährungsstrafe, Samodurow dagegen Haft: Er war schon einmal verurteilt worden, wegen der Vorgänger-Ausstellung 'Vorsicht Religion'.

Jaja, immer diese lästigen Kritiker

Nun aber wieder zurück in die Heimat. Aber kein Grund zur Sorge, denn Mainz bleibt Mainz und der Dom natürlich auch in Köln. Denn Klüngel - Trendsetter sprechen von Netzwerken - gibt es überall. Im krisenerfahrenen Köln glaubt man sich trotz unglaublicher Verluste - das versunkene Stadtarchiv - noch Zensur leisten zu können. Ein im wesentlichen ehrenamtlich realisierter Katalog für die Ausstellung Köln in Berlin - Nach dem Einsturz: Das Historische Archiv wurde aufgrund von Zensurwünschen seitens der Stadt nicht gedruckt (siehe dazu Deutschlandfunk oder auch Stadtrevue). Dem Kölner Kulturdezernenten Georg Quander gefielen manche Texte nicht. Aber hätten die Autoren nicht einfach vorher fragen können, denn von Seiten der Stadt ist der Fall ganz klar:

Wir können schon ertragen, dass so etwas gedruckt wird - erklärt die Kölner Stadtarchiv-Direktorin nachdem der Skandal durch die Presse ging - aber nicht in einer Publikation der Stadt Köln.

Der Kölner Verleger Walther König verweigerte sich solch plumper Zensur - entweder kritische Texte oder keine Texte. Danke Walther und auch Gott sei Dank - denn die Kölsche Antwort auf politischen Prozesse wie diese wurde bereits zum Karneval und zuletzt bei der art cologne präsentiert: Ihr seid Künstler und wir nicht!

Psssst: Die 20 Textbeiträge sind natürlich doch erschienen - in einem 32 Seiten starken Heft, das kostenlos in allen Filialen der Buchhandlung Walther König zu haben war und nun leider vergriffen ist. Aber als PDF finden Interessierte sie auf der Homepage des Verlags oder der der Stadtrevue.

Web. 3.0 - die etwas andere, weil freiwillige Zensur oder
wo sind Chantal, Christel und Cindy?


Zurück zu den schönen bunten Medien: Denn da gibt es ja einiges zu feiern: Endlich gibt es neben anderen seriösen Zeitungen auch die mit den vier großen Lettern als Ap. Aber kaum blättert man auf dem Bildschirm des von allen gehypten Gerätes im konservativen Leitorgan der BRD, vermisst man etwas: Wo ist die hübsche Chantal (Name von kunstlich.com geändert), die sich immer alleine fühlt und so gerne mit den Jungs spielt oder kocht? Was ist nur aus der freien Meinung und Brust auf der ersten Seite geworden?

Wer hätte das für möglich gehalten? Lustige Telefonratespiele wie hier gezeigt und ähnlich hochkarätige Astro-TV-Beratungen sind zum Standard des abendlichen TV-Programms in Deutschland geworden. Doch auf den elektronischen Lesegeräten eines beliebten Herstellers dürfen Mädchen wie Chantal nicht erscheinen. © Chantal

Die Antwort ist einfach, aber unbequem: Apple sitzt wie bekannt in den USA. Und dort hat man trotz heftiger Porno-, Hip-Hop- und Rap-Videos, Werbespots und den anderen Tendenzen, die von manchen Zeitgenossen als Pornofizierung missverstanden werden, Probleme mit nackter Haut (siehe dazu etwa McSex: Die Pornofizierung unserer Gesellschaft von Myrthe Hilkens).

Aber anders als bei den Griechen oder anderen aktuellen Problembären gibt das Blatt mit den vier großen Buchstaben hier klein bei: Diese freiwillige Zensur - also der Verzicht auf das umstrittene Mädchen auf der ersten Seite in der Ap-Variante - ist nur ein prominentes Beispiel für die gefährliche, weil im Kult- und Hypewahn allzu leicht vergessene Tendenz in den neuen Medienformaten. Zyniker munkeln bereits, China habe Apple und Google längst gekauft und werde mit deren geballter Marktmacht seine Zensur nun heimlich globalisieren.

Das wurde aber auch Zeit: Von wegen alt und stur - die Kirche schlägt zurück

Also von den Kommunisten zurück zu Religion und Kirche. Nach diversen Rückschlägen - wie die missverstandenen Holocoust-Leugner um Williamson oder die ebenso falsch verstandene, reaktivierte Fürbitte für die Juden, denen der Vatikan mit der Bitte um Bekehrung doch nur Gutes tun will - schlägt die katholische Kirche nun mit in einer innovativen Medienkampagne zurück. Dabei besinnt der Vatikan sich auf die uralte Verbindung von Kunst und Kirche. Hier ein aktuelles Beispiel:

Mit Hilfe innovater und cooler, pads und pods nutzender Werbefachleute hat die oberste Führung des Vatikans nun eine neue Werbekampagne für die so relevante Zielgruppe der 14-44 Jährigen konzipiert. kunstlich.com hat exklusiv ein paar screenshots der Kampagne gekauft.

Geschickte Integration: Auch für die Schafe am rechten Rand der Gesellschaft ist gesorgt, man achte auf die erhobenen rechten Arme der beiden Kinder auf Bild 5. Gemeinsam mit der reetablierten Karfreitagsfürbitte betrachtet wird nun deutlich, dass die katholische Kirche sich gezielt auch um die Sünden rechtslastiger Bürger kümmert.

An dieser Broschüre zeigt sich, dass die zuletzt in Rom angekündigte neue Kooperation von Kirche und zeitgenössischer Kunst ernst gemeint ist. Und auch wenn der pop-artige Stil der Bilder irgendwie etwas veraltet daher kommt, es ist ein Anfang und der Wille zählt.

In diesem Sinne hat die französische Kirche sich mal etwas besonders innovatives einfallen lassen. Mit knackigen Modelfotos und einer eigenen facebook-Seite wirbt sie um den männlichen Nachwuchs, wie Deutschlandfunk (29.4.2010 Tag für Tag) berichtete. Man darf gespannt sein, welche zeitgenössischen Kunststars Benedetto noch für seine Kampgane gewinnen wird. Aber da war doch noch was? Ach ja, die Missbrauchsdebatte.

Jetzt aber im Ernst: Schluss mit lustig

Mancher fragt sich: Wie glimpflich wäre die Debatte um den Missbrauch verlaufen, wenn die eben erwähnten, innovativen Werbefachleute des Vatikans sich dem Thema angenommen hätten? Es scheint als existiere neben zahlreichen anderen, seit Jahrhunderten aufgeschobenen vor allem ein großes Vermittlungsproblem im Vatikan. Wie sonst kann man erklären, dass bei der Missbrauchsdebatte plötzlich alle die Kirche wie die 'Sau durchs Dorf' treiben und die 'säkularen' Missbrauchsfälle dabei ganz außer acht lassen? Es hat sich so viel Leid und Wut aufgestaut, schon vergessen sind die zunächst als Skandalliteratur gehandelten Bücher über Priesterkinder. Und nun scheint es keinen Ausweg mehr zu geben - Verschweigen war gestern. Doch so positiv im Sinne der Aufklärung die Debatte auch sein mag, es handelt sich nicht nur um ein Kirchenproblem.

'Ich habe den Eindruck den Funktionären und den Vorständen ist die Sache nur lästig'
Heike Afflerbach-Hintzen über Missbrauch in Sportclubs und die Erfahrungen ihrer Arbeit in der Kriminalprävention

Um Missverständnisse zu vermeiden, sei an dieser Stelle ausdrücklich bemerkt, es geht hier nicht um eine Relativierung der Taten von Angehörigen der Kirche gegenüber Kindern und Jugendlichen. Es ist gut und nur gerecht, wenn solche Fälle an die Öffentlickeit gelangen und die Täter die Konsequenzen ihres kranken Handelns tragen müssen. ABER: Der Kern des Problems ist nicht ein genuin kirchlicher, denn Kinder werden in allen Bereichen der Gesellschaft zu Opfern sexueller Übergriffe, bei Sport- und Musikvereinen, in der Schule und vor allem in der Familie. Traurig aber wahr.

Daher sollte man sich endlich nach den seit Jahren vorhandenen Empfehlungen von Fachleuten richten und von allen, die mit Kindern und Jugenlichen arbeiten, eine Art Führungszeugnis verlangen. Sensibilisierung und Aufklärung sind die einzig möglichen Mittel, denn wie die Kommissarin Heike Afflerbach-Hintzen es fomuliert, Kinder sind die 'perfekten Opfer' (siehe dazu ein Interview mit Afflerbach-Hintzen in Der Spiegel 14/2010, S. 105).

Mehr dazu wie immer in Kürze....

Service:
Interessant ist auch die vom Magazin für Theologie und Ästhetik erstellte Chronologie religiöser Empfindsamkeiten im Christentum.
Rückblick auf Blasphemie-Prozesse von welt-online.

Mehr dazu wie immer in Kürze...

Keine Kommentare: