Dienstag, 10. August 2010

Andreas Slominski - Fallen und Kunstskandale

Installationsansicht: Fallen Hochsprunganlage Berg Sportgeräte, 1988, © Andreas Slominski, MMK, Frankfurt, Axel Schneider (Foto)

Auf in den Süden. Nun noch wenige Tage (bis zum 15. August) kann in Frankfurt (MMK) ein ungewöhnliches Kunstwerk betrachtet werden: Eine handelsübliche Hochsprunganlage, die der Künstler Andreas Slominski 1988 im Bremerhavener Kabinett für aktuelle Kunst dem erstaunten Publikum präsentierte.

Wer sich die seltene Präsentation dieses frühen Werks des fintenreichen Kunstschelms anschauen möchte, sollte anschließend nach München reisen. Denn dort gewährt die Sammlung Goetz einen Einblick in ihre umfangreiche Sammlung. Sie enthält frühe und aktuelle Arbeiten Slominskis, so dass man einen guten Überblick über sein Schaffen und seine Entwicklung gewinnen kann.

Vorsicht umfangreiche Inhalte...

Aber halt! Im Netz soll man ja nicht so viel schreiben, nur schön kurz und prägnant. Doch manche Dinge und Themen brauchen – besonders wenn man Bilder aufgrund des heiklen Urheberrechts lieber nicht verwendet – einfach Raum. Daher also diese Warnung, denn die folgenden Zeilen benötigen viel Zeit und Fantasie...

Vergessene Verwandtschaft

Kunst und Fallenstellerei haben viel gemeinsam. Ein wesentliches Ziel der Kunst von ihren Ursprüngen bis in die Gegenwart ist die Idee der getreuen Abbildung, oder philosophischer formuliert, die Repräsentation des in der Welt Vorgefundenen. Schon Plinius der Ältere berichtet von der Relativität und den Grenzen unserer Wahrnehmung. Rede­wendungen wie ‚die Dinge scheinen, die Menschen meinen’ und ‚der Schein trügt’ zeugen vom ambivalenten Charak­ter der Repräsentation.

Von Fallen und anderen Finten

Anlässlich der Ausstellung des Werks ‚Fallen - Hochsprunganlage - Berg Sportgeräte’ von Andreas Slominski in Frankfurt werden hier Auszüge des Vortrags von Dr. Gerd Mörsch (24.6.2010) als Köder für eine intensivere Auseinandersetzung mit den (Kunst-)Fallen ausgelegt.

Eine Reise in die Vergangenheit

Im Folgenden werden einige ausgewählte Werke Slominskis vorgestellt. Es ist – so wie die lobenswerte Ausstellungsreihe Double im MMK – eine Reise in die Vergangenheit. Sie führt nach Bremerhaven, Hamburg, Münster und Berlin. Und wie der Titel des Vortrages (DIE (KUNST-) FALLEN VON ANDREAS SLOMINSKI) bereits andeutet, liegt der Fokus auf den (Kunst-)Fallen. Der Titel dient der Abgrenzung von den für Slominskis Werk typischen Tierfallen und auch von den Objekten, die nur vorgeben Tierfallen zu sein.

Intellektuelle Verwirrspiele

Zugleich deutet der Titel im Sinne der Maler-Anekdote von Plinus auf die Nähe zwischen Kunst und Falle sowie den Menschen, der als Museumsbesucher und im Alltag das Opfer von Fallen ist. Etwa die Fallen des Internets, in E-Mails und Internetseiten versteckte Viren, die meist mit traditionellen Ködern wie Sex oder Geld locken. Doch so wie der Köder einer Tierfalle genau für das gewünschte Opfer konzipiert wird, geht es auch dem Menschen.

Weil es viele Menschen gibt, gibt es viele Fallen

Plinius’ Anekdote zeigt, dass Künstler sich von Natur aus mit der Idee der Täuschung beschäftigen. Daher scheint das Werk Slominskis, der sich selbst als Fallensteller und seine Kunstwerke als Fallen bezeichnet, den Kern der Kunst zu thematisieren. Aber was verbindet seine auf den ersten Blick verschiedenen Werke so, dass er alle als Fallen bezeichnen kann? Ist vielleicht Kunst an sich bereits eine Falle, weil sie stets vorgibt, etwas zu sein, was sie nicht ist? Oder positiver formuliert, weil sie immer mehr ist, als sie aus rationaler Perspektive zu sein scheint?

Von merkwürdigen Tierfallen und stinknormalen Nistkästen

So wie Fallensteller ködern und kirren, agiert auch Slominski. In diesem Sinne warnte er 1988: „Es liegt in der Natur der Sache, (...) dass eine Arbeit keine Falle im Sinne einer Tierfalle ist. Diese Falle könnte dann sogar eine Falle im Sinne des Ge­genteils einer Tierfalle sein (...). Es kann ne­ben der normalen Tierfalle auch eine merkwürdige Tierfalle, und es kann neben dem stinknormalen Nistkasten einen merkwürdigen Nistkasten geben. Es ist auch wieder einleuchtend, dass der stinknormale Nistkasten eine größere Falle sein kann als der merkwürdige, auch dann, wenn er nicht stinkt. Zu guter Letzt ent­spricht es auch den Spielregeln, wenn eine Arbeit von der ich behaupte, dass sie eine Falle sei, keine Falle ist.“

(Kunst-)Fallen

Diese zunächst absurd anmutende Erklärung zeigt, dass Slominski mit dem Betrachter spielt. Und die Redewendung ‚kirre machen’ beschreibt dies treffend. Jemanden ‚kirre machen’ bedeutet, jemanden zu verwirren, seinen Widerstand gegenüber einer bestimmten, von ihm nicht gewollten Handlung zu mindern. Dass Slominskis Kunst verwirrt, steht fest. Aber worauf er hinaus will und welchen Widerstand er zugunsten welcher Handlung mindern will, ist auf den ersten Eindruck nicht ersichtlich.

Fabelwesenfallen

Vieles zeugt von der intensiven Beschäftigung Slominskis mit der Fallenstellerei. Er kauft, baut, rekonstruiert und erfindet neue Fallen. Doch bei Werken wie der ,Lonza­falle’ oder seiner ,Falle für Kampf­hun­de’ (beide Werke wurden 2003 in der Fondazione Prada gezeigt und sind auf deren Homepage zu finden) kann man sich nicht sicher sein, ob es sich wirklich um eine speziell für das jeweilige Tier geschaffene Falle handelt. Es kann ebenso gut ei­ne Finte, ein Streich des Künstlers sein. Das Opfer des seltsamen Objektes ist also nicht ein Tier, sondern der unwissende Kunstbetrachter.

List und Hinterlist

Selbst wenn es sich bei einem Werk wie der ‚Falle für Kampfhunde’ scheinbar um eine Falle handelt, bleibt die Frage, ob es sich um eine ‚echte’ Tier-Falle handelt, offen. Titel und Form deuten darauf hin. Aber warum sollte es neben gängigen Hundefallentypen eine spezielle für Kampfhunde geben? Die martialischen Zähne und der metallische Glanz des Kunstwerks legen nahe, dass das eigentliche Opfer dieser (Kunst-)Falle der Mensch und nicht das umstrittene Tier ist. Und so stellt sich die Frage, was ist eine Falle, die nur vorgibt, eine Falle zu sein?

Fallenstellerfallen

In einer Liste Slominskis findet man die Kategorie ,Attrappen von Tierfallen.’ Die Liste ist von großer Bedeutung, weil sie die Falle bereits 1987 (zu Beginn seiner Laufbahn) als übergreifendes Konzept zeigt. Inzwischen ist das Dokument selbst zu einer Falle für den Künstler geworden. Er bereut seine ,Geheimnisse’ veröffentlicht zu haben. Verschwiegenheit ist ein wesentlicher Bestandteil des professionellen Verhaltens eines Trappers...

Das Gegenteil von Gut...

An Nist­kas­ten und Futterhaus lässt sich das komplexe Fallenver­stän­d­nis Slominskis verdeutlichen: Beide dienen der Hege und Pflege von Tieren, dem Gegensatz der Fal­le. Doch auch Nist­kas­ten und Futterhaus können eine Falle sein: Sie werden zur tödlichen Falle, wenn Tiere durch sie Fähig­keiten wie Fut­ter­su­che und Nestbau verlernen.

...ist gut gemeint

Gut gemeinte Hil­fe wird Verführung zu tödlicher Ab­hän­gigkeit. Merke: Nicht nur die Absicht einer Handlung (oder im Kontext der Falle die intendierte Funktion) entscheidet über ihren Ausgang. So wie der Nistkasten zur Falle für Vögel werden kann, birgt auch das Tabu stets die Gefahr, den Reiz des Verbotenen zu steigern. Eine Falle, die vielen wie der gut gemeinte Nistkasten aus der Erziehung vertraut sein dürfte...

Verblendung versus Tarnung

Ein Paradebeispiel für eine Tierfalle und das subtile Verwirrspiel Slominskis ist seine ‚Schneckenfalle (1986). Die Falle besteht aus einem grünen Plastikgefäß mit Dach. Sie ist für den Einsatz in Gärten konzipiert, Schnecken gelten als Schädlinge. Doch im Gegensatz zu anderen Tierfallen, handelt es sich der grünen Farbe nicht um eine Verblendung für das Tier, sondern um Tarnung für den Menschen. Die Falle soll den Blick auf die grüne Idylle nicht stören. In der Galerie dagegen präsentierte Slominski das Objekt von Bierdosen umgeben.

Billiges Bier für Mensch und Tier

Die Falle wird auch Bier-Falle genannt, da Bier als Köder dient. Vom Duft angelockt kriechen die Schnecken in das Gefäß, wo sie volltrunken ertrinken. Doch dass Slominski diesen Fallentyp wählte und ihm als Readymade vier Bier zur Seite stellt, anstatt die Falle inmitten von Bierdosen zu verstecken, hat weniger formale als konzeptuelle Gründe. Oder war es doch eine (plumpe) Falle für die Alkoholiker unter den Vernissagegästen?

Schwitters lässt grüßen

Nicht nur. Es ist auch ein Sprachspiel, das über den Kneipenreim ‚vier Bier’ hinaus auf den für das Fallenkonzept Slominskis zentralen Aspekt deutet: Alles kann eine Falle sein. Denn das Bier, das als verführerischer Köder für die Schnecke dient, ist auch für den Menschen eine gefährliche Versuchung und (meist in Kombination mit dem PKW) tödliche Falle.

Eine Multifunktionsfalle?

Die Bierfalle ist also eine bei Mensch und Tier zugleich wirksame Falle. Doch hinter der scheinbar banalen Ebene der ,doppelten Bier-Falle’ verbirgt sich noch mehr: Die Verbindung der Objekte zeigt sich auch in der Erscheinung des sinnbildartigen Readymades: Slominski verstärkt die Parallele zwischen der Tierfalle und der großen Bierdose als Symbol des billigen Alkoholkonsums geschickt durch die Wahl der Biersorte: Das grüne Holsten-Logo entspricht dem Grün der Falle.

Sisyphos’ Garten

Ein letzter (im Sinne von Schadenfreude humorvoller) Fallenaspekt dieses Kunstwerks ist wiederum dem Verhältnis zwischen Tier und Mensch geschuldet: Der Fang vieler Schnecken in der Falle ist ein Pyrrhussieg für den Gärtner. Denn der Sog, den das Bier ausübt, ist zu stark. Gartenratgeber warnen daher: „Wer glaubt mit der Bierfalle die Schneckenplage im Griff zu haben, der irrt. Das Bier lockt weitere Schnecken an und auch Schnecken aus benachbarten Gärten können nun in den eigenen wandern.“

Eine Falle hoch drei

Die scheinbar banale Schneckenfalle ist also auch eine Falle für den Gärtner und so betrachtet erinnern Bierfalle und Gärtner an den antiken Sisyphos. Fassen wir zusammen: Die Bierfalle ist Tierfalle, Menschenfalle und im Falle des Gärtners auch eine Falle für den Fallensteller selbst. Wohl in diesem Sinne antwortete Slominski einmal auf die Frage, was denn eine Falle sei, wenn es sich nicht um eine Tierfalle handele: ‚Alles, was eine Falle sein kann, das kann man selbst mit der blühendsten Fantasie nicht erfassen.’

Sportmord oder Hochspringerfalle?

Nach den einleitenden Gedanken über die nicht auf den ersten Blick als Fallen erkennbaren Werke beginnt nun endlich die Reise ausgehend von der im MMK gezeigten Arbeit. Das Werk ’Fallen - Hochsprunganlage - Berg Sportgeräte’ (1988) besteht aus einer stinknormalen (?) Hochsprunganlage. Slominski hatte sie direkt hinter dem Schaufenster des Kabinetts für aktuelle Kunst in Bremerhaven auf­gebaut. Passanten, denen der Ort unbekannt war, konnten daher den Eindruck gewinnen, es sei ein Sportgeschäft.

Latten höher hängen

Wie bei der Bierfalle handelt es sich um ein komplexes Sprach- und Verwirrspiel. Durch die Position der Hochsprunganlage ist klar, dass derjenige, der den Sprung wagen will, von außen durch das Fenster springen muss. Auf die­se Weise evoziert Slominski die slap­stick­artige Szene ei­nes Sport-Junkies, der wie ein Insekt oder Vogel die Glasscheibe nicht sieht und voller Elan dagegen prallt. Wer hoch hinaus will, kann tief fallen? Oder läuft da jemand gegen die berühmte, hier aber unsichtbare Wand? Handelt es sich also um eine Falle für Hochspringer? Oder hat Slominski die Latte nicht doch höher gehangen?

Hoher Sprung, tiefer Fall?

Warum wählte er statt der naheliegenden Formulierung Hochspringerfalle den komplexen Titel? ‚Manche Fallen werden von vielen als Fallen em­pfun­den, wie die Bananenschale oder der Wassereimer auf der Tür’ erklärte Slominski einmal. Im Gegensatz zu diesen Fallen scheint die Hochsprunganlage eine sehr spezielle zu sein, ihre Opfer sind nicht nur Sportler, sondern Kunstfreunde, die das Werk verstehen wollen...

Eine Referenz an die südafrikanische Selbstschussanlage für Hamster und Maulwürfe?

Handelt es etwa sich um eine Hommage an alte Fallentypen, die heute als Sportgeräte verwendete Objekte wie Pfeil und Bogen verwenden? Oder gar Politik - die Deutsche Grenze? Ist es Zufall, dass sich auf der so aussagekräftigen Liste des Künstlers von 1987 weitere sportliche und doppeldeutige Begriffe wie der Schwimmer finden? Viel Raum für Spekulationen, Kunstbetrachtung als Hochleistungssport? Kommen wir nun zu anderen, auf den ersten Blick nicht als solche erkennbaren Fallen.

Gruseln im white cube

1991 war Slominski wieder im Bremerhavener Kabi­nett zu Gast. Doch dieses Mal ließ er den Raum vollkommen leer. Irritierte Vernissagegäste munkelten, tasteten mit ihren Blicken und Händen die Wän­de ab. Eine unerhörte Geschichte verbreitete sich. Manche runzelten die Stirn, schienen unheimlich berührt zu sein, zu frösteln. Der Grund für das Gruseln war ein Gerücht. Es hieß, Slominski habe in den Wänden das Skelett einer Hand ein­ge­mauert. Doch abgesehen von dem Gerücht gab keine sichtbaren Spuren oder Belege für die Tat. War es eine echte Hand oder war sie Teil eines Plastikskeletts? Warum eigentlich eine Hand?

Ein heller Hinterhalt

Die Gäste waren bereits dadurch, dass sie der Einladung gefolgt waren und den leeren Raum betreten hatten, in eine Falle getappt. Lockmittel war die Vernissage und der Name des Künstlers, mit dem das Publikum geködert wurde. Doch die erwartete Kunst entpuppte sich im Laufe der Zeit (ab­ge­sehen von unscheinbaren Spu­­ren an der Wand und der als so­zi­ale Plastik oder Hap­pening lesbaren Vernissage) als ein Verwirr­spiel. Slominski enttäuschte die visuell wahr­­nehmbare Kunst­ erwar­tenden Gäste. Er konfrontierte sie mit der ,Unsicht­barkeit’ des Kunstwerks und ent­täu­schte auf die­se Wei­­se ihre voyeuristische Neu­gier.

Verhaltensstudie oder Kinderstreich?

Eine ähnliche, ver­spielt an­­mutende Falle im über­tra­genen Sinn war die ,Münzaktion’ Slominskis auf dem Ham­­burger Jung­fern­stieg, eine während seines Stu­diums vollzogene, experimentartige Ak­tion. Sie zeigt wie die Liste deutlich, dass Slo­minski sich schon zu Beginn seiner Laufbahn wie ein Wis­senschaftler für das Verhalten des Menschen ange­sichts der von ihm ge­stellten Fallen interessierte. Er steckte 200 Deutsche Mark in Form von 50 Pfennig stücken in die Ritzen des Gehsteigs und beobachtete aus sicherer Entfernung die Reaktionen der Passanten auf den Schatz.

Unheimliche Experimente

Slominskis Beobachtungen ähneln Fallen­stellern, die das Ver­halten ihrer Opfer studieren - eine unverzichtbare Voraussetzung für den erfolgreichen Fang. Doch im Gegensatz zu den glänzenden Münzen war die Hand in Bremerhaven ein unsichtbarer Köder. Seine Funktion erfüllten die Einla­dung, das Gerücht und Berichte über die skandalöse Tat. Besucher fragten sich daher, ob das alles nur ein Ge­rücht, ein spielerisches Kunstexperiment sei. Oder war es doch eine makabere, über die Dauer der Aus­stel­lung hinaus­ge­hende, un­sicht­ba­re Installa­tion? Ein metaphorischer ,Be­weis’ für die (auf Einladungen oft angepriesene) Anwesenheit des Künstlers?

Schweigen ist Gold...

Wer das Gerücht aufbrachte, ist nicht dokumentiert. Weder Kurator Jürgen Wesse­ler noch Slominski beantworteten Fragen über das unheimliche Werk. Und so wurde im Laufe der Ge­spräche an diesem A­bend, die sich wohl um ähnliche Fragen, wie die eben genannten drehten, den Anwesenden allmählich bewusst, in eine Falle geraten zu sein.

Eine Falle für die Institution?

Das an Rituale erinnernde Einmauern ähnelt, wenn man der Dokumentation glaubt und von der Existenz der Arbeit (der Hand in der Wand) ausgeht, der Idee, mit symbolischen, über die eigene Lebensdauer hinaus präsenter Gaben, in die Ewigkeit einzugehen. So betrachtet ist das Einmauern (über die Frage der Existenz des Werks hinaus) ein listiger Trick, mit dem es Slominski gelingt auf ‚ewig’ im Kabinett präsent sein. Eine listige Falle für die Institution?

Zweifeln willkommen

Die Auseinandersetzung mit solchen Kunstwerken gleicht einem Spiel. Im Laufe des Spiels stellen sich Fragen nach dem Sinn und Zweck der Aktion, nach der Funktion und De­finition von Kunst. Es scheint plausibel, dass es diese Fragen sind, das Zwei­feln und die Ge­fühle des Rezipienten, auf die Slominski mit der unsichtbaren Hand zielt. So wie im Falle von konzeptueller Kunst Texte und Zeichnungen das Konzept, die Idee des Kunstwerks ver­mi­t­teln, übernahm das Ge­rücht die Funktion der Vermittlung der für die Rezeption notwendigen Infor­ma­tion.

Leer ist nicht nichts

So betrachtet war der Raum also nicht leer, sondern die zur Verfügung gestellten Informationen waren nur gering bzw. unsichtbar. Doch ausgehend von der Person, die das Gerücht zuerst streute, füllte sich das Kabinett mit dem vermeintlichen Wissen um und den Zweifeln an der Tat, die de facto nicht zu belegen war. Ein ,stille Post-Spiel im Kunstkontext?

Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum...

Hat sich der Rezipient einmal auf das Gedankenspiel ein­ge­lassen, ist er in die Falle getappt. Er läuft Gefahr, sich in den komplexen Fragen nach der Definition von Kunst und ihren Bedin­gungen, nach Urheberschaft und Täuschung zu verlieren. Die Wände des Kabinetts erweisen sich bei genauer Untersuchung als Palimpsest, eine Art dreidimensionales Bil­derrätsel? Doch wir wollen uns hier nicht in pseudo-kriminalistische Analysen vertiefen. Das kann der interessierte Besucher vor Ort. Zum Schluss aber noch eine naheliegende Assoziation zur ‚unsichtbaren’ Hand.

Von Motten und Menschen...

Die Abbildung des hell erleuchteten, leeren Kabinetts evoziert im Kontext von Falle und Verführung ein weiteres Bild: Die Besucher strömten am Abend der Eröffnung wie Insek­ten, die vom künstlichen Licht angezogen werden, in den blendend weißen Raum. Verwirrt von der un­sichtbaren Kunst, irrten sie wie Nachtfalter auf der Suche nach Spuren herum. Außerhalb der Öffnungszeiten drückten Passanten, die von der unheimlichen Aktion erfahren hatten, ihr Gesicht wie Voyeure dicht ans Fenster, um Spuren zu entdecken. Auch in der folgenden Aktion Slominskis spielt das Schaufenster eine wichtige Rolle...

Konsumkritik

Mit seiner Eisstiel­installation (ohne Titel), die 1994 für die Ausstellung ,Künstlerschau­fenster für die Kunst­halle’ im Hamburger Al­ster­haus entstand, trieb Slominski Irritation und Enttäuschung auf die Spitze. Für seinen Beitrag wurde ihm ein Schaufenster zur Verfügung gestellt. Doch nachdem er mit Hilfe von Bandmaß und Kom­pass die richtige Stelle gefunden hatte, positionierte er – wie es für vie­le seiner Aktionen kennzeichnend ist – im Laufe einer mehrstündigen Aktion einen unscheinbaren Eisstiel im Schaufenster.

Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht...

Das Überbleibsel hatte Slominski auf dem Gehsteig, wenige Me­ter vor dem Kaufhaus gefundenen. Doch weil er das Objekt nicht einfach aufhob, um es dann ins Kauf­haus zu tragen, war ein enor­mer Aufwand nötig. Slominski wählte in der Tradition Till Eulenspiegels den denkbar kom­li­ziertesten Weg: Erst nachdem Handwerker unter enormen Kraftauf­wand die Scheibe aus dem Rahmen gelöst hatten, stieg Slominski vom Gehsteig aus in das Schaufenster und legte das Objekt ab.

Slapstick oder Performance?

Danach wurde die Scheibe mit demselben Aufwand wieder eingesetzt. Abends strahlte ein Spotlight das objet trouvé an und ein auf die Scheibe geklebter Text informierte über die Aktion wie folgt: ‚Diese Schaufensterscheibe wurde am 26. September von den Glasern des Al­­­ster­hauses vorübergehend entfernt. In das offene Schaufenster hat Andreas Slominski einen Eis­stiel gelegt, den er auf der Straße gefunden hatte. Danach wurde die Schaufensterscheibe wieder eingesetzt.’

Duchamp lässt grüßen

Nach diesem Aufbau-Ritual war der Skandal perfekt und rief empörte Reaktionen hervor. Slominski hatte Abfall im Schaufenster eines exklusiven Kaufhauses vor unbefugten Zugriffen geschützt und wie eine Reli­quie präsentiert. Eine Falle für Straßenkehrer? Nicht nur. Denn obwohl die Ausstellung zehn Tage dauern sollte, gab das Kaufhaus öffent­lichen Druck nach, entfernte das Objekt und alle Spuren, die von der Aktion zeugten.

Schritt für Schritt verschwunden

Im Nachhinein erscheint diese Zensur als der eigentliche Skandal. Slominski betonte, das Kaufhaus habe sich damals (wie heute) in einer Krise befunden. Sogar die Lackschäden an den Schrauben des Fensterrahmens wurden übertüncht. Sie waren von Fotografien abgesehen die einzigen beweiskräftigen Spu­ren der Aktion. Nach diesen Beweisen suchten Skeptiker den Rahmen gezielt ab. Wie bei der Münzaktion verfolgte Slominski das forschende Zweifeln der Passanten aus sicherer Entfernung.

Das zweite Experiment auf dem Jungfernstieg?

War es nur ein listiger Streich, eine bewusst mit dem Negativ-Klischee moderner Kunst spielende Provokation? Hier zeigt sich Verwandtschaft von Falle und Skandal. Die Reaktion auf diese ‚Kunst genannte Steuerverschwendung’ – so ähnlich wurde das Werk kritisiert – war wie die Zensur von Duchamps Urinal 1917 in New York vorhersehbar. Ist der Müll im Kaufhaus also eine Falle für den Volksmund, ein hinterhältiger Skandal für die Hamburger Öffentlichkeit?

Aufmerksamkeitsfallen?

Nicht nur. Denn zunächst einmal wurde die Arbeit von den meisten Passanten übersehen. Ein leeres Schaufenster zieht keine Blicke auf sich. Nur wenige es beachtet. Doch jene, die es entdeckt und den Text gelesen hatten, standen (unabhängig vom Kunstverständnis) vor einem Rätsel. Sollte man dem Text glauben? Warum sollte Slominski so umständlich vorgegangen sein? Ist es also eine Finte, hat er vielleicht etwas anderes versteckt? Solche Fragen werden sich jene, die weder von Slominkis Fallen noch von dem Skandal um die Aktion wussten, wohl gestellt haben.

Endstation Sehnsucht

Die Schaufenster-Installation verbirgt auf den ersten Blick ihren durch das Aufbauritual geschaffenen Bedeutungs­horizont. Das verbrauchte Objekt verleitet zu Missverständnissen und mangelnder Aufmerksamkeit. In diesem Sinne kann es als Falle verstanden werden. Ein weiterer Fallenas­pekt – die gezielte Enttäuschung wie bei der unsichtbaren Hand – wird angesichts der Funk­tion des Schaufensters klar: Das Schaufenster ist in der industriellen Massengesellschaft der klassische Befriedi­gungs­platz der Konsumsehnsucht.

Enttäuschung und Desillusionierung

Das Sehnen und die Er­wartungen der Passan­ten enttäuschte Slominski radikal: Statt exklusiver Waren oder Kunst präsentiert er Müll und treibt das Spiel mit der Aktion noch auf die Spitze, wie Spotlight und Text zeigen. Slominski erinnert an einen Schelm, der auf Kosten der ,braven Bür­ger’ und Steu­er­zahler seine Späße treibt. Doch so wie Dio­genes und Eulenspiegel die Rolle des ,weisen Narren’ ver­körpern, scheinen auch die Aktionen Slominskis bei genauerer Betrachtung Weis­heit entlarvende Torheiten zu sein: ‚Gäb’ es keine Narren, so gäb’ es keine Weisen.’

Total banal?

Die trügerische Banalität der Aktion entlarvt die eingeschränkte Wahrnehmung und die Erwartungshaltung der Passanten so, wie Eulenspiegel den Geiz und die Dummheit seiner Zeitgenossen enthüllte. Die Reaktion des Kaufhauses auf den öffentlichen Druck ähnelt jener der Zeitgenossen Eulen­spiegels auf dessen Streiche. Die Rolle des Narren erscheint aus der Fallen­stellerper­spek­tive wie eine Ver­blen­dung, die Opfer in Sicherheit wiegt und deren Manipulation er­mög­licht.

Ein Schelm, wer Schlechtes denkt...

Die Schaufensterinstallation funktioniert wie eine Falle. Sie provoziert vor­eiliges Unterschätzen, ein trügerisches, der Hybris ver­wandtes Überlegen­heits­ge­fühl und verleitet Passanten und Öffentlichkeit zu einem ihre Hal­tung entlarvenden Verhalten. Ein Hinterhalt. Die Reaktion der Öffentlichkeit in Hamburg erinnert nicht zufällig an die Zensur von Duchamps Urinal.

Was darf Kunst?

Duchamps Urinal und Slominskis Eisstiel sind über die Tatsache hinaus, dass beide kurz nach ihrer Präsentation wieder verschwanden, miteinander ver­wandt. Ihre Rezeption kann wie ein Gradmesser für die Toleranz gegenüber zeit­ge­nössischer Kunst gelesen werden. Beide rufen auf­grund der schein­ba­ren Banalität Proteste der Bevöl­ker­ung hervor, welche sich da­durch indirekt selbst vor­führt. Die Reaktion deutet auf die Toleranz der Ge­sell­schaft ge­gen­über Normen wider­sprechenden, kritischen Hand­lun­g­en.

Der Hintergrund

1988 betonte Slominski, dass man vorsichtig im Umgang mit seinen Ar­bei­ten sein sollte. Die Eissteil-Aktion zeigt, dass er damit wohl nicht nur seine Tierfallen meint. Es scheint als habe er bewusst auf diese Tole­ranz­­grenze gezielt, die fernab von Kunst auch von der ,Auf­ge­­klärtheit’ und dem Selbstverständnis der Gesellschaft zeugt.

Das Boot ist voll

1994 waren die wiedervereinigungsbedingten, wirtschaftlichen Boomjahre vorbei. Arbeits­losigkeit und Staatsverschuldung dominierten die öffentliche Debatte. Die Reaktion des wirtschaftlich in Bedrängnis geratenen Kaufhauses kann als Metapher für den Zustand der BRD gelesen werden. So betrachtet ge­winnt das im Schaufenster ausgestellte und dann ent­fernte objet trouvé den Charakter eines Sinnbildes für dahinge­schmol­ze­nen Luxus und die Sorgen um sozialen Abstieg: Der Traum ist aus, die fetten Jahre sind vor­über...

Slapstick II: Skulpturprojekte Münster

Provokation und Enttäuschung sind auch in der Aktion ,Umlegen eines Reifens’ zentral. Sie war ein Beitrag Slominskis für die ,Skulptur.Projekte’ in Münster 1997, den er wieder mit einer schelmischen Aktion schuf. Denn er stülpte den Fahrradreifen nicht einfach von oben über die Laterne, sondern vollzog wie in Hamburg mit Hilfe zahlreicher Helfer eine absurde Performance: Zuerst wurde die Laterne vom Stromnetz getrennt, ausgegraben und anschließend von einem Kran angehoben.

Aufbaurituale

Dann stülpte Slominski den Reifen von unten über den in der Luft schwebenden Mast. Abschließend wurde die Laterne wieder zu Boden gelassen, verankert, angeschlossen und der umliegende Gehsteig wieder verschlossen. Nachdem alle Spuren der Aktion beseitigt waren, war das Werk vollendet und der Kunst-Skandal perfekt: Ein unscheinbarer Fahrradreifen lag wie ein Ring auf dem Boden um eine Laterne. Doch statt eines Schildes wie in Hamburg fehlte hier jeder Hinweis auf die Aktion. Nur die Presse und der Katalog der ,Skulptur.Projekte’ zeugten von dem Schildbürgerstreich.

Kunstraub oder Intrige?

Wie in Hamburg polarisierte das Werk die Stadt, weil Slominski für die scheinbar absurde Aktion deren städtische Arbeiter beschäftigte. Auch dieses Mal verschwand das Objekt kurz nach der Aktion. Im Gegensatz zu Hamburg handelte es sich in Münster nicht um 'öffentliche' Zensur. Laut Presse und Dokumentationen hatte ein anonymer Kunstfreund oder -hasser den Reifen nachts gestohlen. Doch dank einem Aufruf zur Rückgabe, befindet sich das Werk nun im Museum in Münster. Ein Kunstraub im öffentlichen Raum statt im vermeintlich gut bewachten Museum?

Spekulation statt Information

Wie bei dem Gerücht vom Handskelett sind kaum Informationen über den Diebstahl vorhanden. Doch angesichts der von Slominski geklauten Fahrradpumpe und dem ähnlich illegal entfernten, im Kunstraum präsentierten Elf-Meter-Punkt, stellt sich zumindest Kennern seiner Arbeit die Frage, ob der Diebstahl in Münster nicht Teil der Aktion war. Ist es also eine Intrige, ähnlich Duchamps Inszenierung des Urinal in New York?

Interpretationsansätze

Der Fahr­radreifen bietet neben Bedeutungen wie die Anlehnung an Kinder­spiele oder eine Hommage an die Fahrradstadt Münster einen weiteren Aspekt, der über den Skandal hinaus als Falle begriffen werden kann: Die zu den SkulpturProjekten angereisten Gäste nutzen meist das Fahrrad, um einen Überblick über die ausgestellte Kunst zu gewinnen. Mit Lageplänen und geliehenen Fahrrädern versuchen Ku­­­ra­­to­ren, Sammler, Kritiker und Kunstliebhaber alle in der Stadt verteilten Kunstwerke zu sichten. Ist der Reifen also ein ironischer Kommentar zu Kunst­touristen auf Fahrrädern?

Von Nadeln und Heuhaufen

In diesem Sinne wird sich bei je­nen, die das Werk Slominskis wohl recht lange suchten, das Ge­fühl eingestellt haben, sie seien vorgeführt worden. Einen auf dem Boden liegenden Fahr­rad­reifen im Zentrum Münsters zur Zeit der Skulp­tur.Pro­jek­te zu finden, erin­nert sicher nicht zufällig an die Nadel im Heuhaufen. An Laternen gekettete Fahrradreifen sind für Großstädte nicht untypisch. Sie zeugen vom Diebstahl des restlichen Fahrrads, liegen aber selten flach auf dem Boden. So betrachtet kann der Reifen wie der Eisstiel in Hamburg und die Hand in Bremerhaven als eine gezielte Enttäuschung verstanden werden, als Köder für ein Verwirrspiel, das Fragen nach dem Wesen und Sinn von Kunst evoziert.

Nächste Station Berlin: Unter den Linden

Eine dadaistisch geklaute Fahrradpumpe war Teil einer Ausstellung in der Berliner Gug­genheim Dependance. Dort präsentierte Slominski auch eine Vogelfangstation und einen Wassereimer. Über den erfolgreichen Transport eines Esslöffels voller Medizin mit dem dafür von Wissenschafter konstruierten Transportsystem für Hustensaft hinaus vollzog der Künstler draußen auf der Straße vor den Ausstellungsräumen eine weitere Aktion.

Schamanistische Wiederbelebung?

Auf dem Sandweg des ,Unter den Linden’ genannten Boulevards ließ Slominski eine kaum sichtbare Stolperfalle installierten. Die Straße hat eine lange Geschichte. Sie wurde 1648 als Reitweg zum Grunewald für Kurfürst Friedrich Wil­helm angelegt. Doch inmitten der Allee mit ihren 370, von der Stadt detailliert registrierten Bäumen ließ Slominski ei­nen Baumstumpf aus dem Grunewald ,pflan­zen’. Ein Gärt­ner grub den Stumpf so tief ein, dass er nur knapp aus der Erde ragte. Dann wurde der Sand so präpariert, dass sich die Stolperfalle möglichst unscheinbar in den Weg integrierte und die Tarnung perfekt war. Alle Spuren wurden beseitigt.

Eine intellektuelle und leibliche Stolperfalle zugleich

Passanten, die zufällig visuell oder unachtsam tatsächlich über den Stumpf stolperten, bot sich ein Rätsel. Der Stumpf bildete abhängig vom Opfer eine intellektuelle und rea­le Stolperfalle zugleich. Während der eine auf­grund seiner Unaufmerksamkeit stolperte, ge­riet der andere aufgrund seiner Aufmerksamkeit in die Falle. Weil es viele Menschen gibt, gibt es viele Fallen. Der Baumstumpf rief an diesem Ort neben Fußschmerzen also auch Kopfzerbrechen im übertragenen Sinne hervor...

Kopfschütteln und -schmerzen

Diese schmerzhafte Begegnung provozierte Fragen: Hatte jemand illegal den Baum ge­fällt oder wurde er wegen seines die Ordnung der Allee sabotierenden Stand­ortes entfernt? Doch wie konnte er überhaupt unbemerkt so groß wer­den? Und wer trug die Verantwortung für die un­professionelle Entfernung, die eine Gefahr für Flaneure bildete? Ein Skandal!

Belebende Irritation

Wieder zeigt sich die Nähe von Falle und Skandal. Das Kunstwerk fungiert als ein Aufsehen und im hier wahrsten Sinnes des Wortes ‚Anstoß’ erregendes Er­eignis. Eine soziale Plastik? Spaziergänger, die häufig ,Unter den Linden’ verkehren, haben wohl einen Moment lang ihre eigene Wahrnehmung, ihre alltägliche Auf­merk­sam­keit in Frage gestellt und sich gefragt, ob hier je ein Baum gestanden habe. Natürlich nicht, lautete die reflexartige Ant­wor­t. Doch wie kam er dann an diesen Ort? So wie das Gerücht von der Hand in Bremerhaven, zog auch diese Aktion ihre gedanklichen Kreise.

Aufmerksamkeit dank Absperrung

Bereits nach einem Tag wur­de der illegale Baum­stumpf denunziert und der Tatort abge­sperrt. Doch diese Sicherheits­maßnahme steigerte den Sog des rätsel­haften Objektes. Die Absperrung erhöhte die Attraktivität der Falle und steigerte so die Bedeutung und Aufmerksamkeit, die ihr zu­teil wurde. Hatte Slominski diese Reaktion kalkuliert? Gelang es ihm etwa, seine Opfer so kirre zu machen, dass sie selbst den Reiz seiner Falle steigerten? So betrachtet scheint der Baumstumpf eine genial konzipierte Falle für Voyeure zu sein, die sich erst durch den vermeintlichen Schutz vollkommen entfaltet. Das Gegenteil von Gut, ist gut gemeint...

Spurensicherung statt -lesen

Die für einen kurzen Moment gewonnene Aufmerksamkeit – wobei einige aufgrund der Absurdität sicher länger über das rätselhafte Objekt nachgedacht haben – und die daraus resultierenden Gedankengänge sind – so wie die Gedanken der Gäste des Kabinetts oder die der Passanten in Hamburg – das Ergebnis dieser Aktion. Das Abtasten der Wand in Bremerhaven ähnelt dem Untersuchen Tatortes in Berlin. Und über die Funktion als Stolperfalle hinaus hat die Aktion auch einen experiment­artigen Charakter. Eine Falle, die ein bestimmtes Verhalten der Opfer provoziert?

Passanten als Versuchskaninchen?

Die Ver­suchspersonen sind wie bei den Aktionen in Hamburg irritierte Pas­santen. Ist die Aktion also ei­ne Art Verhaltensstudie, die Slominski mehr über seine Opfer verrät, so dass er seine Fallen zielgruppen­ge­rech­ter, also effektiver gestalten kann? Dass die Polizei das Werk absperrte, um körperliche Fol­gen der Begegnung mit zeitgenössischer Kunst zu vermeiden, erscheint geradezu genial. Denn die Behörde wurde so unbewusst zum Komplizen Slominskis, weil sie die getarnte Falle in einen auffälligen Tat­ort verwandelte, also verblendete.

Ungewollte Komplizenschaft

Diese Re­ak­tion auf die unscheinbare, aber effektive Störung der Ordnung offenbart einen weiteren Fallenaspekt, wenn man das Absperren als Erfolg einer hinterlistigen Stra­te­gie interpretiert. Slominski verleitete die Öffentlichkeit, sich (wie in Hamburg und Münster) selbst vorzuführen. Dank der Absperrung erscheint das Werk zudem wie ein Sinnbild für die Geschichte der Allee, die den Wandel der deut­schen Geschichte widerspiegelt.

Ortspezifischer Hintergrund

Die Allee war Kurfürst Friedrich Wilhelm so ans Herz gewachsen, dass er deren Bäume mit der Androhung drakonischer Strafen schützen ließ. Doch die Nazis fällten später alle Bäume, weil sie Paraden und Kriegsmanövern im Weg standen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die in der sowjetischen Besatzungszone liegende Straße wiederaufgeforstet, aber nur bis zum Pariser Platz, der Grenze zum Westen. Erst nach der Wie­dervereinigung wurde die Allee wieder voll­ständig her­ge­stellt.

Zufall, Kunst oder geheime Verbindung?

Kannte Slominski diese Geschichte? Die Kuratorin der Berliner Ausstellung Nancy Spector vermutet dies. So betrachtet erscheint der Grunewald Baumstumpf wie der Fahrradreifen in Münster als ein Werk, das auch im Kontext des Ausstellungsortes erfasst werden muss. Zu viele Argumente sprechen gegen die zufällige Begegnung von Kontext und Kunst, so wie es sich bei dem von Slominski angeblich während eines Spaziergangs in Weimar gefundenen, 1943 geprägten Glückspfennigs um eine listige Finte handelt.

Mythen und Metaphern

Die Geschichte, der zufolge ein (blinder) Maulwurf das in der Nähe von Weimar und dem KZ Buchenwald so zynisch erscheinende Objekt ausgegraben habe, klingt einfach zu märchenhaft. Ebenso unwahrscheinlich ist auch, dass Slominski zufällig einen Baum­stumpf aus dem Grunewald für die Aktion in Berlin wählte. Zuletzt sei eine weitere Interpretation der doppelten Stolperfalle erwähnt, sie zeigt neben der Geschichte des Orts auch Bezüge zur moralischen Dimen­sion der Falle auf.

Bilde deinen Geist!

Das Motiv eines toten Baumstumpfs neben einem lebenden Baum – also so wie Slominskis Stumpf in der Mitte der Allee – galt in der neuzeitlichen Sinnbildkunst als Symbol für die ,Belebung durch den Geist.’ Vor diesem Hintergrund erscheint das Objekt wie ein ephemeres, dem historischen Emblem verwandtes Sinnbild für das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft.

Ein Denk-mal

Die Aktion Slominskis belebte den öffentlichen Raum und die über den Baumstumpf leiblich oder intellektuell stolpernden Menschen. So betrachtet erscheint der Stumpf wie ein unscheinbares Denkmal im wahrsten Sinne des Wortes. Die Subscriptio eines Belebung durch den Geist-Emblems von 1595 mahnt in diesem Sinne: Bilde also deinen Geist zu glänzenden Tugen­den und be­weise, dass du durch deine Kräfte lebendig bist. Dieser Imperativ könnte auch das Motto des vergrabenen Stumpfes in Berlin sein.

Fallen, Fallen überall nur Fallen

Alle 1999 in Berlin ausgestellten Werke sind Fallen: Die samt Rahmenstück geklaute Luftpumpe war eine gefährliche Falle für den Fahrradbesitzer, weil das Rad destabilisiert wurde. Der Wassereimer im Museumsshop war (auch wenn er nicht auf einer Tür auf sein Opfer wartete) einen Falle für unachtsame Konsumenten. Zum anderen war er, da alle Spuren seiner aufwendigen Befüllung beseitigt wurden, auch eine Falle für unaufmerksame Rezipienten, die das Kunstwerk aufgrund seiner gewöhnlichen Erscheinung übersahen bzw. nicht als solches erkannten....

Fazit

Slominskis (Kunst-)Fallen irritieren. Sie verleiten zu vorschnellen Urteilen und provozieren aufgrund ihrer auf den ersten Blick alltäglichen Erscheinung. Doch hat man sich einmal auf die komplexen Gedanken- und Verwirrspiele eingelassen, erscheinen Slominskis Werke wie Anregungen. Es ist ein humorvolles, absurd anmutendes und doch ernsthaftes Spiel, dessen philosophische Wahrheit darin besteht, Kunst als Prozess, als Dialog zu verstehen.

Emanzipation durch Hinterlist?

Slominskis Ziel scheint das eigenständige, tradierte Wege als solche erkennende und skeptisch hinterfragende Denken zu sein. Er stellt Manipulation, Lüge und Täuschung in den Dienst der Aufklärung des Rezipienten. Ob dieser die ihm zugespielten Bälle annimmt, liegt allein in seiner Hand. Aus Fehlern lernt man. In diesem Sinne lautet der Imperativ der Auseinandersetzung mit den (Kunst-)Fallen wohl, du sollst dich nicht täuschen lassen.

Die Fallstricke des Lebens

Kompliment! Sie haben Ausdauer und Interesse an komplexen Themen bewiesen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und hüten sie sich vor den Fallstricken des Lebens! Doch halt, auch dieser Text ist eine Falle. Er ist – wenn er Sie für das Thema die Falle in der Kunst begeistern konnte – eine Dauerwerbesendung für das von kunstlich.com bereits vorgestellte Buch.


Service:
- PostKartenKritik zur Slominski-Ausstellung im MMK
- Slominski in der Sammlung Goetz, München
- DLF (Fazit - Kultur vom Tage 25.5.2010): Finten und Fallen - Andreas Slominski in der Münchner Sammlung Goetz (Von Johannes Halder, Text und Audio-Datei).

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