Samstag, 15. Oktober 2016

Gegenwart und Zukunft digitaler Kunstgeschichte - Fazit prometheus Tagung

Ein Screenshot einer Suche mit dem Begriff 'Falle' in der verteilten Datenbank prometheus.
© prometheus

Sicherlich, die über 15.000 Suchanfragen pro Tag – viel mehr als die DDB (Deutsche Digitale Bibliothek) oder die EUROPEANA (die europäische Metasuchmaschine) verzeichnen können – machen deutlich, wie sehr sich prometheus in den letzten Jahren etablieren konnte. Zumindest an den deutschsprachigen Universitäten.

Warum Schulen dieses kostengünstige, wissenschaftliche System nicht flächengreifend nutzen, bleibt ein Rätsel. Denn prometheus ist viel mehr als eine Meta-Suchmaschine mit für Forschung und Lehre nützlichen Werkzeugen wie Arbeitsmappen. Der gemeinnützige Verein hinter der prometheus-Datenbank versteht sich als ein Impuls- und Ideengeber, ein Netzwerk für die digitale Kulturgeschichte. In diesem Sinne steht die vielseitig besetzte Tagung, die zugleich Jubiläumsfeier war, für die Idee, die Bedingungen der digitalen Kunst- und Kulturwissenschaften zu diskutieren und gemeinsam zu gestalten.

Von der Aura des Originals zu linked open data…


Wir haben die Tagung mit Vertretern aus (fast) allen Bereichen der Kulturwissenschaft (Kulturschaffende, Studierende, Forschende/Lehrende, Informatiker/Programmierer, Vertreter von Museen und Archiven etc.) verfolgt und waren nicht überrascht, dass mit Gundolf S. Freyermuth auch ein Experte für den Bereich der zunehmend als Motor der IT-Industrie wirksamen Spieleindustrie als Redner dabei war.

…über die camera obscura zur game engine…


Das Fazit nach 15 Jahren digitaler Kunstgeschichte ist zwiespältig. Auf der einen Seite stehen zunehmende Erfolge bei deren Etablierung und der Digitalisierung der Bestände, unzählige unter dem Label digital humanities summierte Studiengänge und – dank der Fortschritte der Technik – beeindruckende Projekte auf dem Bereich der (3D)Visiualisierung.

...zu digitalen Rekonstruktionen und perfekten 3-D-Kopien…


Auf der anderen Seite stehen nach wie vor unzählige Projekte, die digitale Kulturwissenschaft und Datenbanken lediglich als eine Übertragung der im analogen Zeitalter üblichen Methoden und Techniken betreiben. Grundlegende Aspekte wie die Zugänglichkeit der Daten und Methodenkritik scheinen keine Rolle zu spielen, die Experten bleiben in ihrem (jetzt digitalen) Turm, scheint es.

…bis hin zu Bilderkennungsverfahren…


Doch die Frage der Zugänglichkeit ist vielfältig und wirkmächtig: Wer bestimmt eigentlich, was digitalisiert wird und warum? Schon bald wird die Mehrheit der Studierenden davon ausgehen, dass die Suchmaschine alles liefert, oder anders, zugespitzt formuliert, was nicht digital vorliegt, existiert nicht. Und wer definiert die Standards für die Erfassung, welche Standards werden übernommen, was bilden diese Standards ab, was nicht?

…und automatischer Inhaltserschließung…


Zugegeben, die spannende Frage nach dem Einfluss der digitalen Medien auf die kulturwisschaftliche Forschung und Lehre lässt sich wissenschaftlich erst mit dem gebotenen, historischen Abstand klären. Doch die Sensibilität für die Bedeutung, den Einfluss der digitalen Medien und Werkzeuge auf Forschung und Lehre sollte schon jetzt vorhanden sein bzw. vermittelt werden. Quellen-, Methoden- und Medienkritik sind wichtiger denn je.

...über Fragen zur historischen Entwicklung der digital humanities…


Hier folgen einige spannende Aspekte, Fragen und Thesen der Tagung, die von der inspirierenden Vielseitigkeit der diskutierten Themen zeugen. Einleitend widerlegte Horst Bredekamp überzeugend das Klischee der getrennten Welten der Natur- und der Geisteswissenschaften und erinnerte (stellvertretend für andere geisteswissenschaftliche Disziplinen) an die innovative Kraft der Kunstgeschichte.

…zu den Folgen der Computisierung der Geisteswissenschaften…


Wie kann die von den Naturwissenschaften auf die Geisteswissenschaften übertragene, eindimensionale Verwertungsperspektive in ihrer Dominanz entschärft und das kreative Potential der Geisteswissenschaften widerbelebt werden? …Gundolf S. Freymuth stellte die zeitgenössische Game Engine in die Tradition der Visualisierungsmaschinen der Vergangenheit. Und evozierte somit die Frage, wie der zunehmende Einsatz der software basierten, virtuellen Realitäten sich auf die Kulturwissenschaften auswirken wird?

…für die historischen Bildspeicher und deren Zukunft…


Anhand der Milchmagd Vermeers illustrierte Werner Schweibenz den Kampf eines Museums um die Abbildungs- und Rezeptionshoheit eines Gemäldes. Welchen Einfluss werden die zunehmend perfekten Reproduktionstechniken auf das Ausstellungswesen, die Arbeit von Museen haben? Wird man schon bald auf aufwendige, somit teure und das Original potentiell strapaziernde Ausleihen von Werken verzichten und sich (wieder) auf die Arbeit mit der eigenen Sammlung konzentrieren? Also zurück nach vorne zu Ausstellungen von lokal verfügbaren Originalen, die von perfekten 3-D-Kopien anderer Werke flankiert werden?

…und den Rechten und Pflichten der Museen und Archive…


Laut einer in nationales Recht umgesetzten EG-Richlinie müssen Kulturinstitutionen ihre Schätze, ihre Metadaten menschen- und maschinenlesbar online zur Verfügung stellen. Wie ist es um die Erfüllung dieser Aufgabe gestellt und wann werden die Institutionen ihr gerecht? Und was bedeutet dies für Metasuchmaschinen wie prometheus? Mit welchen Ansätzen kann die Unsicherheit im Umgang mit Digitalisaten aufgrund der Nicht-Existenz eines zeitgemäßen Urheberrechts begegnet werden?

…hin zu den Potentialen der Digitalisierung für Forschung und Lehre…


Margarete Pratschke skizzierte die Digitalisierung der US-amerikanischen Kunstgeschichte. Welche Auswirkungen hat die strategische Erschließung der geisteswissenschaftlichen Fächer durch kommerzielle Unternehmen wie IBM auf die Disziplinen? Ist die Fokussierung auf traditionelle lexikalische oder formanalytische Kunstgeschichte Folge der Digitalisierung der Disziplin? Eine vergleichende Analyse der historischen Dimension der Digitalisierung dürfte wichtige Erkenntnisse für die aktuelle Diskussion und Orientierung liefern und die unverzichtbare Methodenkritik der Disziplinen befördern.

…von der Notwendigkeit einer Methodenkritik…


Die beachtlichen Fortschritte in den Bereichen 3-D-Visualisierungen und kollaborativer Wissensplattformen/Datenbanken erlauben Forschungsinfrastrukturen, die zunehmend auch den Forderungen nach wissenschaftlicher Nachvollziehbarkeit gerecht werden. Aber wie kann die enorme Diskrepanz zwischen der perfekten Visualisierung/Rekonstruktion verlorener Kulturgüter und der vorhandenen Unschärfe der Forschungsergebnisse visualisiert werden?

Fazit


Nur eines ist am Ende der Tagung klar: prometheus wird und will in den kommenden 15 Jahren nicht mehr das heute etablierte System sein, sondern versteht sich als kritischer Impulsgeber, als Labor für künftige Anwendungen und Notwendigkeiten der erwachsen werdenden digitalen Kulturwissenschaften.

Service und Links 

- das Tagungsprogramm als PDF mit allen Referenten und Themen, hier 
- der prometheus-blog, hier
- aktuelle Forschungsprojekte von und mit prometheus, hier
- der Arbeitskreis digitale Kunstgeschichte, hier

- der NMC (New Media Consortium) Horizon Report 2015, hier

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