Samstag, 8. Mai 2010

Kunst NL - Zeitgenössische Künstler zu Gast in der Kölner Halle 10

Das passt doch wie auf's Auge: In dem wunderbaren, quasi musealen - trotz aller bisherigen politischen Lippenbekenntnisse noch immer vom Abriss bedrohten - Ausstellungsraum auf dem Gelände der Clouth-Werke im Kölner Norden sind nun holländische Künstler zu Gast. Und das Thema der Gruppenschau ist passenderweise das schöne alte Wort Behausung.

Auszug aus dem Pressetext: 'In der Ausstellung 'Behausungen' realisieren zehn niederländische KünstlerInnen Arbeiten zum Thema und zeigen ästhetisch und sinnlich wahrnehmbar in der HALLE ZEHN in skulpturale und ortsbezogene Arbeiten als metaphorisch vielschichtige Installationen, Objektarbeiten und Videos.'

Meg Mercx - please remember that I want us to live
© Meg Mercx und Gerd Mörsch (Foto)

Auszug aus dem Pressetext: 'Das Thema der Behausung erfüllt in unserer Gesellschaft unterschiedliche Bedeutungsebenen. Dies umsomehr, als dass sich unser Leben im Kontext der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung und der damit verbundenen global unbegrenzten Mobilität zu einer Art modernen Nomadentums entwickelt hat. Gerade hier erfüllt das Häusliche, die Behausung und deren unterschiedliche Konnotationen im psychosozialen und der individuellen Wahrnehmung eine wichtige Funktion.'

Auch Wörter haben eine lange Geschichte

In diesem Sinne ist es oft sehr hilfreich und erhellend, sich mit der Wortkunde, der Etymologie auseinanderzusetzen. Also nähern wir uns dem Thema Behausung mal auf diesem Wege und schauen, inwieweit sich Parallelen zu den Arbeiten der niederländsichen Künstler zeigen.

Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm von 1838 (online recherchierbar über die Uni Trier) steht das Folgende:

BEHAUSUNG, f. habitatio, wohnung:
- und wirst erfahren, das deine hütte friede hat und wirst deine behausung versorgen. Hiob 5, 24;
- und wird eine behausunge sein der drachen. Es. 34, 13;
- ire behausung müsse wüste werden und sei niemand, der drinnen wohne. apost. gesch. 1, 20;
- sehnen wir uns nach unser behausung, die vom himel ist. 2 Cor. 5, 2;
- zu einer behausung gottes im geist. Eph. 2, 22;
- sie ist gefallen und eine behausung der teufel worden. offenb. 18, 2;
- denn er hat ihn geprüft, als in des pfaffen behausung er sich nach mäusen hinab liesz. GÖTHE 40, 64.
(
Hintergrundinfos zum Wörterbuch)

Gerhard Stephanus de Groot - fake & fur & hopeless
© Gerhard Stephanus de Groot und Gerd Mörsch (Foto)

Für jenes ominöse wie amorphe Wesen von de Groot scheint die käfigartige Behausung auf den ersten Blick eine Art Rückzugs- oder Zufluchtsort zu sein, was auch der Titel nahe legt. Aber deutet der Begriff fake nicht auf eine Täuschung hin? Verkriecht das Wesen sich nicht, sondern bedroht es gar 'alienlike' den Rezipienten? Das Objekt erinnert nicht von ungefähr an surrealistische Plastik, denn Pelz und Käfig lassen sich wunderbar mit den (Un-)Tiefen der Seele verbinden.

Marijke Schlebusch - it came home to me © Marijke Schlebusch und Gerd Mörsch (Foto)

Wie an einer Wäscheleine gereiht hat die Künstlerin Marijke Schlebusch unzählige, durch die Muster und Patina eindeutig als 'gebrauchte' zu erkennende Matratzen aufgehangen. Der Titel ist vieldeutig: Kamen die Matratzen zu ihr, sind sie also objets trouvés? Oder kamen mit ihnen auch Menschen zu ihr und hinterließen sie als Spuren?

Das Bett als Behausung wurde schon häufig skandalös
- zuletzt etwa Tracey Emin, siehe dazu DLF - inszeniert. Hier aber scheint weniger (good selling) Sex als Melancholie im Vodergrund zu stehen und über eine verspielte Parallele (oder gar Hommage?) zu den leiblichen Stoffbildern Gotthard Graubners kann spekuliert werden.

Rachel Kruithof - de zee © Rachel Kruithof und Gerd Mörsch (Foto)

Behausung kann auch Heimat bedeuten - diesen Gedanken hat Rachel Kruithof mit ihrer faszinierenden Installation sehr anschaulich gemacht. Ein niederländisches Seemannslied erklingt, eine Frau winkt dem Mann sehnsüchtig zum Anschied und der blinkende Leuchturm bildet den Höhepunkt der scheinbar in s/w-projezierten Hafenkulisse.

Doch schaut man hinter die Leinwand entdeckt man eine minimalistisch anmutende Installation aus Glasobjekten: Teller, Tassen, Gläser und Vasen sind so arrangiert worden, dass sie durch ihren Schatten die Hafenkulisse auf der Leinwand bilden.


Ein Blick hinter die Leinwand enthüllt die faszinierende, durch die Symmetrie an ein Brettspiel erinnernde Glasinstallation. © Rachel Kruithof und Gerd Mörsch (Foto)

Verkehrte Welt?

Gerlinde Haberkotté - husje in het bos © Gerlinde Haberkotté und Gerd Mörsch (Foto)

Das filigrane Häuschen im Busch der Künstlerin Gerlinde Haberkotté überzeugt bereits durch seine formale Erscheinung. Doch etwas stimmt hier nicht, der Busch hängt von der Decke, eine Täuschung oder Falle? In diesem Sinne fühlt man sich an die wunderbar kitschigen Nistkästen Andreas Slominskis erinnert, die - wie er betont - statt Vogelasyl eben auch Fallen sind. Denn das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

Huis clos - Die Hölle, das sind die anderen

Die Redewendung vom gut gemeinten bildet wiederum eine schöne Brücke zur - besonders in Zeiten des entdeckten oder zumindest erahnten Datenmissbrauchs von google, facebook etc. - oft hochgehaltenen Privatsspähre in der heutigen Zeit.

Lobke Burgers - moving houses © Lobke Burgers und Gerd Mörsch (Foto)

Lobke Burgers präsentierte eine schlicht anmutende Installation mit Miniaturhäusern, die sich - von einem Bewebungsmelder gesteuert - auf und ab bewegten, wenn man sich der Arbeit näherte.

Lobke Burgers - moving houses © Lobke Burgers und Gerd Mörsch (Foto)

Die mit schlichten Materialien und Figuren geschaffenen Szenen in Inneren der Behausungen zeigen die Abgründe der Privatsphäre - eine zynischer Blick hinter die Kulissen.

Lobke Burgers - moving houses © Lobke Burgers und Gerd Mörsch (Foto)

Jacqueline Hanssen - Sehnsucht © Jacqueline Hanssen und Gerd Mörsch (Foto)

Jacqueline Hanssens Sehnsucht bildet eine wunderbare Parallele zu den Einträgen in Grimms Wörterbuch: Also die biblische 'behausung gottes im geist (Eph. 2, 22)' und die andere 'behausung der teufel (offenb. 18, 2)'.

Jacqueline Hanssen - Sehnsucht © Jacqueline Hanssen und Gerd Mörsch (Foto)

Die Künstlerin hat ein klassisch anmutendes Paar von Behausungen entwickelt: der helle Thron wird von lichten Engeln umsorgt, der blutrote wirft teufliche Schatten und dunkle Wesen kreisen um ihn.

Jacqueline Hanssen - Sehnsucht © Jacqueline Hanssen und Gerd Mörsch (Foto)

Fazit

Die Ausstellung bot einen vielseitigen Einblick in das zeitgenössische Kunschaffen niederländischer Künstler und ein Blick über den eigenen Tellerrand kann bekanntlich ja nie schaden. Besonders die Verschiedenartigkeit der hier nur zum Teil abgebildeten und vorgestellten Arbeiten zum Thema Behausung überzeugte.

Der durch die Konzentration auf ein Sujet ermöglichte Vergleich der Position weckt Neugier und ruft ungeahnte Assoziationen hervor. Auch die überschaubare Anzahl an mehr oder weniger überzeugenden Positionen ist neben der wunderbaren, den Kunstgenuss fördernden Ruhe und großzügigen Hängung in der Halle Zehn eine Reise wert gewesen.

In diesem Sinne und in der Hoffnung auf die Wahr- und Nachhaltigkeit (lokal-)politischer Lippenbekenntisse ein eindeutiges 'weiter so' an die Kuratoren der Halle Zehn.

Service:

Lobke Burgers
Gerhard Stephanus de Groot
Gerlinde Habekotte
Jacqueline Hanssen
Rachel Kruithof
MamaBart
Meg Mercx
Marijke Schlebusch
Dini Thomsen
Rob Verwer

Bildergalerie Kölner Stadtanzeiger

HALLE ZEHN CAP Cologne e.V.
Xantener Straße Tor 4

50733 Köln

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