Samstag, 30. Juli 2016
Avantgarde und NS-Propaganda
‚Vom Avantgardisten zum Diener der Macht, vom Pionier zum Kollaborateur - so könnte man den Werdegang des Regisseurs Walter Ruttmann beschreiben‘ formuliert Katja Nicodemus zurecht vorsichtig. Denn so leicht lässt sich über die Verstrickung bedeutender Künstler im NS-Regime nicht urteilen.
Ruttmanns Film "Berlin. Die Sinfonie der Großstadt" von 1927 gehört zu den bedeutendsten Filmwerken dieser Zeit und wurde international beachtet. Weniger bekannt ist jedoch der Werdegang Ruttmann im NS-Regime, für das er zahlreiche Propaganda-Filme drehte, bevor er 1941 starb.
Vom Pionier zum Propagandisten
Diese Entwicklung lässt sich auch im Leben des jüngeren Film- und Fotografiepioniers Alfred Ehrhardt verfolgen. Und er konnte nach dem Untergang des NS-Regimes sogar wieder an seine frühen Erfolge anknüpfen. So drehte der Bauhausschüler Alfred Ehrhardt 1959 etwa zwei Filme über die documenta II in Kassel.
Doch dass der Vertreter der Schule des „Neue Sehens“ Ehrhart, der bei Josef Albers, Oskar Schlemmers und Wassily Kandinskys lernte, mit der filmischen Dokumentation der avangardistischen Kunstausstellung documenta II beauftragt wurde, ist aufgrund seiner Propaganda-Filme für das NS-Regime auf den ersten Blick überraschend.
Kein leichter Stoff für schnelle Urteile…
An den Biografien von Ruttmann und Ehrhardt lässt sich die nicht immer eindeutige Verstrickung, der teils fragwürdige Überlebenskampf der nicht ins Exil geflüchteten, deutschen Avantgarde im NS-Regime stellvertretend verfolgen.
Links
- Katja Nicodemus‘ Beitrag über den Filmpionier Walter Ruttmann, hier
- Gerd Mörsch: Vortrag über die beiden documenta Filme von Alfred Ehrhardt, hier
- Die Website der Alfred Ehrhardt Stiftung, hier
- Walter Ruttmann bei medienkunstnetz.de, hier
Donnerstag, 28. Juli 2016
Vor 100 Jahren...
Dienstag, 26. Juli 2016
Leverkusen: Polke und Richter: Schöne Bescherung - noch bis zum 28. August
Ein Screenshot der Website des Museums zur Ausstellung Sigmar Polke - Gerhard Richter © Museum Morsbroich, Gerhard Richter, Foto: dieterklein.de |
Das noch vor wenigen Wochen aufgrund unsäglicher Kürzungsdebatten (siehe dazu hier) bundesweit zumindest in den Feullieton-Schlagzeilen befindliche Leverkusener Museum Morsbroich zeigt in seiner Graphiketage eine kleine aber feine Ausstellung mit Werken von Sigmar Polke und Gerhard Richter.
Die beiden Künstler waren sich Anfang der 1960er so nahe, dass sie nicht mehr miteinander pokern konnten. Diese enge Verbindung spiegelt sich in dem inzwischen berühmten Bild vom gemeinsamen Bad (1966, siehe unten) oder Richters Siebdruck 'Hotel Diana' (1967), das Polke und Richter Bett an Bett im Billighotel zeigt. Die geistige Verwandtschaft von Polke und Richter führte zur Gründung der kunsthistorisch bedeutsamen Gruppe Kapitalistischer Realismus.
Perry Rhodan, Polke und Richter, Lueg und Kuttner
Zwischen 1963 und 1966 veranstalteten Gerhard Richter (damals noch Gerd Richter), Konrad Lueg (Künstlername des späteren Galeristen Konrad Fischer), Sigmar Polke und Manfred Kuttner gemeinsam unter dem Namen Kapitalistischer Realismus zahlreiche Ausstellungen und Performances. Stephan Strsembski hat sich in seiner Dissertation intensiv mit dem Kapitalistischer Realismus auseinandergesetzt. Siehe dazu unseren Buchtipp hier.
Eine rund 50 Jahre zurückliegende Gemeinschaftsausstellung in der Hannoveraner Galerie h von August Haseke ist Anlass für die Leverkusener Ausstellung. Polke selbst bezeichnete das für die Hannoveraner Ausstellung entstandene Künstlerbuch in einem Brief an den Galeristen als ‚der beste Katalog, der jemals – jedenfalls bis jetzt – gemacht worden ist.'
Perry Rhodan, Polke und Captain Richter schritten durch die Gasse, die von den epsalischen Kommandoleuten gebildet wurden…
Wasser sparen oder intimer Plausch? Sigmar Polke (hinten) und Gerhard Richter (vorne) beim legendären gemeinsamen Bad 1966. Foto: Courtesy Gerhard Richter Archiv, © Gerhard Richter, 2016 |
Das Künstlerbuch ist eine Collage von Zitaten aus damals populären Heftromanen (vor allem Perry Rhodan), eigenen Texten und Fotografien. Und zu den darin publizierten Aufnahmen der beiden Künstlerfreunde gehört das berühmte Bild mit den beiden Jungs in der Badewanne. Und die Leverkusener Ausstellung präsentiert weitere Werke Sigmar Polkes, die diesen humorvollen wie subversiven Geist der 1960er Jahre atmen.
Höhere Wesen, Pop, Kult und Politik
Auch wenn Polke und Richter trotz ihrer gemeinsamen Wahlheimat Köln nach 1970 getrennte Wege gehen und sich - so das Leverkusener Begleitheft zur Ausstellung – nur einmal in Köln besuchten, gibt es - wen wundert’s - in ihrem Schaffen zahlreiche Parallelen. Etwa Polkes zufallsgesteuerte Klecksografien (1985) und Richters Edition November (2008). Beide lassen farbige Tinte durch das Papier dringen und entwickeln aus den auf den Rückseiten entstandenen Farbverläufen eigenständige Bilder.
Richter und Polke, die Ausstellung schafft einen passend zu den Arbeiten lockeren Dialog zwischen den beiden Künstlern, der durch zahlreiche Werke von Gerhard Richter aus der - zuletzt durch die Schließungsdebatte bundesweit bekannt gewordenen - museumseigenen Sammlung ergänzt wird.
Kunst, Kommerz, Ironie und Subversion
Der subversive Humor, die herrliche Selbstironie, die beide in den wilden 1960er Jahren verband, zeigt sich besonders gut in einem Werk, das sie gemeinsam schufen. Es scheint, als wollten sie sich den Anfängen des Künstlerkults entziehen, so wie Polkes es mit seiner berühmten, schwarzen Ecke am oberen Bildrand tat. In der Umwandlung (1968) genannten Arbeit lösen sie mit vereinten Kräften in den 5 Phasen eines Offsetdrucks mit magischen Kräften ein Bergmassiv auf und verwandeln es in eine sphärische Kugel – zauberhaft…
Zuletzt noch ein Tipp für alle mit kleinem Geldbeutel, die Kunst kaufen wollen. Das Museum vertreibt limitierte Editionen zur Ausstellung:
- Gerhard Richter: EIS, farbiges Faksimile des von Gerhard Richter gestalteten, ursprünglichen Entwurfs für das 1981 herausgegebene Künstlerbuch EIS, € 98,-
- Sigmar Polke: Stenogramme, farbiges, spiralgebundenes Faksimile des von Sigmar Polke 1985 bearbeiteten Stenogrammblocks mit handschriftlich kommentierten Flecken-Experimenten, € 48,-
- Sigmar Polke: Diabolik, S/W broschiertes Faksimile einer von Sigmar Polke 1979 durch das Collagieren von Text- und Bildelementen bearbeiteten Ausgabe des italienischen Comics Diabolik, € 48,-
Alle drei Editionen sind limitierte Auflagen von 350 nummerierten Exemplaren, die Preise gelten im Museum bis Ende der Ausstellung.
Service
Museum Morsbroich
Gustav-Heinemann-Str. 80
51377 Leverkusen
Tel 0214 85556-0
museum-morsbroich@kulturstadtlev.de
lobenswert ist das kleine, kostenlose Begleitheft zur Ausstellung
Links
- Sigmar Polke in der DDB (Deutsche Digitale Bibliothek), hier
- Gerhard Richter in der DDB (Deutsche Digitale Bibliothek) hier
- Buchtipp: Stephan Strsembski: Kapitalistischer Realismus. Objekt und Kritik in der Kunst der 60er Jahre, hier
- Sigmar Polke und sein filmisches Werk, das Feature von Beate Becker, hier
- Sigmar Polke und sein filmisches Werk, das Feature in Textform als PDF, hier
- die Website zur Polke-Retrospektive 2015, Köln Museum Ludwig, hier
- kunstlich-Beitrag anlässlich des Todes von Polke im Jahre 2011, hier
- ein Nachruf auf den ironischen Alchemisten Polke, hier
Montag, 25. Juli 2016
Sonntag, 24. Juli 2016
PKK XIX: Wuppertal - Tony Cragg - Parts Of The World
Freitag, 22. Juli 2016
TIPP: Villa Hügel. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Essen
Auch wenn mittlerweile unzählige Reportagen und Dokumentationen über die Familie Krupp ihr sonntagnachmittägliches Unwesen im deutschen Fernsehprogramm treiben, bietet das Gebäude, doch die eine und andere Überraschung.
Vor allem die Größe der Villa Hügel steht, weder in ihren äußeren Abmessungen, noch in der Dimensionierung der Repräsentativen Räumlichkeiten in ihrem Inneren, in keinem Verhältnis zu irgendeiner so genannten Villa. Es handelt sich von der Aufteilung und Ausstattung eher um ein Schloss, in dem diese Familie residierte, arbeitete und vor allem empfing was Rang und Namen hatte.
Es war unter Industriellen nicht unüblich Herrschaftssitze wie Schlösser zu erwerben, aber eines von Grund auf zu erbauen macht die Villa Hügel, die Alfred Krupp 1870 - 1873 bauen ließ, zu mehr als einem Unternehmerwohnsitz. Mit 269 Räumen auf 8100 m2 handelt es sich nicht nur für heutige Vorstellungen um ein beeindruckendes Gebäude.
Es war unter Industriellen nicht unüblich Herrschaftssitze wie Schlösser zu erwerben, aber eines von Grund auf zu erbauen macht die Villa Hügel, die Alfred Krupp 1870 - 1873 bauen ließ, zu mehr als einem Unternehmerwohnsitz. Mit 269 Räumen auf 8100 m2 handelt es sich nicht nur für heutige Vorstellungen um ein beeindruckendes Gebäude.
Gartenansicht der © Villa Hügel. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung / Foto: Iven Paschmanns |
Auf der Höhe der Zeit
Die Innenausstattung des Historistischen Gebäudes muss in Qualität und Ausfertigung den Vergleich mit seine Vorbildern nicht scheuen. Dennoch bleibt beim Besucher immer die Frage nach der Phantasie des Bauherren.
Warum konnte jemand mit außergewöhnlichen Möglichkeiten im finanziellen und technischen Bereich nicht mehr schaffen als eine Kopie vorausgegangener Stile? Aber genau hier täuscht der erste Eindruck, den der "normale" Besucher hat - denn interessant sind genau die Räume, die man nicht besichtigen kann.
Hinter den prunkvollen Räumen, die sich der feinsten Elemente vorangegangener Epochen bedienen, liegen Aufzüge, Treppenhäuser, Küchen und Diensträume in denen unzählige Angestellte arbeiteten. Die moderne Technik der Zeit verbarg sich und war erst auf den zweiten Blick wahrzunehmen.
Das Haus verfügte über die erste Warmluftheizung, einen hydraulischen Lift, Telegraphen- und Telefonanlagen und war immer auf dem neusten Stand der Technik. Zunächst eine komplette Ausstattung Öl-und Stearinbeleuchtung, dann Gas- und anschließend sehr schnell eine elektrische Beleuchtung. Es war eine Zeit des Technischen Umbruchs und dieses Gebäude stand im Zentrum dieses Umbruchs.
Die Innenausstattung des Historistischen Gebäudes muss in Qualität und Ausfertigung den Vergleich mit seine Vorbildern nicht scheuen. Dennoch bleibt beim Besucher immer die Frage nach der Phantasie des Bauherren.
Warum konnte jemand mit außergewöhnlichen Möglichkeiten im finanziellen und technischen Bereich nicht mehr schaffen als eine Kopie vorausgegangener Stile? Aber genau hier täuscht der erste Eindruck, den der "normale" Besucher hat - denn interessant sind genau die Räume, die man nicht besichtigen kann.
Hinter den prunkvollen Räumen, die sich der feinsten Elemente vorangegangener Epochen bedienen, liegen Aufzüge, Treppenhäuser, Küchen und Diensträume in denen unzählige Angestellte arbeiteten. Die moderne Technik der Zeit verbarg sich und war erst auf den zweiten Blick wahrzunehmen.
Das Haus verfügte über die erste Warmluftheizung, einen hydraulischen Lift, Telegraphen- und Telefonanlagen und war immer auf dem neusten Stand der Technik. Zunächst eine komplette Ausstattung Öl-und Stearinbeleuchtung, dann Gas- und anschließend sehr schnell eine elektrische Beleuchtung. Es war eine Zeit des Technischen Umbruchs und dieses Gebäude stand im Zentrum dieses Umbruchs.
© Villa Hügel. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung / Foto: Iven Paschmanns |
© Villa Hügel. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung / Foto: Iven Paschmanns |
Erziehung in anderen Dimensionen
Die außergewöhnliche Einstellung was die Erziehung seiner Kinder anbelangte, ist eindrucksvoll an einem komplett ausgestatteten Spielhaus für die Töchter Friedrich Krupps zu erkennen. Das sogenannte Spatzenhaus verfügte über Keller, Herd, Küche und alles was in einem richtigen Haus vorhanden war. Die Mädchen sollten nicht auf ihr Leben als Hausfrau vorbereitet werden, es handelte sich vielmehr darum ihnen die Vorstellung zu vermitteln ein komplettes Haus in der Dimension einer Villa Hügel zu führen. Es wurde groß gedacht in der Villa Hügel.
Das Puppenhaus © Villa Hügel. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung / Foto: Iven Paschmanns |
Service
VILLA HÜGEL
täglich außer montags von 10.00 bis 18.00 Uhr
Einschränkungen entnehmen Sie bitte dem Kalender.
www.villahuegel.de
Eintrittspreise: Villa Hügel und Park, Einzelkarte Euro 5,-, Jahreskarte Euro 50,-
Freien Eintritt haben Kinder unter 14 Jahren, Angehörige des ThyssenKrupp-Konzerns
und Mitarbeiter des Alfried Krupp Krankenhauses
Konzerte, Infos und Tickets:
Folkwang Kammerorchester e.V.
Hollestraße 1g
D-45127 Essen
TEL +49 – (0)201 – 23 00 34
FAX +49 – (0)201 – 20 06 96
E-MAIL info(at)folkwang-kammerorchester.de
WEB www.folkwang-kammerorchester.de
Das Ornament in Sigmar Polkes Werk - Raster- und Stoffbilder der 1960er Jahre
Beate Becker hat für Deutschlandfunk das interessante Feature produziert, das sich mit dem wechselseitigen Einfluss von Malerei und Film in Polkes Schaffen auseinandersetzt. Die Malerei und das meist aus der Zeitung stammende (Massen-)Medium (Raster-)Bild ist das Thema eines Aufsatzes, den wir hier vorstellen wollen. Auf der zuletzt ebenfalls beworbenen Publikationsplattform ART-Dok, siehe hier, steht jetzt ein aufschlussreicher Text über Polkes Raster- und Stoffbilder der 1960er Jahre zur Verfügung.
Service:
- Der Text Das Ornament in Sigmar Polkes Werk - Raster- und Stoffbilder der 1960er Jahre bei ART-Dok, hier
Mittwoch, 20. Juli 2016
Herrlich subversiver Kunstraub: Berlin vor 40 Jahren, Ulay raubt Spitzwegs armen Poeten
Tatort Berlin, Neue Nationalgalerie 1976: Ulay nähert sich mit typisch-unscheinbar auf dem Rücken verschränkten Händen dem armen Poeten. Ein Screenshot des Videos zur Aktion © Ulay / Courtesy of LIMA Amsterdam. |
Es gibt aktuell viele Gründe an die legendäre, von vielen aber vergessene Aktion des Künstlers Ulay »Da ist eine kriminelle Berührung in der Kunst« zu erinnern: Die voraussichtlich bis 2020 andauernde, sanierungsbedingte Schließung der Neuen Nationalgalerie, die unheimlichen Geschehnisse in der Türkei, die von der sogenannten Flüchtlingskrise reanimierte Integrationsdebatte, der Wandel Kreuzbergs…
Der Künstler Ulay (Frank Uwe Laysiepen) gilt als ein wichtiger Vertreter der Performancekunst in den 1970er Jahren in Deutschland. Besonders bekannt wurde er durch seine Performances mit Marina Abramović. Er besuchte die Kölner Werkschulen und das Verhältnis zwischen Körper, Raum und Gesellschaft gilt als ein zentrales Thema seines Schaffens.
Der erste Kunst-Kunstraub des armen Poeten in Berlin. Ein Screenshot des Videos zur Aktion © Ulay / Courtesy of LIMA Amsterdam. |
Kunstaktion: Hitlers Lieblingsbild in Kreuzberg?
Aber was hat Ulay eigentlich genau getan? Der Künstler beschreibt seine filmisch dokumentierte Performance (siehe dazu den Eintrag bei medienkunstnetz.de) selbst detailliert, hier folgt eine Kurzfassung der Aktion:
Vor dem Haupteingang der Hochschule der Bildenden Künste positioniert Ulay eine Fotofahne, eine Reproduktion des Spitzweg-Gemäldes ‚Der arme Poet‘, dann fährt er zur Neuen Nationalgalerie, parkt und betritt das Museum. Nach unverdächtigem Schlendern nimmt Ulay den ‚Der armen Poeten‘ von der Wand, packt das Werk unter den Arm und läuft verfolgt von Museumwärtern zu seinem Wagen. Er steigt ein und fährt mit dem Poeten nach Berlin-Kreuzberg.
Der arme Poet im vergammelten Ghetto...
‚1976 habe ich mich in Kreuzberg aufgehalten, und es war einfach grauenhaft, ein verrottetes, vergammeltes Ghetto, in dem die Türken leben mussten, weil sie nirgendwo anders gern gesehen waren‘, so Ulay im Gespräch mit Gunnar Luetzow im Jahre 2013.
Ulay auf der Flucht, verfolgt von Museumswärtern. Unter seinem Arm, der arme Poet. Ein Screenshot des Videos zur Aktion © Ulay / Courtesy of LIMA Amsterdam. |
In Kreuzberg geht Ulay mit dem Spitzweg unterm Arm zum Künstlerhaus Bethanien. Hier hängt er vor dem Haupteingang eine zweite Reproduktion des Gemäldes auf. Dann geht der Künstler in die nahe gelegene Muskauerstraße. Er betritt ein Haus für Gastarbeiterfamilien. In der Wohnung einer türkischen Familie hängt Ulay den Spitzweg an die Wand.
Vom Museum zum Künstlerhaus zur Gastarbeiterwohnung...
Kurz nach der Neu-Inszenierung des Poeten in Kreuzberg informierte Ulay in Kooperation mit Studiogalerie Mike Steiner das Museum und die Öffentlichkeit vom Raub als Angriff auf den Kunstbetrieb. Die Tat wurde penibel dokumentiert. Wilma Kottusch und Mike Steiner filmten insgesamt 30 Stunden, das Ergebnis ist ein knapp 30 minütiges Video.
Ulay informiert das Museum und die Öffentlichkeit. Ein Screenshot des Videos zur Aktion © Ulay / Courtesy of LIMA Amsterdam. |
Heute, 40 Jahre später im Jahr 2016, erscheint Ulays inszenierter Kunstraub geradezu märchenhaft. Ihm gelang ein aus heutiger Perspektive unglaublicher Coup. Eine präzise geplante, dokumentierte und öffentlichkeitswirksame Kunstaktion mit politischem und institutionskritischen Hintergrund. Denn mit seiner dadaistisch anmutenden Intervention übertritt Ulay nicht nur die Grenzen der Legalität, er spielte mit Klischees und offenbarte gesellschaftliche Missstände.
'Millionen-Bild durch den Notausgang' titelt die Boulevardpresse
Ulays Performance lenkt die Aufmerksamkeit auf einen verdrängten Aspekt der gesellschaftlichen Realität der jungen BRD, die Lebenssituation der sogenannten Gastarbeiter. Zugleich thematisiert seine Aktion die Konventionen des Kunstbetriebs, überschreitet die Grenzen zwischen den (Berliner) Kunsträumen Akademie, Museum und Künstlerhaus. Der Skandal, die Empörung der Presse ist ein wohlkalkulierter Teil der Arbeit.
Die Schlagzeilen der Boulevardpresse zur Kunstaktion. Ein Screenshot des Videos zur Aktion © Ulay / Courtesy of LIMA Amsterdam. |
Für seine Aktion stand Ulay vor Gericht und hatte die Wahl zwischen einer Gefängnis- und einer Geldstrafe. Angesichts dieser Optionen verließ er Deutschland, wurde jedoch zwei Jahre später verhaftet. Einem befreundeter Kunstmäzen kaufte in schließlich frei.
Doch die Kunstraubgeschichte um den armen Poeten ist damit noch nicht zu Ende. Denn 1989 wurde der Berliner Spitzweg ein zweites Mal, jetzt von einem Duo, das sich bis heute nicht als Künstler zu erkennen gibt, geraubt. Spitzwegs armer Poet (genauer gesagt, die im Berliner Museumsbesitz befindliche Version des Gemäldes) wurde damals im Schloss Charlottenburg ausgestellt.
Null Problemo - der echte Kunstraub von 1989
Die beiden Männer hatten sich im Gegensatz zu Ulay getarnt. Einer saß in einem Rollstuhl, der mit dem Aufkleber ‘Null Problemo’ versehen war, der andere mimte den Betreuer, der den vermeintlich Versehrten schob. Als dieser plötzlich aufsprang, rissen sie das Werk von der Wand, schlugen einen Wachmann nieder und flohen. Und der arme, arme Poet ist bis heute verschollen.
Service:
- Claudia Bodin über die Performance Legende Ulay und sein aktuelles Werk (art-magazin.de, 2016), hier
- Christian Jankowski über Ulays Aktion (tagespeigel.de, 2014), hier
- Gunnar Luetzow im Gespräch mit Ulay (art-magazin.de, 2013), hier
- Ulays Werk Da ist eine kriminelle Berührung in der Kunst bei medienkunstnetz.de, hier
- Ulays Video ‚Da ist eine kriminelle Berührung in der Kunst‘ in der LIMA-Datenbank, hier
Dienstag, 19. Juli 2016
PKK XVII: K20, Düsseldorf: Henkel - Die Kunstsammlung
© Kunstsammlung K20
|
Service:
K20 GRABBEPLATZ Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Grabbeplatz 5
40213 Düsseldorf
service@kunstsammlung.de
Öffnungszeiten:
- dienstags bis freitags 10.00-18.00 Uhr
- samstags, sonntags, feiertags 11.00-18.00 Uhr
- lobenswert: KPMG-Kunstabend, jeden 1. Mittwoch im Monat, Eintritt frei ab 18.00, geöffnet bis 22.00 Uhr
Montag, 18. Juli 2016
Einfach genial, ART-Dok, die Open-Access-Publikationsplattform für Kunst- und Bildwissenschaften
Ein Screenshot der Website ART-Dok, die Publikationsplattform ist Teil des Fachinformationsdienstes arthistoricum.net. © arthistoricum.net |
Es ist schon seltsam, dass die tausenden kunsthistorischen Master-, Magister- und Doktorarbeiten trotz aller technischen Fortschritte und Bekundungen von hochschulpolitisch verantwortlichen Fachleuten nicht automatisiert in einer offenen Datenbank allen Interessierten zur Verfügung stehen.
Verlorene,
weil nicht zugängliche Wissenschaft in verstaubten
Institutionen
Allen
Kunsthistorikern und -wissenschaftlern, die ihre Texte Interessierten zur
Verfügung stellen wollen, sei daher die Publikationsplattform ART-Dok empfohlen. Autoren
kunstwissenschaftlicher Texte haben hier die Möglichkeit, ihre Publikationen
(Monographien, Artikel, Vorträge etc.) kostenfrei und ohne
Zugangsbeschränkungen zu veröffentlichen.
versus
dauerhaft archiviertes und international zitierfähiges Publizieren
Die
Bereitstellung elektronischer Zweitveröffentlichungen bereits gedruckt
erschienener Schriften – also alte Magisterarbeiten, Dissertationen oder
Artikel – ist möglich und erwünscht. Die Dokumente werden mit standardisierten
Metadaten erschlossen, dauerhaft und zitierfähig archiviert und können so über
nationale und internationale Kataloge und Suchmaschinen gefunden werden.
Ein Screenshot einer in ART-Dok recherchierten Dissertation. Auf den ersten Blick werden alle wichtigen Metadaten und die Aufrufstatistik geliefert © arthistoricum.net |
Online-Publizieren mit wenigen Klicks
Die
Veröffentlichung auf ART-Dok ist ohne großen Zeitaufwand zu leisten: Einfach eine PDF-Version des Textes, eine
Zusammenfassung der Arbeit im PDF-Format und die unterschriebene
Rechteerklärung an ART-Dok senden. Alles weitere übernimmt das ART-Dok-Team in Heidelberg.
Keine
Sackgasse und volle Kontrolle
Eine
Veröffentlichung auf ART-Dok schließt keine weitere
Veröffentlichung in Fachzeitschriften oder Monographien sowie auf anderen
Servern aus. Und dank der Nutzungsstatistik ist das Interesse am Werk – die
Downloads – sichtbar. ART-Dok versteht sich als Open-Access-Repositorium für Kunst- und
Bildwissenschaften und wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
- arthistoricum.net, die Plattform hinter ART-Dok, hier
Freitag, 15. Juli 2016
Kritik: Tony Cragg - Parts of the World - Retrospektive – noch bis zum 14. August
Ein Screenshot der Website des Museums zur Ausstellung Tony Cragg - Parts of the World © Von der Heydt Museum / Tony Cragg / VG Bild-Kunst Bonn |
...zum
anderen hat der Künstler gerade erst (s)einen 'Waldfrieden'
genannten Skulpturenpark eröffnet, siehe dazu die Service-Rubrik ganz
unten. Cragg selbst hat mit
seinem Team die Ausstellung einrichten dürften und zum ersten Mal
in der Geschichte des Wuppertaler Von der Heydt
Museums wurde das Gebäude für eine künstlerische Position komplett leer
geräumt.
Aufgrund dieser
vielen Extrawürste hat der
Skulpturenpark trotz seines friedlichen Namens in der arg gebeutelten Kunststadt Wuppertal nicht
nur Freude und Freunde hervorgerufen. Wer mit dem Zug in die einst so stolze,
aufgrund ihrer
Kultur und der Schwebebahn
berühmte Stadt fährt, spürt sofort, dass hier einiges seit langer Zeit schief
oder zumindest aus dem Ruder läuft. Der Bahnhof ist
seit Jahren in einem derart desolaten Zustand, dass alle, die dort ankommen,
den trostlosen Ort so schnell wie möglich verlassen oder vermeiden, den Bahnhof
überhaupt anzusteuern.
Doch kommen
wir zurück zur Kunst, zu Tony Cragg und seiner
umfassenden Retrospektive.
Für alle, die das Werk kaum kennen, ist der im ersten Geschoss auf großer
Leinwand laufende Film ein hilfreicher Einstieg. Auch wenn die Tonspur - oder sind
es die Lautsprecher? - leider zu wünschen übrig lässt...
Der Film
ermöglicht dem Interessierten, einen von Craggs Erläuterungen begleiteten
Rundgang durch seine Werkstätten. Viele der im Museum ausgestellten Arbeiten
kann man hier vorab sehen, den Entstehungsprozess
ähnlicher Werke ausschnitthaft verfolgen und so der so typischen Formsprache Craggs auf die Schliche kommen.
Ein Blick in die Kunstfabrik
Zudem erlaubt die filmische Dokumentation einen tiefen Einblick in seine Werkstätten, zeigt
die vielen für Cragg tätigen
Künstler, sogenannte Assistenten, die die Wünsche und Ideen des Altmeisters in
Form bringen. Ohne diese zahlreichen Künstler, wäre die immense Produktion des international gefragten, britischen Künstlers nicht
möglich.
Die Vielzahl der meist sofort als Cragg-Arbeiten erkennbaren Objekte in den Museen und Konzernlobbys auf der ganzen Welt sind das Ergebnis einer äußerst professionellen Kunst-Produktionsstätte in industriellem Maßstab.
Massenproduktion statt Kunstwerk bzw. Unikat unken daher viele Kritiker. Ist man sich jedoch der (jahrhundertealten) Tradition der künstlerischen Werkstätten – etwa die Rembrandts - bewusst, verliert dieses Argument an Gewicht.
Die Vielzahl der meist sofort als Cragg-Arbeiten erkennbaren Objekte in den Museen und Konzernlobbys auf der ganzen Welt sind das Ergebnis einer äußerst professionellen Kunst-Produktionsstätte in industriellem Maßstab.
Massenproduktion statt Kunstwerk bzw. Unikat unken daher viele Kritiker. Ist man sich jedoch der (jahrhundertealten) Tradition der künstlerischen Werkstätten – etwa die Rembrandts - bewusst, verliert dieses Argument an Gewicht.
Ein Blick ins Gästebuch zur Ausstellung
Doch so sehr
die Werke und ihre Präsentation überzeugen, im Gästebuch des Von der Heydt Museums
finden sich einige wiederkehrende Kritikpunkte. Zurecht wird von vielen
bemängelt, dass es keinen Audioguide
gibt. Freunde der kontemplativen Kunstbetrachtung haben auch vergeblich nach
Sitzmöglichkeiten gesucht, um sich einem Werk oder einer Inszenierung mehrerer
intensiver zu widmen.
Mangelhaft ist vorhandene, aber nur teilweise dienliche die Beschilderung. Zwar entdeckt man in den Ecken der –
stets freundlichen – Aufsichten laminierte Bildlisten, mit deren Hilfe sich die
Werke schnell identifizieren lassen. Dieser Zustand ist Wochen nach der
Eröffnung peinlich. Und auch wenn dies leider den Standards der meisten Museen
entspricht, das Fotografieverbot ist so unzeitgemäß wie das Fehlen des
Audioguides.
Viele
Besucher vermissen auch Postkartenmotive zur Ausstellung. Vorbildlich dagegen ist das
kostenlose, mit 38 Seiten recht umfangreiche Begleitheft zur Ausstellung. Nicht
jeder Interessierte kann sich nach 12 EUR Eintritt noch den mit 38 EUR eigentlich recht preiswerten Katalog
leisten.
Fazit: Faszinierender Ein- und Überblick
Die
Ausstellung ist trotz der erwähnten Mängel ein absoluter Tipp. Denn dank der
vielen Zeichnungen, Fotografien und Druckgraphiken und den frühen Arbeiten des
Künstlers kann man die großen Themen, die Formsprache und die Entwicklung eines
bedeutenden zeitgenössischen Bildhauers recht gut nachvollziehen.
Die zunächst
abstrakt anmutenden Werke Craggs
verlieren bei einer intensiven Betrachtung und Begehung der umfangreichen Retrospektive ihre
künstlich-anorganisch wirkende Fremdartigkeit. In ihnen findet sich immer wieder die
menschliche Figur, meist ein Profil, und die Vielfalt der Formen der Natur. Der Künstler erscheint
als geduldiger Beobachter, ein wissenschaftlich anmutender Nachahmer der Formen
der Natur. Ein geradezu klassischer Bildhauer. Und schließlich verwundert es kaum noch, dass Cragg vor seinem Kunststudium
lange in einem Labor für Biochemie
arbeitete.
Besonders
interessant, weil erhellend, sind die frühen Arbeiten, etwa die ‚Spectrum‘
genannte Assemblage aus Plastikmüll von 1979. Die treibgutartig, großflächig arrangierte,
nach Farben sortierte Installation der Formvielfalt von Design und Funktion
spiegelt Humor, wissenschaftliches Interesse. So wie der schlicht ‚Stack‘
genannte Schrottkubus von 1976 die kunsthistorischen Strömungen der 1970er und Craggs Beschäftigung mit ihnen
deutlich zeigen.
Also auf nach
Wuppertal. Auch wenn man die Objekte, deren Form und Oberfläche in ihrer
Vielfalt danach schreien, leider nicht berühren darf. Warum eigtenlich? Neben klassischen
Beigaben wie einem Audioguide, funktionalen Beschilderungen, Sitzmöglichkeiten
und Postkarten, wäre ein erlaubtes, vorsichtiges Berühren zumindest einzelner Objekte eine innovative, tabubrechende Ergänzung der kunstpädagogischen
Vermittlung.
Die sicher Wuppertaler Besucherzahlen könnten durch eine geschickte, innovative Inszenierung
der Vermittlung – vielleicht eine koordinierte, haptische Führung durch die Retrospektive – sicher
nachhaltig gesteigert werden. Ein klassischer Blockbuster ist diese Ausstellung
allemal. Zuletzt noch unser ganz persönlicher Highlight, es ist die monumentale, den ihr
zugestandenen Raum sprengende Arbeit ‚Secretions‘ aus dem Jahre 1998.
Spekulationen über Sekretion
Eine
unschätzbare Anzahl von Würfeln – das Aufsichtspersonal nennt die genaue Zahl
gern und scheint ebenfalls von dem Werk fasziniert – bildet die Außenhaut einer
Ansammlung von etwa einem Dutzend amorpher Figuren. Diese Ausscheidungen, Absonderungen
sind Teil der Sammlung einer in London beheimateten Filiale der Deutschen Bank. Ein
Schelm wer Würfel sieht, an Geld und Aktien denkt und hinterlistiges ahnt, wenn
er um die Rolle der Deutschen Bank bei Spekulationen weiß…
Wer die
Arbeit weniger politisch, sondern von ihrer Form her lesen will und von den anderen
Werken inspiriert nach natürlichen Vorbildern für diese sucht, dem seien die Formen
der Ausscheidungen von Tieren empfohlen. Die Ablagerungen von Wattwürmern etwa.
Service
VON DER HEYDT-MUSEUM
Turmhof 8
42103 Wuppertal
Telefon 0202/563-6231
von-der-heydt-museum@stadt.wuppertal.de
Öffnungszeiten
DI-SO 11-18 Uhr und DO 11-20 Uhr
lobenswert: Jeden ersten Donnerstag im Monat ist der Besuch der Sammlung
(nicht der Wechselausstellungen) ab 17 Uhr kostenlos
Skulpturenpark Waldfrieden
Hirschstraße 12
42285 Wuppertal
Links
- ein Ausschnitt des informativen Films über Craggs Werk und Arbeitsweise, hier
- Thomas Köster berichtet für den WDR über Cragg in Wuppertal, hier
- Interview: Sabine Burbaum-Machert im Gespräch mit Tony Cragg, hier
- Stefan Lüddemann über die Wuppertaler Cragg-Ausstellung, hier
- Ralf Stiftel für WA.de über die Ausstellung Tony Cragg - Parts of the World, hier
- Ulrich Traub für die Südwest Presse über die Tony Cragg Ausstellung, hier
- Bettina Ansorge für die Ruhrnachrichten über Tony Cragg im Heyd-Museum, hier
VON DER HEYDT-MUSEUM
Turmhof 8
42103 Wuppertal
Telefon 0202/563-6231
von-der-heydt-museum@stadt.wuppertal.de
Öffnungszeiten
DI-SO 11-18 Uhr und DO 11-20 Uhr
lobenswert: Jeden ersten Donnerstag im Monat ist der Besuch der Sammlung
(nicht der Wechselausstellungen) ab 17 Uhr kostenlos
Skulpturenpark Waldfrieden
Hirschstraße 12
42285 Wuppertal
Links
- ein Ausschnitt des informativen Films über Craggs Werk und Arbeitsweise, hier
- Thomas Köster berichtet für den WDR über Cragg in Wuppertal, hier
- Interview: Sabine Burbaum-Machert im Gespräch mit Tony Cragg, hier
- Stefan Lüddemann über die Wuppertaler Cragg-Ausstellung, hier
- Ralf Stiftel für WA.de über die Ausstellung Tony Cragg - Parts of the World, hier
- Ulrich Traub für die Südwest Presse über die Tony Cragg Ausstellung, hier
- Bettina Ansorge für die Ruhrnachrichten über Tony Cragg im Heyd-Museum, hier
Abonnieren
Posts (Atom)