Montag, 27. März 2017

Köln: Kolumba - Me in a no-time state - Über das Individuum

Diese im 17. Jahrhundert geschaffene Verkörperung der Dreifaltigkeit ist ein Markenzeichen der Kolumba-Sammlung. Im Hintergrund zu sehen sind zwei Bilder-Dyptichen von Chris Newman. 

Über das Individuum, so nennt das Museum des Kölner Erzbistums Kolumba seine aktuelle Schau, die Werke aus über 1600 Jahren vereint. Und dieser Jahrhunderte, Gattungen und Genres übergreifende Ansatz der Ausstellung ist zu einem Kennzeichen des Hauses geworden. 

Vorab für alle, die das Museum noch nicht besucht haben: Die von Peter Zumthor unter Mitarbeit von Rainer Weitschies geschaffene Architektur an sich ist bereits einen Besuch wert. Und die aktuelle Ausstellung ebenso. Es ist ein ungewöhnlicher Ort, der aus der Landschaft der langweiligen, weil oft monoton und oberflächlichen Ausstellungsfabriken der Gegenwart herausragt. 

Die Verschiedenartigkeit der Räume, der zu einem Ensemble verbundenen Baukörper bleibt immer sichtbar und lädt zu Entdeckungen ein.
Im Erdgeschoss gelingt es Zumthor, die 2000jährige Baugeschichte des Ortes zu vermitteln. Zunächst durch die begehbare Ausgrabungsstätte, die beeindruckt, sensibilisiert und so Lust auf die Geschichte des Ortes weckt. 

Wider den gängigen Kunstkonsum der Gegenwart

Dann die geschickte Einbindung von Gottfried Böhms auch heute noch modern anmutender Kolumbakapelle mit der spätgotischen, 'Madonna in den Trümmern', der faszinierenden Innenausstattung, die von Künstler wie Ludwig Gies, Ewald Mataré und Elisabeth Treskow geschaffen wurde. 

Die bereits erwähnte Madonna überstand wie durch ein Wunder den verheerenden Bombenangriff von 1943. Sie ragte aus den Trümmern, wie eine Frühlingsblume die durch den schwarzen Schnee der Bombennächte bricht, und erheilt so ihren heutigen Namen. Die Reste der gotischen Kirche und nicht zuletzt der herrlich ruhige Hof, der einmal Friedhof war - das Verschiedene verschmilzt zu einem harmonischen Ganzen.

Von Robotern und Ruinen

Zumthors Architektur, die sich fugenlos auf die Ruinen stützt, ist so einzigartig, weil spezifisch für den Ort geschaffen, dass es scheint, als reagiere die aktuelle Ausstellung auch auf die Individualität des Baukörpers. Wen wundert's? Schließlich feiert das 2007 wiedereröffnete Museum in diesem Jahr 10 Jahre Kolumba.
 

Und dass die Ausstellung an dem noch immer sakral anmutenden Ort zum Thema Individuum mit Vitrinen voller Roboter beginnt, zeugt von feinem Humor, von Lust an Irritation und sensibler Überraschung. Da es sich bei der Schau um eine Gruppenausstellung mit über 30 Positionen handelt, können wir im Folgenden natürlich nur einzelne hervorheben. Doch das kostenlose Begleitheft zur Ausstellung liefert zu allen Werken ausführliche Informationen.

Die bereits erwähnten Roboter sind eine Schenkung der 2010 verstorbenen, Kölner Künstlerin Krimhild Becker. Bei ihren Maschinenmenschen handelt es sich um Robotermodelle der 1960er bis 1990er Jahre. Und obwohl sie sich teils in großer Anzahl in den Glashäusern drängeln, wird der aufmerksame Betrachter auch an ihnen bereits Aspekte des Individuums wie individuelle Gebrauchsspuren erkennen können.        

Golem und der Mann ohne Eigenschaften


Am Ende des Treppenaufgangs zum ersten Ausstellungsgeschoss erwartet uns eine dünne, abstrakte Form. Golem nannte Kurt Benning, der in dieser Ausstellung mit vielen Werken umfangreich vertreten ist, diese wie eine riesige Kiefernadel geformte Figur, die sich an die Museumswand lehnt. Oder sind es die Beine einer noch im Wachsen begriffenen anthropomorphen Figur, die nach der sagenhaften Golem-Geschichte aus der jüdischen Mystik benannt wurde?

Wie die Faust auf's Auge fügt sich das Mappenwerk Stefan Wewerkas 'Der Mann ohne Eigenschaften' mit 25 Radierungen, die von Jürgen Klauke ausgeführt wurden in die Ausstellung. Musils Roman war für Wewerka von zentraler Bedeutung, er begleitete ihn auf seinen Reisen. Und auch Krimhild Beckers 7 Dyptichen laden den Besucher der Ausstellung zu Reisen durch die Zeit ein. 


Was ist der Mensch? 

Dieser für die Künstlerin seit den 1970er Jahren zentralen Frage scheint sich Krimhild hier in Form von zunächst schlicht anmutenden Raum- oder Objektportraits zu nähern. Nimmt man sich jedoch etwas Zeit für die Betrachtung der alltäglichen, von Krimhild fotografisch dokumentierten Szenen entwickeln sich Geschichten, erinnert und verbindet sich etwas im Betrachter mit dem von der Künstlerin abgebildeten Räumen. Wir knüpfen an, wenn wir uns dazu entschließen, einen Dialog mit den Werken zu führen. Der Rezipient befragt das Werk und liefert zugleich selbst die aus seinem Erinnerungs- undn Erfahrungsschatz resultiierende Antwort.

Räume und Werke, die zum Verweilen einladen 


Nicht gespiegelt, sondern ganz direkt zeigt sich das Individuum in den Videoportraits von Kurt Benning. 50 Videos wurden aus dem Langzeitprojekt (1996-2015) des Künstlers ausgewählt. Auch hier sollte man sich, ja muss man sich Zeit nehmen. Rund 150 Menschen dokumentierte Benning in diesem Projekt insgesamt. Er filmte sie statisch in ihrer gewohnten Umgebung, nur die Zoomfunktion der Kamera belebt die reduzierten Aufnahmen. Von Benning dazu aufgefordert, berichten die Portraitierten 60 Minuten lang darüber, was sie bewegt.

Ganz anders dagegen mutet Stefan Wewerkas CELLA genannte Installation an. Der 2013 verstorbene Architekt, Designer und bildende Künstler liefert mit diesem 1984 geschaffenen Werk eine humorvolle, funktionale, an das Bauhaus erinnernde möbelartige Plastik, die deutlich von seiner Ablehnung der Trennung von angewandter und freier Kunst zeugt. In Zeiten des wieder knapp gewordenen Wohnraums erscheint die nur postmodern anmutende Kleinwohneinheit, ein Thema das Wewerka seit den 1950er Jahren beschäftigte, erstaunlich aktuell.



Die 1975 geschaffene Rauminstallation Tragedia civile des jüngst verstorbenen Jannis Kounellis wird leider völlig von Chris Newman Installation Relief Behavior Option verdeckt. Daher verwundert es umso mehr, dass es sich hierbei um eine Hommage an Kounellis anlässlich dessen 80. Geburtstags handelt. Nur wer sich dem Ausstellungskatalog bedient, kann der Intention Newmans, der dialektischen Verweigerung des Blickes auf Kounellis Werk, folgen und versuchen, die komplexe Hommage nachzuvollziehen.

Wohltuend zauberhaft, wie ein Märchen mutet dagegen die Geschichte hinter dem zweiten Großprojekt Kurt Bennings an: Burgtreswitzmensch. 40 Jahre arbeitete der Künstler an diesem Werk, das auf den Hinterlassenschaften einer Familie gründet, die nach dem zweiten Weltkrieg die oberpfälzische Burg Treswitz bewohnte. Wie aus der Zeit gefallen wirken die verschiedenartigen Überbleibsel. Für Brenning wurden sie zu Zeugnissen des Burgtreswitzmenschen, einem bedrohten Außenseiterwesen, das sich durch die Flucht in die eigene Welt immer weiter von der anderen entfernte.                
 

Mehr in Kürze…

Und hier zum Schluss der Text des Museums zur Ausstellung: 


''Jeder neuzeitliche Kunstbegriff unterstellt die Einzigartigkeit der individuellen schöpferischen Leistung. Bereits im Mittelalter galt der »artifex« als herausgehobene Künstlerpersönlichkeit, die aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten zur Innovation befähigt war. Was liegt daher näher, als mit dem Medium Kunst über den Begriff des Individuums zu reflektieren?

Mit der spätmittelalterlichen Werkgruppe der »Vier Gekrönten« liefert die Museumssammlung den Anlass dazu. Denn das spektakuläre Ergebnis einer siebenjährigen Restaurierung zeigt deren erhaltene Originalfassung als brillanten Beleg einer detailreichen Individuation. Die Frage nach dem Individuum (lat. Unteilbares/ Einzelding) besitzt höchste Aktualität. Wir erleben in einer erschreckenden Weise, wie die Identifikation des Subjekts mit Geld und Macht immer stärkere soziale Missstände produziert, wie Gewalt und Korruption den Zusammenhalt der  Gesellschaften zerstören, wie grundlegende Werte – Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Toleranz – in Frage gestellt und eingeschränkt werden.

Terroristische Gewalttaten richten sich gezielt gegen die Freiheit des Individuums und machen die Massen empfänglich für populistische Strategien, für politische Demagogie und religiösen Fanatismus. Was also prägt das Individuum, was bestimmt sein Handeln? Ist die äußere Erscheinung maßgeblich, etwa in Kleidung und Schmuck, sind es die Dinge, das Auto, der Klingelton des Handys? Welche Bedeutung haben Kultur und Sprache, Heimat und Behausung,  reale Existenzbedingungen und soziale Kontexte?

Ist das Subjekt überhaupt als autonom und einheitlich zu denken, oder sollte man viel eher von einer Instanz sprechen, die von jedem Einzelnen immer wieder konstruiert und revidiert werden muss? Wie wesentlich ist dabei der Anteil von Vernunft und Wille, Bildung und Glaube, von Erfahrungen und Erinnerungen? Was bedingt eine Haltung, die den Freiraum des Einzelnen in einer solidarischen Gemeinschaft vertritt und erst damit der Fortschreibung Europas eine Perspektive verleiht?

Die am eigenen Bestand orientierte Ausstellung wird um eine große Leihgabe der Hohen Domkirche und um zwei Künstlerräume erweitert, die von Chris Newman und Martin Assig realisiert wurden. Kurt Bennings »opus magnum«, der über die Dauer von vierzig Jahren entstandenen Arbeit »Burgtreswitzmensch«, widmen wir eine eigene Ausstellung.

Ausgestellte Werke des 5. bis 21. Jahrhunderts: Andachtsbildchen, Ars moriendi, Ex Votos, Fotografien, Geduldflaschen, Gemälde, Goldschmiedekunst, Installationen, Kinderzeichnungen, Koptische Textilien, Mappenwerke, Möbel, Roboter, Rosenkränze, Schmuck, Skulpturen, Videos, Volkskunst, Wachsbossierungen, Zeichnungen

Ausgestellte Künstler: Anonymus, Martin Assig, Stephan Baumkötter, Krimhild Becker, Kurt Benning, Anna und Bernhard Blume, Ramón Puig Cuyàs, Beate Eismann, Jeremias Geisselbrunn, Caspar Bernhard Hardy, Bethan Huws, Svenja John, Mirjam Hiller, Franz Ittenbach, Hilde Janich, Hans Josephsohn, Michael Kalmbach, Jannis Kounellis, Konrad Kuyn, Eugène Leroy, Stefan Lochner, Carla Messmann, Chris Newman, Heinrich Parler, Francesco Pavan, Sano di Pietro, Gerd Rothmann, Norbert Schwontkowski, Michael von Savoyen, Richard Serra, Stefan Wewerka, Josef Wolf, Annamaria Zanella.''


Service und Links
»Me in a no-time state« – Über das Individuum 
noch bis zum 14.August 2017  
- die Website des Museums zur Kölner Ausstellung Me in a no-time state - Über das Individuum, hier
- mehr über Kolumba bei Wikipedia, hier 

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