Freitag, 23. April 2010

Achtung - Aufgrund der positiven Resonanz ist die Ausstellung noch einmal zu sehen - Donnerstag 29.4. I KNOW IT WHEN I SEE IT

Feine Sache! Junge, mehr oder weniger etablierte Positionen aus dem Rheinland haben sich zusammengetan, um sich und ihre Werke zu präsentieren - so etwas nennt man vorbildliche Eigeninitiative, denn die Schau und professionelle Präsentation muss sich vor keinem Vergleich fürchten.

Nur soviel zum Thema Qualität: Sollte man - im Stil Banksys - ein Werk aus Ehrenfeld heimlich in einer Koje der art cologne positionieren, dürfte der rote Punkt und die daraufhin folgende Entlarvung nicht lange auf sich warten lassen...


Anspruchsvolles und doch sehr entspanntes Abendprogramm


Gaststar Andreas Gehlen lieferte eine Pissecke genannte Installation für die Ausstellung. Sie wurde sinngemäß in einer Ecke des Toilettenflurs positioniert. Sie erinnert an Duchamps Brunnen und - besonders aus der hier gezeigten, erhöhten Perspektive - an utopische Architektur. Doch im Gegensatz zu jenem Kultobjekt der Kunstgeschichte blieb der Skandal in Köln aus. © Andreas Gehlen

Das Flanieren durch die großzügigen Ausstellungsräume bot einen - im Gegensatz zur art cologne - wunderbar intensiven, weil konzentrierten Kunsterlebnis, während Kinder ihre Papierflieger schweben ließen. Denn Interaktion und Dialog, aber auch Kontemplation waren strengstens erwünscht.

So bleibt zu hoffen, dass diese Veranstaltung - als ein gelungener Auftakt zu einer Ausstellungsreihe in temporär von zeitgenössischer Kunst besetzten Räumen begriffen - Folgen haben wird.

Geheime Verbindungen? Auch in der strange attractor genannten Multimedia-Installation von Markus Marquardt spielten Würfel eine bedeutende Rolle.
© Markus Marquardt


Ein Blick in die großzügige Koje von Violetta Hövelmann, die neben den großformatigen Leinwandarbeiten auch filigrane, mit Leuchtkästen präsentierte, übereinandergelegte Skizzen und Zeichnungen ausstellte.
© Violetta Hövelmann

Stefan Zöllner nutze den Raum perfekt aus für seine scheinbar lebendigen Objekte. Ihre geheimen Aktivitäten wurden durch eine Beamerpräsentation dokumentiert. Die im Ausstellungsraum vorhandenen Vitrinen nutzte Zöllner für seine Kofferobjekte - eine sehr stimmige, den geheimnisvollen Charakter der Werke fördernde, quasi museale Präsentation. © Stefan Zöllner

Filmstill der Videoarbeit von Adrian Lohmüller, der ähnlich den Duftportraits der Arbeiter hier einen intimen Einblick in den Mund bietet. © Adrian Lohmüller

Friedrich von Hülsen bot in seiner sehr stimmigen Koje tiefe Einblicke: Szenen aus Abu-Ghuraib, die Beine von Sharon Stone, der Tod, eine mystische, an Beuys erinnernde Liege und ein an Peterchens Mondfahrt erinnernder kleiner Holzwagen, der auf einem edlen Kissen einen Ring präsentiert. © Friedrich von Hülsen

Kontakt:
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Markus Marquardt
0212 23 50 971

Weiteres Infos, das Programm etc. siehe die ausführliche Besprechung.

Dienstag, 20. April 2010

PKK - Kunstkritik zum Mitmachen - Teil I: Robert Morris - Notes on Sculpture

Nein, PKK meint nicht die vielgescholtene kurdische Bewegung, sondern die hiermit offiziell eröffnete Postkartenkritik: Kunstkorrespondent Iven Paschmanns berichtet aus dem Café des Museum Abteiberg in Mönchengladbach.

Aktuelle Postkarte des Museum Abteiberg: Robert Morris - Notes on Sculpture
© Museum Abteiberg, Mönchengladbach und Robert Morris

Rückseite der aktuellen Postkarte des Museum Abteiberg mit Notizen zur
Ausstellung Robert Morris - Notes on Sculpture
© Museum Abteiberg, Mönchengladbach und Iven Paschmanns

Man kann angesichts der (vermeintlichen?) Zufälle nur schmunzeln: Während die Art Cologne aufgrund der in allen Medien und Mündern präsenten, listigerweise aber unsichtbaren Wolke um die Besucherzahlen fürchtet, lässt der US-amerikanische Künstler Robert Morris im Rheinland einen künstlichen Vulkan dampfen.

Service:
noch bis 30. Mai
Öffnungszeiten:
Di - So: 10 - 18 Uhr

Städtisches Museum Abteiberg
Abteistr. 27
41061 Mönchengladbach

Neue Rubrik: "PostKartenKritik"


Neue interaktive Rubrik: 'PostKartenKritik'

Wir haben Freunde unseres Blogs, die in der kunstlich-Welt unterwegs sind, gebeten, wenn sie eine interessante Ausstellung sehen, in den Museums-Shop zu gehen, dort eine Postkarte zu kaufen und diese am Besten noch im Museums-Café mit einer Kurzkritik zu versehen und an uns zu senden.

Die Aura des digitalisierten Originals...

Diese 'PostKartenKritik' veröffentlichen wir von nun an unter der gleichnamigen Rubrik. Natürlich hätten wir im Zeitalter des "Zwitscherns" und des "Gesichtsbuchs" auch eine zeitgemäßere Lösung finden können, die es unseren Freunden ermöglicht, direkt mobil aus der Ausstellung in den Blog zu posten - wollen wir aber nicht. Denn wir sind der Meinung, dass sich das Medium Postkarte besser eignet - aber seht selbst ...

Mittwoch, 14. April 2010

Robert Schad: DER LINIE LANG, leichtfüßige Schwergewichte im mönchehaus museum goslar

Foto: Ausschnitt einer Installationsansicht, mönchehaus

Das mönchehaus zeigt zahlreiche Skulpturen des 1953 geborenen Robert Schad und darüber hinaus einige Zeichnungen des Künstlers. Alle Skulpturen sind aus 4,5 x 4,5 cm breitem Vierkantstahl gefertigt und erreichen Größen von über 4 Metern. Diese Größe und räumliche Ausdehnung macht den Betrachter vergessen, wie massiv, gewichtig und starr diese Skulpturen eigentlich sind.


Dieser Gegensatz ist es, der die Anziehungskraft dieser Werke ausmacht. Auch die Präsentation im mönchehaus - einem Gebäude aus dem 16. Jahrhundert mit knarzenden, dem Gewicht des Besuchers nachgebenden, Holzbohlen - unterstützt diese Gegensätzlichkeit. Man fragt sich unweigerlich, ob das alte Gebäude diese schwere Last überhaupt tragen kann und gleichzeitig sind diese "Zeichnungen im Raum" so scheinbar federleicht, dass sie praktisch schweben.

Stählerne Harmonie

Wer würde erwarten, dass eine Wolke einige Tonnen wiegen kann - bei den Skulpturen Schads ist es ähnlich, scheinbar auf Zehenspitzen gleiten die abstrakten Skulpturen durch den Raum, wirken wie bewegliche Objekte, die kurz verharren um anschließend, wenn der Betrachter nicht schaut, ihre Form zu verändern.

Hintergrund:
Matinee-Vortrag von Frau G. Lohr-Kapfer und Manfred Frick

Service:
noch bis 25. April
Öffnungszeiten:
Di - So: 10 - 17 Uhr
mönchehaus museum goslar

Montag, 12. April 2010

Vorsicht Kunst: Die Falle in der Kunst- und Kulturgeschichte

Das Buchcover ziert eine Arbeit von Andreas Slominski: Elritzenfalle (2005)
© Museum für Moderne Kunst, Frankfurt , Foto: Axel Schneider


Was verbindet Adam und Eva, den listigen Teufel und die Mausefalle miteinander? Und handelt es sich etwa bei dem Künstler Andreas Slominski, der sich selbst als Fallensteller bezeichnet und Fallen baut, um einen zeitgenössischen Parrhasios, weil seine Fallen (wie der gemalte Vorhang des Parrhasios, den Gerhard Richter ca. 2.000 Jahre später nachahmte) die Menschen täuschen?

Diesen Fragen ist Gerd Mörsch in seiner Dissertation (veröffentlicht im November 2009 in
der wissenschaftlichen Reihe des Leopold-Hoesch-Museum- Düren) ausführlich nachgegangen. Da bisher - zumindest in der deutschsprachigen Kulturgeschichte - keine ausführliche motivgeschichtliche Untersuchung zur Falle vorlag, hat der Autor eine solche verfasst und sie einleitend vor den Haupteil der Untersuchung - die Kunst des 20. Jahrhunderts - gestellt.

Das Buch liefert - von der Höhlenmalerei bis ins 19. Jahrhundert - eine ausführliche kultur- und motivgeschichtliche Untersuchung der Falle, die als Grundlage für die Untersuchung des Motivs in der Kunst des 20. Jahrhunderts dient.


Vor diesem Hintergrund ergeben sich interessante Fragen, etwa wie sich die Bedeutung und Verwendung der Falle als Symbol in der Kunst verändert hat. Oder: Was verbindet Falle und
Skandal miteinander und wie bewertet die - sich im Laufe der Jahrhunderte sich wandelnde - Moral den listigen Fallensteller?

Fotomontage des Kölner Künstlers Ivo Weber für seine Ausstellung in der Frankfurter Galerie Thomas Hühsam © Ivo Weber

Don't touch me! Pandora, Eva, das Luder, der Teufel und der erste Roboter der Menschheit

Von Marcel Duchamp über Bruce Nauman, Vito Acconci und Günther Uecker bis hin zu Zeitgenossen wie Carsten Höller, Gregor Schneider, Santiago Sierra und natürlich Andrea
s Slominski wird deutlich, das der Kunstrezipient häufig in einer Falle steckt oder zumindest in eine solche gelockt werden soll.

Aus der Falle befreien kann der Betrachter sich nur selbst - doch kann man daher wie etwa Kate Linker von einem 'victory for the viewer' sprechen? Handelt es sich dabei auch um einen emanzipatorischen Akt des Rezipienten?

Kunst als Spiegel der Gesellschaft?


Die Falle als Symbol, künstlerisches Motiv und Strategie spielt eine bedeutende Rolle in moderner und zeitgenössischer Kunst. Und in ihrem Bedeutungswandel (die Beurteilung der ursprünglich
göttlichen List) spiegelt sich auch der Wandel der Gesellschaft wider.

Noli me tangere - Die süße Macht der Versuchung

Kamer te hure - die attraktive Dame bietet Gästen nicht nur ihr Zimmer an. Das Bild zeigt einen Ausschnitt des Gemäldes 'Jonge vrouw met muizeval' (1682) von Abraham Snaphaens. Standort und © Stedelijk Museum 'De Lakenhal', Leiden

Vorsicht Luder- die eindeutigen Indizien sind die Mausefalle und der umgekippte Krug

Das Motiv der verführerischen Dame mit Falle ist ein klassisches Beispiel. Der Betrachter wird eindeutig vor den Versuchungen des Lebens (bzw. des Teufels) gewarnt. Und wie sehr sich die Falle bzw. die Jagd als wirtschaftlich bedeutende, später vor allem aber symbolische Handlung in das kulturelle Gedächtnis einprägte, zeigt sich besonders deutlich an der Sprache. Das Luder, ködern oder kirre machen, einen Haken schlagen, von etwas Wind bekommnen, in die Falle gehen und fallende Soldaten sind nur einige Beispiele dafür.

Falle, Tod und Teufel

Die Qualen der Liebe, Holzstich von Meister Casper aus dem 15. Jahrhundert, Standort und © Kupferstich Kabinett Berlin

Dieser wunderbare Stich zeigt die Qualen der Liebe besonders deutlich. Doch obwohl der junge Herr von gemarterten Herzen umgeben ist, blendet ihn die kaum bekleidete Schöne. In seinem Liebeswahn fleht er die Schöne sogar an, sie solle ihn von seinen Leiden erlösen.
Dass er der Versuchung in die Falle getappt ist, zeigen die unzähligen Foltermethoden um ihn herum: Von der Fisch- bis zur Mausefalle über die Säge bis hin zu Feuer und Klobe wird deutlich, dem Herzen des Verblendeten wird es schlecht ergehen.

Doch im Laufe der Säkularisierung gewinnt die mit der Falle eng verbundenen List wieder an Bedeutung. So wie bereits in der Antike darf sich der Listige in der Neuzeit wieder mit seinen Taten schmücken, wenn er denn für eine gute Sache kämpft. Der folgende, aus einem Kinderbuch stammende Stich macht dies besonders deutlich.

Sei listig aber gerecht!

Liebe Kinder gebt fein acht: Den Iltis fing des Jägers List hier ein, sey listig, doch vergiß niemals gerecht zu seyn. Quelle: Hempel, Friedrich Wilhelm; Neues ABC- Lese- und Bilderbuch für deutsche Knaben und Mädchen: nebst einer Anweisung vorzüglich für Aeltern, welche ihren Kindern auf eine leichte und faßliche Art den ersten Unterricht selbst ertheilen wollen, Leipzig 1816, kolorierter Kupferstich.
© Pictura Paedagogica Online

Service:
Gerd Mörsch:
Die Falle in der Kunst des 20. Jahrhunderts.
Täuschung, List, historische Fallen und Fanggeräte - Motivgeschichtliche Wurzeln des Fallenstellens.
Düren 2009, 545 Seiten, 382 s/w Abbildungen
ISBN 978-3-925955-02-0

Das Buch ist für 17 Euro erhältlich bei
kunstlich.com sowie der Buchhandlung W. König

Sonntag, 11. April 2010

Risse im Quadrat: Klein aber fein - ein wohltuend konzentierter Blick auf Kasimir Malewitsch im Kölner Museum Ludwig

Ausschnitt aus: Kasimir Malewitsch - Suprematistische Komposition (1915), Sammlung Ludwig Köln. Man achte auf das wunderbare Craquelé im großen Quadrat links. Es scheint als habe Malewitsch diesen Bruch mit der aka- demischen, maltechnischen Perfektion bewusst in Kauf genommen.

Russische Avantgarde: Kasimir Malewitsch und der Suprematismus in der Sammlung Ludwig - Teil II der Projektreihe im Kölner Museum Ludwig

Das wurde aber auch Zeit... Das Museum Ludwig widmet sich wieder einer seiner klassischen Kernaufgaben als Museum, gemeint ist das zugunsten von massentauglichen Großausstellungen seit Jahren vernachlässigte Erforschen und Präsentieren des eigenen Bestandes.

Das schwarze Quadrat: Der Inbegriff der geistigen Essenz der Wirklichkeit

'Unter Suprematismus verstehe ich die Supremation der reinen Empfindung in der bildenden Kunst' (Malewitsch 1927)

Um Missverständnisse zu vermeiden, muss betont werden, dass das Museum Ludwig in Köln in diesem Falle weder besonders positiv noch negativ auffällt. Denn die ganze Museumssippe hat sich aufgrund der bekannten Tendenzen (Kommerzialisierung des Ausstellungsbetriebs) und Plagen (die seit Jahren schrumpfenden Etats) weit von ihren eigentlichen Kernkompetenzen und -aufgaben als öffentliche Bildungsinstitution entfernt.

Orwellsche Sprachtendenzen?

Zyniker munkeln, dass sich der wahre Kern der an sich ja lobenswerten Initiative schon im Titel verbirgt: Das Museum selbst spricht von einer 'Projektreihe', so als wäre das oben erwähnte Erforschen und Präsentieren der Sammlung ein freiwillige Leistung, die aufgrund der allgemein herrschenden Krise ja nur noch von imagesensiblen und daher hilfsbereiten Sponsoren wie etwa der Tabakindustrie gefördert werden könne.

Alptraum oder Absicht? Dem früher einfach übertünchten Craquelé und anderen Details wird ein ganzer Raum gewidmet. In der Ausstellung wird auch für Laien recht anschaulich der Krimi über die (Restaurierungs-)Geschichte von Kunst- werken aufgezeigt. Die Spache und Ausstellungsdidaktik hätte sicher noch ein wenig mehr dem nicht-kunsthistorisch (und auch nicht-restaurierungstechnisch) versierten Publikum angepasst werden müssen. Und doch ein positives Fazit, ein lobenswerter Ansatz.

Der ewige Traum von der endgültigen Form

Voller Tatendrang und Überzeugung schrieb Malewitsch in seiner Schrift 'Die gegenstandslose Welt' (sie wurde vom Bauhaus publiziert): 'In der suprematistischen Gegenstandslosigkeit hat die Neue Kunst ihre endgültige Form gefunden. (...) Die Neue Kunst hat auf dem Gebiet der Malerei die Fläche überwunden und ist von der illusionistischen Darstellung dreidimensionaler Körper auf der zweidimensionalen Fläche zu einer neuen Methode der Darstellung von Körpern und ihren Beziehungen im realen Raum übergegangen."

Das Absolute

Den Beriff Suprematismus wurde von Malewitsch selbst ab 1913 verwendet. Man vermutet, dem Künstler sei es - von Treffen mit den Futuristen inspiriert - auch um eine deutliche Weiterentwickung vom Futurismus ausgehend gegangen (so etwa Hans von Riesen, der den Malewitsch-Nachlass betreute und seine Schriften übersetzte). In diesem Sinne sprach Malewitsch auch vom Suprematismus als 'Beginn einer neuen Zivilisation.'

Solche große Ziele bzw. Worte nimmt heute kaum noch ein Kunstschaffender in den Mund, es sei denn ironisch verklärt wie etwa Jonathan Meese, doch auch der gesteht: ‚Von der Straße kann ich mir auch keine Revolution mehr erhoffen, der Mensch schafft das nicht.'

Trotz aller Bedenken: Eine gelungene Ausstellung

Der Ansatz und die konzentrierte, multimediale Aufarbeitung sind lobenswert! Besonders die Ausstellung der Düsseldorfer Künstlerin Leni Hoffmann muss als innovativer und sinnlich äußerst reizvoller Auftakt der Reihe genannt werden. Sie ist die erste Künstlerin, die im Rahmen des Projektes eingeladen wurde, um sich mit der Aktualität der Russischen Avantgarde auseinanderzusetzen.

Feinsinniges Kunstspiel - die Eingangshalle des Museums als Flipper

Leider konnten nur wenige die aus Vogelperspektive
wunderbare Installation von Hoffmann in er Eingangshalle genießen. Mit Knete und Stahlbeton verwandelte sie die Eingangshalle des Museum Ludwig in einen Flipper und die Besucher konnten im wahrsten Sinne des Wortes Spuren hinterlassen. Ihre eigens für die Kölner Ausstellung entwickelten Werke verweisen auf Alexander Rodtschenko, der 1921 das Ende der Malerei ankündigte und sich - nicht nur Beuys hat's kopiert - für eine alltagsnahe, soziale Kunst einsetzte.

homo ludens - Das Spiel mit dem Betrachter

Leni Hoffmann führte die Gedanken Rodtschenkos im Museum Ludwig visuell und leiblich erfahrbar (!) weiter. Sie hat sich schon lange von der traditionellen Verbindung zwischen Malerei und Leinwand entfernt. Hofmann orientierte sich an den Merkmalen des Gebäudes und schuf temporäre Malereien und Installationen direkt in den Museumsraum ein. Ihre Werke haben nicht zuletzt durch die Größe und den verwendeten Beton einen architektonischen Charakter und thematisierten die Wahrnehmung des Raumes.

new game - one ball left

Hoffmanns Interventionen irritierten, sie machten die Besucher auf das Ungewöhnliche im bekannten Umfeld aufmerksam. Wer zum ersten Mal im Museum Ludwig war, hätte ihre Werke auch als Sitzmöglichkeiten übersehen bzw. verkennen können. Ihr Ziel ist die Sensibilisierung des Betrachters für den stets vorhandenen Dialog zwischen Kunstwerk, Raum und Betrachter. Sinnlich nachvollziehbar verwandelte Hoffmann das Museum in einen begehbaren Organismus: eine Einladung an den Rezipienten sich als Teil des Ganzen zu verstehen und mit zu spielen. Letzteres wurde besonders besonders durch die im Eingang installierte Arbeit flipper deutlich.
Wer wollte konnte sich von dort wie eine Kugel in den Raum 'Museum' katapultieren lassen und sich von den verschiedenen Objekten - angezogen oder abgestoßen - durch die Räume treiben lassen. Leider ist die Ausstellung Hoffmanns schon vorbei - game over.

Kritiken:
Noemi Smolik über die Ausstellung auf
art.net

Service:
noch bis zum 22. August
Öffnungszeiten:
Di - So: 10 - 18 Uhr
jeden ersten Do im Monat - 22 Uhr
Museum Ludwig Köln

Auf nach Kassel: Thomas Zipp - Mens sana in corpora sano

Buchrücken von rattus norvegicus © TRANSPORTdesign, Köln

Der wie Markus Oehlen in der Rubrik Buchtipps - der Katalog rattus norvergicus - hier bereits erwähnte Künstler Thomas Zipp ist gerade im Kasseler Fridericianum zu sehen.

Einleitendes: Thomas Zipp (*1966 in Heppenheim) gilt zurecht als einer den spannendsten deutschen Künstlern der Gegenwart. Der ausgebildete Maler fasst seine Einzelwerke - Gemälde, Skulpturen, Grafiken und Installationen - immer zu einem Gesamtkonzept zusammen und bezieht die jeweiligen Ausstellungsräume stets mit in dieses ein. Manche nennen das Environment...

In Kassel lobt man ihn für die so geschaffenen Dichte und Präsenz seiner Arbeiten wie folgt: 'Durch diese Arbeitsweise verleiht Zipp seinen Ausstellungskonzepten eine einzigartige, unwiederholbare Existenz."

Mens sana in corpora sano vs. Geist ohne Körper

Hier vorab ein Blick auf ein recht junges Werk Zipps, das im Herbst 2009 zurecht großformatig in der Kunstzeitung abgebildet war. Es scheint, als hörten neben Sammler wie Dahlmann oder Goetz auch die Kuratoren der öffentlichen Institutionen so langsam die Glocken läuten, was die Qualität der Arbeiten des Künstlers betrifft.

Thomas Zipp: Geist ohne Körper (2004), Galerie Guido W. Baudach, Berlin
© Thomas Zipp und Roman März (Foto)

Bereits durch seine Anlehung an das vielzitierte Bonmot - der Ausstellungstitel - des römischen Dichters Juvenal über das 'gesunde Verhältnis' von Körper und Geist - gibt Zipp einen listigen Hinweis. Apropos: Zyniker munklen, dass Juvenal das Bonmot nur von den Griechen kopierte, aber bisher hat's noch keiner gemerkt... Doch nun zurück zu Zipp.

Public Private Partnership? White Reformation Co-Op

Der Künstler verwandelt das Fridericianum in ein absurdes Labor, eine psychiatrische Anstalt. Licht und Schattenspiele unterstützen die nicht nur formal düster erscheinenden Werke, die verzweifelten Protest provozieren würden - wenn da nicht der wohltuend Distanz schaffende Humor Zipps und die mehr oder weniger subtilen Referenzen in den Werken wären. Wer will, kann seine Arbeiten wie einen Krimi lesen.

Philosophisch oder zumindest gerne mal etwas tiefer als der Mainstream, auch das könnte man Zipp unterstellen. Denn in der wohl einige wütende Proteste der Kasseler Bürger hervorrufenden, weil nicht so schönen, temporären Kunst-Klapse Zipps dreht sich alles um Norm und Abweichung.

Menschen machen Menschen ... Platon, Sloterdijk und die real existente Gesundheitsdiktatur

Die ironische Psychatrie des Künstlers lässt sich intuitiv schnell etwa als Spiegel sozialer Mechanismen wie Abgrenzung und Einordnung in unserer Gesellschaft lesen - wenn man es will. Die Stärke der meist ironisch gebrochenen Dystopien Zipps, die durch in der Regel fein gesponnene Verweise den Rezipienten im besten Sinne des Wortes aufklären, oder zumindest sensibilisieren möchten, liegt in ihrer Vielschichtigkeit und Subtilität.

Und wie weit diese Dystopien schon mehr oder weniger Realität geworden sind, das hat zuletzt auf sehr anschauliche Weise etwa Juli Zeh in ihrem Roman Corpus Delicti' (2009, Rezension zeit.de ) aufgezeigt.

Hier nun das versprochene Bild und der Katalogtext von Gerd Mörsch über Zipps Werk in der Hamburger Sammlung Dahlmann.

Thomas Zipp: Plant (2005), Ausstellungsansicht Leopold-Hoesch-Museum Düren 2006
©
Thomas Zipp und
Anne Gold (Foto)

Auszug aus dem Katalog rattus norvergicus (S. 52-53) © Gerd Mörsch


Und mehr dazu wie gewohnt in Kürze...

Hintergrund:
Ausstellungsbesprechung von Hans-Joachim Müller auf zeit.de
Birgit Sonna in Art über Thomas Zipp in München - Ritt durch die Unterwelt
Saatchi Gallery über Zipp (viele Bilder)
Fotostrecke der aktuellen Ausstellung in Kassel auf hna.de

Service:
Ausstellungsdauer:
bis 13. Juni
Öffnungszeiten:
Mi - So 11 - 18 Uhr
Mittwochs ist der Eintritt frei
Kunsthalle Fridericianum
Friedrichsplatz 18
34117 Kassel

Freitag, 9. April 2010

Frischwaren - Gruppenausstellung parallel zur art cologne: I know it when I see it

Feine Sache! Junge, mehr oder weniger etablierte Positionen aus dem Rheinland tun sich zusammen, um die erhöhte (Kunst-)Aufmerksamkeit im Kölschen Kunstmonat zu nutzen und sich und ihre Werke zu präsentieren - sowas nennt man vorbildliche Eigeninitiative.

In der am 21. April eröffneten Gruppenausstellung im Kölner Barthonia Forum findet man fast alle Medien zeitgenössischer Kunstproduktion (Installation, Video, Objekte, Malerei, Zeichnung).

Wer von den reizend verschiedenen Positionen geblendet sein sollte, dem werden im Rahmen des temporären Austellungsprojektes auch zahlreiche musikalische Experimente zur Verwöhnung seiner
Ohren geboten - ein wahrhaft multisensuelles Erlebnis.

Für die Facebook-Gemeinde hier der Link zur Ausstellung, für den Rest wie immer das Folgende...

Die Ausstellung 'I know it when I see it' präsentiert Werke von VIOLETTA HÖVELMANN, ADRIAN LOHMÜLLER, MARKUS MARQUARDT, ANDREAS TECHLER, FRIEDRICH VON HÜLSEN, STEFAN ZÖLLNER und dem als 'Special Guest' gesondert angekündigten ANDREAS GEHLEN.

Andreas Gehlen ist immer für eine Überraschung gut: Spektakulär seine 2003 gemeinsam mit
Kalin Lindena in der Kölner Simultanhalle realisierte Installation. Oder auch die im Rahmen von Terrain Vague (Bonner Kunstverein 2006) mit Klaus Kleine geschaffene, begehbare Plastik im Garten einer wunderbaren und - wie so oft leider vom Abriss bedrohten - Abgeordnetensiedlung.

Sommer 2006: Spaceinvasion in Bonnanza

Die futuristisch anmutende künstlerische Intervention von Gehlen und Kleine im Umfeld der schlichten 1960er Jahre Architektur der ehemaligen Hauptstadt, das ungleiche Gegenüber war ein Highlight der insgesamt hochkarätig besetzten Gruppenausstellung.

Zuletzt war Gehlen im frisch eröffneten Projektraum von Birgit Laskowski zu sehen - was sogar der Monopol eine Meldung wert war. Auch daher dürfte es spannend werden zu sehen, wie Gehlen auf die eigenartige Architektur des
Barthonia Forums (ein Teil des ehemaligen 4711-Hauptsitzes) in Köln reagiert.

Nun aber zurück nach Ehrenfeld. Auch das musikalische Rahmenprogramm der Ausstellung 'I know it when I see it' im Barthonia Forum ist hochkarätig besetzt:
elfish echo, fatagaga, Konrad Kraft, Pondskater, Andreas Resch, Michael Scheibenreiter, Sonic Ensemble und SubBassContinuum sorgen mit - so die Pressemeldung - 'atmosphärischen Klängen' für einen noch intensiveren Blick auf die ausgestellten Werke. Apropos sehen...

Da war doch noch was? Der Ausstellungstitel....das Motiv...

O-Ton Timm Ulrichs (1975): Ich kann keine Kunst mehr sehen!

Denn der schöne Kölner Ausstellungstitel provoziert angesichts des just verstrichenen Jubiläums des 'Totalkünstlers' (so die Kunstzeitung 3/10) Timm Ulrichs - der ewige Alt-Achtundsechziger wurde am 31. März 70 Jahre und genießt in letzter Zeit vermehrt die ihm zustehende museale Aufmerksamkeit - diesen Hinweis. Die Parallelen sind einfach zu schön sind und es gibt im Kunstkosmos bekanntlich ja keine Zufälle. Oder doch?

Ausschnitt aus: Timm Ulrichs: Ich kann keine Kunst mehr sehen (1975), das Werk ist nicht nur als Postkarte, sondern auch als Edition aus dem Jahr 2000 erhältlich.
© Timm Ulrichs


Zurück in die Zukunft

'I know it when I see it'.... Stellt man den Titel und den schönen Ulrichs zusammen, ergeben sich wunderbare Assoziationsketten und zeigen sich - bei genauerer Betrachtung - durchaus interessante Parallelen. Aber wir wollen nicht vorgreifen und dem Ausstellungstitel zuwider handeln...

Wir werden also erst sehen müssen...

Daher hier nun einige
Informationen und Hintergründe zur Ausstellung I KNOW IT WHEN I SEE IT:

Das zeitgleich zur art cologne im Barthonia Forum in Köln Ehrenfeld stattfindende
Ausstellungsprojekt I KNOW IT WHEN I SEE IT bereichert die Messewoche um einen weiteren, erfrischend anderen Anlaufpunkt.

In den Abendstunden aktivieren Live-Performances mit elektronischer Musik aus Köln und Düsseldorf Hirnareale, die für Wissen durch Hören zuständig sind. Synästhetische Wahrnehmungseffekte sind das Ziel. Denn nach den anstrengenden Messetagen darf hier auch einfach mal angenehm gelounged werden.


Das Programm


Die ausstellenden Künstler

Violetta Hövelmann kreist in ihren Bildern, Zeichnungen und Collagen immer wieder um die abstrakten "Core-Zustände" des Einsseins und Verschmelzens. Sie nutzt die emotionale Dichte des sexuellen Aktes sowie die figurative Dynamik der Körper als Quelle und zielt auf den Moment, der das Bild und auch den Betrachter über das Figurative hinaus führt. Doch im Gegensatz zur voyeuristischen zielt
Hövelmann mit ihren Arbeiten auf eine empathisch teilnehmende Position.

Mit dem Vorwurf der Pornografie - der nur selten offen formuliert wird, denn wer will schon als verklemmt oder Zensor gelten - sieht sich die Künstlerin aufgrund ihrer Konzentration auf den menschlichen Körper in ihrem Werk leider allzu oft konfrontiert. Doch darf man an dieser Stelle listig einwenden, ob wir nicht nur das sehen, was wir sehen wollen bzw. was in unseren Köpfen vorhanden ist.

Fatale Missverständnisse

Die Bilder der Malerin kreisen um den menschlichen Körper. In feinen Skizzen und großformatigen Gemälden versucht sie den flüchtigen Moment des Verschmelzenz zweier Körper festzuhalten. Dabei handelt es sich zum einen um ein intimes, oft ersehntes, aber leider nur selten erreichtes Gefühl. Zum anderen aber auch um einen abstrakten, letztlich urphilosophischen Gedanken: Die Idee der Vereinigung mit dem Gegegnüber, des Aufhebens der Grenze zwischen Ich und Du oder - philosophischer formuliert - von Subjekt und Objekt.

Bitte löschen sie ihr temporäres Bildgedächnis

Denn während Hövelmann auf den empathischen, also mitfühlenden Aspekt der körperlichen Liebe zielt, werden ihre Werke aufgrund der sexualisierten Bilderflut der Massenmedien auf den ersten Blick zunächst als rein sexuelle Akte gelesen. Daher sollten wir uns von den barbusigen TV-Moderatorinnen und den anderen vermeintlichen erotischen Bildern befreien und einen zweiten Blick auf die Szenen zärtlicher wie leidenschaftlicher Kommunikation werfen...

Adrian Lohmüller beschäftigt sich in seinen Installationen und Videoarbeiten mit Versorgungs-, Kreislauf- und Energiesystemen. Automatisierte Abläufe wie Geschirrspülen oder Händewaschen werden in ihrer Banalität oft nur durch eine leichte Umstandsänderung gebrochen. So verwandelt sich etwa in Lohmüllers Video "pollen and pearls" (2009) ein Mund in unweigerlicher Intimität zu einer bizarren Bühne.

Von wegen Waschfrauen - Adrian Lohmüller packt gerne selbst an. Das Bild zeigt den Künstler während der performativen Aktion 'Kläranlage' (2007)
© Adrian Lohmüller

So wie Andreas Slominski einst mit einer Spülmaschine die Dachpfannen des Ausstellungsraumes wusch, schuf Lohmüller 2007 eine mit Feuer betriebene, 'Kläranlage' genannte Waschanlage. Ähnlich Jean-Baptiste Grenouille in Süßkinds Parfum verwendete Lohmüller seine Waschmaschine jedoch, um mit dem darin gewonnenen Schmutzwasser fluide 'Portraits' der im Laufe des Projektes beteiligten Arbeiter zu erstellen.

In der Videoinstallation von Markus Marquardt kondensieren Informationspartikel und -formen im inneren Außenraum immer wieder neue Muster. Er studierte am Institut für Musik und Medien in Düsseldorf (Schwerpunkt Visual Music bei Prof. Lothar Prox) und ist Mitbegründer von Transcode Lighting in Solingen.

Strange attractor ist der Titel seiner Multimedia-Installation, die sich mit Hilfe von Würfeln, die von einem Lautsprecher bewegt und deren Tanz von einer Kamera verfolgt werden, Bildrauschen, Wort- und Soundfragmenten einem gleichnamigen physikalsichen Phänomen annähert. Es scheint als simuliere Marquardt mit seiner experimentellen Arbeit das Wunder des Lebens.

Magie? Zufall? Der Computer und das Wunder des Lebens

Marquardts Würfel fallen wie von Geisterhand und generieren im komplexen Zusammenspiel mit den anderen Elementen auf die Wand projezierte Strukturen, Ordnung im scheinbaren Chaos. So wie sich vor Millionen von Jahren in der oft beschriebenen Ursuppe der späteren Erde plötzlich komplexe Molekühlketten gruppierten, die letztlich auch für dieses Zeilen verantwortlich sind.

Andreas Techler verlässt sich gerne und mit schlafwandlerischer Sicherheit auf den Zufall. Er improvisiert musikalisch (Saxophon, "dicke Trumm") oder bildhauerisch, von der Kleinstminiatur bis hin zur monumentalen Rauminstallation. Techler geht es vor allem um die Erfindung angemessener Techniken im Umgang mit dem Material.

Riesenschweinerei! Wer hat diese übergroßen 'Mégots' (2007) - französischer Jargon für Kippen - hier liegen lassen? Dreck und Schmutz, scheinbar achtlos liegengelassene Objekte - also objets trouvés - sind für Techler von Bedeutung (siehe dazu auch den Text von Cornelia Müller)
© Andreas Techler

Techlers 'Riesenkippen' erwecken im Bartonia Forum durch ihre Positionierung den Eindruck eines Baumstammes, sind aber bei genauerer Betrachtung das genaue Gegenteil der als Symbol für die Natur oft verwendeten Pflanze. Eine weitere Installation greift die Geschichte seiner objéts trouves auf und irritiert - ähnlich dem vermeintlichen Obdachlosen-Fahrrad Slominskis im Frankfurter MMK - bei genauerer Betrachtung.

Unheimliche Verbindungen

Denn die Collage aus Objekten, die man unter Brücken oder in anderen geschützen Ecken von Großstädten häufig vorfindet, ist ungewöhnlich ordentlich. Dieser feine Bruch sensibilisert für die im Alltag gern übersehenen Unorte. Hat man einmal von der vermeintlich 'wahren' Identität der Objekte erfahren, kann man sich über ihren Wandel - im wahrsten Sinne des Wortes - nur wundern. Wie kommt es, dass die massive Teichplane, die Natur simulieren sollte und achtlos sich selbst und den Junkies überlassen wurde, im Laufe der Zeit den Anschien erweckt, selbst ein Stück Natur zu sein?


"Uncertain future - eat cake now" ist wohl seit vielen Jahren der Impuls, dem Friedrich von Hülsen in seinen Raumbildern und Requisiten für eine bessere Welt folge leistet. Seine Forschungsreisen auf der Suche nach dem Helden im Untergeschoss fließen genau wie seine künstlichen Landschaften, die er mit scupltorscoop.com europaweit baut, als Inspiration in seine Kölner Werkstatt ein. Dort wird das Netz gesponnen, mit dem er die Welt als Ur-Fischer beschippert, um uns regelmäßig seinen Fang zu präsentieren.

Zeitgenössische memento mori und die Beine von Sharon Stone

Im Bartonia Forum zeigt von Hülsen Arbeiten, die sich scheibar uralter Motive - Tod und Versuchung - bedienen. Doch bei genauerer Betrachtung entdeckt man etwa auf der aufwändig gestalteten Glasarbeitet - ein jalousieartiger Druck - ein recht aktuelles Motiv: Der unbekannte irakische Gefangene, der nackt an einer Hundeleine von US-amerikanischen Soldaten vorgeführt wird - ein Bild das sich defintiv ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben dürfte. Und das scheinbar mit Klarlack auf Leinen ausgeführte, großformatige Gemälde lässt den Blick - wie einst jenen von Michael Douglas - zwischen die aufreizend arrangierten Beine einer Dame Fallen. basic instinct scheint hier nicht nur den Film, sondern im Sinne von Vanitas und Psychoanalyse auch jene tief verwurzelten menschlichen Triebe zu thematisieren.

Im Herbst 2009 war eine temporäre Installation Friedrich von Hülsens in einem Privathaus in der Kölner Palanterstraße zu sehen. 2005 stellte er gemeinsam mit Armin Krämer im Rahmen einer von der Kölner Simultanhalle kuratierten Ausstellung im Berliner forever and a day Büro aus.

Stefan Zöllner geht in seinen Arbeiten von den banalen Dingen des Alltags aus. Mit minimalen Eingriffen (Finden, Zerlegen, Neukombinieren) und sparsamen Gesten wird den Dingen das
Wunder eingehaucht. Die so entstandenen Artefakte Zöllners oszillieren zwischen Magie und Wissenschaft, Voodoo und Vision, Witz und Gebet. In einer allgemeinen Mobilmachung setzt sich eine Armada von Kleinigkeiten in Bewegung und der Langeweile entgegen.'

Zöllner verbindet seine mysteriösen Objekte zu im wahrsten Sinne des Wortes fantastischen Installationen. Hier ein Blick auf das Werk 'The Changeling (1)' (2008), ein Beitrag zum Projekt "Unter freiem Himmel" BOTSCHAFT, Düsseldorf
© Stefan Zöllner

Stefan Zöllners Werke hamrmonieren wunderbar mit den den vitrinenartigen Wandnischen in den Ausstellungsräumen. Wie in einem völkerkundlichen Museum kann man die teilweise in Koffern präsentierten, surrealistischen Objekte bestaunen und über deren geheimnisvolle Erscheinung und Funktion spekulieren.

Fremde Wesen in der Tradition surrealistischer Plastik

Eine Beamer-Projektion regt die Fantasie der Betrachter zusätzlich an. Sie zeigt im staccatoartigen Stil eines Daumenkinos, wie sich die geheimnisvollen Objekte - oder sind nur schlafende Lebewesen? - zu einer Installation zusammenfügen. Bescheiden wie Duchamp - der vorgab nur Schach zu spielen - spricht Zöllner von
minimalen Eingriffen, in Wirklichkeit jedoch kreiert der Künstler in komplexes Paralluniversum.

Zöllner - a.k.a. fatagaga - war zuletzt auch
im Rahmen der leider schon vergangenen Großen Kunstausstellung NRW 2010 aktiv, von der kunstlich.com.blog berichtete.

Porno, Adorno, der Ausstellungstitel und die Justiz...


Es ist den Medien immer wieder eine Meldung wert: Der uralte Streit um die Freiheit der Kunst und die feinen Grenzen zwischen Kunst und Pornografie und alle den anderen Dingen, welche die öffentliche Meinung in heftige Erregung versetzen. Das ist auch der Hintergrund des listigen Ausstellungstitels
I KNOW IT WHEN I SEE IT.

Zurück in die Vergangenheit: Zensurupdate 2009


Trotz alle der Kunstskandale des vergangenen Jahrhunderts, die sich nicht immer, aber sehr oft um Sex und andere gefährliche Versuchungen des Lebens (oder steckt etwa der fieseTeufel dahinter?) drehen, bleibt das Sex-Tabu aktuell. Nur selten reagieren Vertreter der Justiz so
pragmatisch wie der verstorbene Potter Stewart (siehe dazu den Essay von Anna Blume Huttenlauch).

Stewart, Richter am amerikanischen Supreme Court, gestand
1964 in einem Prozess über vermeintlich pornografische Kunst, dass es ein äußerst diffizieler Sachverhalt sei. Seine wundervoll pragmatische Antwort auf die Frage, ob es nun Kunst oder Pornografie sei, wurde zum Motto der Kölner Ausstellung: I know it when I see it.

Von Punkern und Philosophen

In diesem Sinne kann hier auch ein passender Buchtipp gegeben werden: Heinz Peter Schwerfels 'Kunstskandale - Vom Tabu zum Meisterwerk'. Die Tradition und Funktion der (oft nur vermeintlichen) Provokation als Motor gesellschaftlicher Prozesse wird auch in dem von kunstlich.com.blog bereits vorgestellten Katalog rattus norvegicus der Sammlung Dahlmann einleitend analysiert. Denn es ist doch immer wieder erstaunlich und - je nach Perspektive auch ernüchternd bis deprimierend - mit welch alten Hüten die vermeintlich so aufgeklärte Gesellschaft sich erregen lässt.

Finger weg! Ausschnitt aus: Agostino Carracci: Lacivie (1590-95)
Standort und
© British Museum, London

Tabubruch und Skandal: Ein abgekartetes Spiel?

Interessant ist aus dieser Perspektive die Etymologie. Denn das Wort Skandal ist nicht von ungefähr mit der Falle und dem Hinterhalt verwandt. Ein Paradebeispiel für einen geglückten, weil perfekt inszenierten und dadurch medienwirksamen Kunst-Skandal ist das Pissoir von Marcel Duchamp. Und das war vor annähernd 100 Jahren! Macht man sich auf die Spur der Tradition des (Kunst-)Skandals, erscheint der gesellschaftliche Fortschritt im Sinne von Aufklärung und Liberalisierung (von der sexuellen Revolution ganz zu schweigen) in einem zwiespältigen Licht...

Scheren im Kopf?

Kunsthistoriker können in diesem Kontext leider nicht als positive Ausnahme genannt werden. Denn der oben gezeigte, eigentlich recht eindeutige Ausschnitt aus einem Stich von
Agostino Carracci wird verklemmt als 'Annäherung an eine Nymphe' beschrieben. Und in diesem Sinne wird ein Stich Carraccis, der die wunderbaren Wesen beim Sex zeigt, als eine 'Umarmung' der beiden beschrieben. Aha!

Nicht auszudenken, was die beiden miteinander so treiben, wenn sie aus der Perspektive der - hier im Sinne der Fairnis nicht genannten - Kunsthistoriker einmal Sex haben sollten. In diesem Sinne hoffen wir an dieser Stelle, dass dieser Text nicht der Internetzensur zum Opfer fällt und sein Autor auf ähnlich pragmatisch
veranlagte Richter trifft wie Stewart...

Service:
Ausstellungsdauer
21. bis 25. April
Öffnungszeiten
Mi 20:00 - 23:00
Do - Sa 11:00 - 23:00
So 11:00 - 22:00
Barthonia Forum
Vogelsanger Str. 66
Köln