Wer regelmäßig durch Ausstellungsräume streift, kennt das Gefühl: Das kenne ich doch! So ging es uns zuletzt bei der aktuellen Schau im Duisburger Lehmbruck Museum, das Jana Sterbak eine Retrospektive widmet. Mit dem Motiv der Frau im Fleischkleid haben die Kuratoren einen perfekten Köder ausgelegt. Er zieht Blicke auf sich.
Doch zunächst zurück zum einleitenden Gefühl. Handelt es sich bei der Arbeit um ein Plagiat, eine Hommage oder Unwissenheit bzw. -kenntnis? Man muss ja nicht gleich - wie der von uns geschätzte Timm Ulrichs - Böses denken. Denn dass der unglaublich umtriebige, in Kürze 77jährige Ulrichs immer wieder mal mehr, mal weniger öffentlich beklagt, jene Arbeit sei eine schlechte Kopie bzw. ein unverschämtes Plagiat einer Arbeit von ihm aus den 1960er, 1970ern oder 1980ern, macht die Sache nicht besser.
Der geniale, selbsternannte und tatsächliche Totalkünstler ist letztlich Opfer seiner jahrzehntelang anhaltenden Produktivität geworden. Zielführender ist daher ein Dialog, der die Frage, ob es sich um ein Plagiat, eine Hommage oder schlichte Unwissenheit handelt, klären hilft. Und mal ehrlich: Wen wundert es, dass bei einer so immensen Kunstproduktion, wie wir sie seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erleben dürfen, Ideen nicht nur in einem Kopf auftauchen?
Nur ein Remix oder was?
Zurecht wurde die Auffassung, der Künstlergenius müsse aus dem Nichts immer wieder einzigartige Arbeiten entwickeln und realisieren in Frage gestellt. Und angesichts des zuvor erwähnten Ausmaßes an künstlerischer Produktion wird es nicht leichter, diesen fragwürdigen Anspruch zu erfüllen. Nach diesen einleitenden Gedanken kommen wir nun aber zurück nach Duisburg. Nach einem kurzem Zwischenstopp in Köln, Haltestelle Volkhoven.
Dort stellte der Fotograf Eberhard Weible 2002 irritierende Portraits in der Simultanhalle aus. Die großformatigen Fotoarbeiten spielten mit dem klassischen Sujet, variierten zwischen Modefotografie und theatraler Inszenierung. Und der gemeinsame Nenner der von Weible portraitierten Menschen war die tierische zweite Haut.
Die tierische, zweite Haut, ein Vegetarier-Alptraum
Weible inszenierte seine Modelle in Schweine- und Rinderdärme gekleidet oder in Pansen gehüllt. Augen wurden zur Kette, ein gehäuteter Hase zum Schal, eine Lunge wurde - wie der Kopf eines Fisches - zum exzentrischen Hut. Doch der Künstler zielte weniger auf Ekeleffekt und Skandal als auf die verborgenen Seiten der Portraitierten. Denn durch die ungewöhnliche Materialität und Form der tierischen Bekleidung unterstrich er ihre individuellen Eigenschaften.
Die Arbeiten der tschechisch-kanadischen Künstlerin Jana Sterbak dagegen kreisen um große Themen wie Liebe, Leben und Tod, heisst es im Begleittext und den Pressemitteilungen des Duisburger Museums. In ihrem poetischen wie vielseitigen Werk sind Fleisch, Haut, Haare, Leder, Stein, Brot und auch Eis künstlerisches Material. So viel zum Thema Vergänglichkeit. Und beim Plakatmotiv handelt es sich um ihre legendären Arbeit Vanitas. Flesh Dress for an Albino Anorexic von 1987.
Von Albinos, Mager- und Sehnsüchten und Lady Gaga
Sterbaks heftig umstrittene Vanitas-Arbeit (auf Deutsch etwa Fleischkleid für einen magersüchtigen Albino, so der Untertiel) steht im Zentrum der Duisburger Ausstellung. Die Künstlerin nähte rohes Fleisch zu einem Kleid, ließ sich darin fotografieren und knüpfte somit ästhetisch an kunsthistorische Traditionen wie das Vanitas-Stillleben an. Zugleich aber gelang es Sterbak, mit dem Untertitel politische, feministische Themen zu transportieren, die Problematik von psychosomatischen Störungen und Sehnsüchten nach einem anderen Körper.
Die Frau als Objekt, wie ein Stück Fleisch in der Metzgerei? Kunsthistorisch versierte Popkulturenthusiasten erkannten das Motiv des Fleischkleides natürlich sofort, als die damals international gefeierte Popkünstlerin Lady Gaga bei den MTV Video Music Awards eine Kopie von Sterbaks Entwurf trug. Und deren gewohnt kalkulierter, erfolgreicher Skandal versinnbildlichte nur allzu deutlich das kulturelle Kurzzeitgedächtnis des Internetzeitalters.
Hier sehen wir Sterbaks Arbeit 'Vanitas. Flesh Dress for an Albino Anorexic' von 1987 © Jana Sterbak / MNAM Centre Pompidou, Paris |
Allerdings mutet auch Jana Sterbaks Brot Bett genannte Installation von 1996 wie eine Anleihe an Arbeiten aus den 1960er und 1970er Jahren an.. In jenen wilden Jahren musste Kunst auch schon mal essbar sein. Von Künstlerkot über Kartoffeln und Schokolade, zahlreiche andere Kunstschaffende haben sich solcher Materialien und Themen wie dem Verfall gewidmet. Und der steinerne Sisyphos-Rucksack könnte auch eine Arbeit des einleitend erwähnten Totalkünstlers Timm Ulrichs sein. Könnte.
Surrealismus, Symbolismus, Sensualität - die Vermessung des Menschen als zentrales Thema der Künstlerin Jana Sterbak
Oder die Maske genannte Arbeit von Sterbak aus dem Jahr 2015. Das kunstvolle Kleid und tschadorartige Uniform zugleich ist. Wäre es von Ai Weiwei, würden viele von banaler, klischeehafter Politkunst sprechen. Dennoch, Jana Sterbaks thematisiert zurecht die brinsanten, weil zunehmend verwischten Grenzen von Intimität und Öffentlichkeit in unserer Gesellschaft in vielen ihrer Werke. Und der Pressetext verspricht eine Analyse ihrer Arbeiten im Kontext der feministischen Avantgarde, da Sterbak neue Wege fand, weibliche Stereotypen und Projektionen zu thematisieren.
Fazit: Die Schau bietet einen spannenden Überblick über das skulpturale, performative, fotografische und filmische Werk einer Künstlerin, der seit 2002 im deutschsprachigen Raum keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt wurde. Es handelt sich um einen retrospektiven Überblick auf das Werk einer originellen Protagonistin der Konzept-Kunst, die als Teil der feministischen Avantgarde des späten 20. Jahrhunderts sicherlich auch Kunstgeschichte geschrieben hat.
Jede Arbeit ist eine Entdeckungsreise, so die Künstlerin Sterbak. Und wer keine Angst vor Parallelen und Lust an poetischen wie verspielten Werken hat, der sollte nach Duisburg fahren.
Service und Links
Jana Sterbak. Life-Size. Lebensgröße
noch bis zum 11. Juni
Lehmbruck Museum / Wilhelm Lehmbruck Museum
Friedrich-Wilhelm-Straße 40
47051 Duisburg
+49(0)203 2832630
info@lehmbruckmuseum.de
- die Website zur Ausstellung Jana Sterbak. Life-Size. Lebensgröße, hier
- die Website von Eberhard Weber zur Ausstellung Kleider, hier
- Arbeiten von Eberhard Weible sind noch bis zum 16. April in der Kunsthalle Lindenthal zu sehen, hier
- Michael Köhler über Jana Sterbak im Lehmbruck-Museum, hier
- eine WDR-Fotogalerie zur Jana Sterbak-Ausstellung, hier
- Christiane Meixner über Jana Sterbak im Lehmbruck Museum, hier
- auch sehenswert: Die Mutter des Museum Ludwig, die Kölner Simultanhalle, hier
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