Montag, 15. Mai 2017

Baden-Baden: Polke, Raster, Polke...

Neue Bilder, so lautete der Titel einer Ausstellung des damals noch recht unbekannten Künstlers Sigmar Polke in der Münchner Galerie Heiner Friedrich 1967. Das Bild zeigt einen Ausschnitt des Plakates zur Ausstellung. Foto Gerd Mörsch © The Estate of Sigmar Polke / VG Bild-Kunst Bonn

Ornament als Bild, Bild als Ornament? In Sigmar Polkes Werk finden sich sehr viele Arbeiten zu diesem Thema. Und angesichts der aktuellen Polke-Ausstellung im Baden-Badener Frieder Burda Museum wollen wir uns an dieser Stelle etwas ausführlicher dem Thema widmen.

Doch wir müssen zunächst viel früher ansetzen. Denn obwohl viele Künstler der Moderne nichts so sehr fürchteten, wie den Vergleich ihrer Malerei mit der vor allem in Jugendstil und Art Deco wiederbelebten Tradition der Ornamentik, lassen sich viele ihrer Werke - nicht erst aus heutiger Perspektive - ohne Begriffe und Kategorien der Ornamentik nur unzureichend analysieren. 

Diese nicht zuletzt durch kunsttheoretische Entwicklungen, wie sie sich paradigmatisch in Alois Loos Schriften und seiner Parole 'Das Ornament ist ein Verbrechen' wiederspiegelt, begünstigte Aversion zahlreicher Künstler und kann in gewisser Weise mit jener gegen die Abstraktion in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts verglichen werden. 

Vorsicht! Hier geht's heute etwas kunsthistorischer zu...

Denn auch letztere lässt sich als Folge unzähliger Derivate in den Bereichen der Massenkultur und des Innovationswillens einer jungen Künstlergeneration verstehen - und hiermit sind wir wieder bei Polke. Denn den beiden zuvor erwähnten Epochen und ihren hier nur angedeuteten, künstlerischen Gegenbewegungen liegt jeweils eine - aus damaliger Perspektive - globale Hochzeit einer Stilrichtung zugrunde. 

Einerseits die der 'welterobernden Jugendstil- und Wohnkultur' zu Beginn des 20. Jahrhunderts und andererseits die des Informel genannten abstrakten Expressionismus in Amerika und Europa während der 1950er und frühen 1960er Jahre des letzten Jahrhunderts.

Der Hoehme- und Goetz-Schüler Polke...

Das Oeuvre Sigmar Polkes und besonders seine nicht nur die frühe Werkphase typische Stilpluralität lässt sicher nicht ohne diesen kunsthistorischen Hintergrund genauer verstehen, bedenkt man, dass der Maler sein Studium 1961 – also inmitten jener Entstehungsphase der sogenannten Postmoderne – an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf bei Gerhard Hoehme und Karl-Otto Goetz begann. 

Gerd Mörsch hat sich ausführlich den Rasterbildern Polkes und der Frage gewidmet,  inwieweit Gesichtspunkte der Ornamenttheorie den beiden zu Beginn der sechziger Jahre von Polke begonnenen Werkgruppen der Raster- und Stoffbilder gerecht werden. Einleitend schränkt er jedoch ein, dass in seiner Arbeit angesichts des eingeschränkten Themas die zweifelsohne einflussreichen, zeitgenössischen Bewegungen wie Pop Art, Op-Art oder Fluxus nur im Sinne der Ergänzung bzw. Unterstützung seiner Argumentation erwähnt werden können. 

Der kapitalistische Realismus und die Pop Art

Eine genauere Analyse der Unterschiede zwischen den Werken Polkes im Sinne des von ihm gemeinsam mit Konrad Lueg und Manfred Kuttner 1963 proklamierten Kapitalistischen Realismus und den Werken amerikanischer und britischer Pop Art Künstler erscheint zwar besonders angesichts der nicht nur in den Rasterbildern deutlichen 'Vorreiterrolle' letzterer notwendig, kann von Mörsch im Rahmen seiner Arbeit jedoch nicht geleistet werden.

Anhand einleitender Kapitel zu den spezifischen Eigenschaften der jeweiligen Werkgruppe liefert Mörsch Grundlagen für das Verständnis der Raster- und Stoffbilder als Bildgattungen. Dies tut er, um anschließend exemplarisch für die jeweilige Gattung je ein Bild im Sinne der Frage des Ornaments als Bild untersuchen zu können.


Der Wurstesser als Spiegel der BRD in den frühen 1960er Jahren?

Im abschließenden Fazit – anhand einer Besprechung des berühmten, 1963 von Polke gemalten Wurstessers zusammen mit den Ergebnissen über den ornamentalen Charakter der Raster- und Stoffbilder – die These zu entwickeln, dass Polkes Bilder der 60er Jahre als ornamentale Verweise im Sinne des Ornaments als Spiegelbild der menschlichen Wirklichkeit verstanden werden können. 

Aus dieser Perspektive erscheint die von Mörsch in seiner Untersuchung einleitend gestellte Frage nach dem Ornament als Bild bzw. dem Bild als Ornament, welche auf den ersten Blick nur im Sinne formaler Aspekte angebracht zu sein scheint, dann auch inhaltlich zugunsten der beiden möglichen Antworten bejaht werden zu können. Spannend...

Ein Screenshot der Website des Museums Frieder Burda zur Polke-Ausstellung. © Museum Frieder Burda und The Estate of Sigmar Polke / VG Bild-Kunst Bonn

Wer die Arbeit von Gerd Mörsch über Polkes Raster- und Stoffbilder vor dem Besuch in Baden-Baden liest, wird Polke dort gezeigte sicher mit anderen Augen sehen. Hier folgen nun grundlegende Informantionen zur Polke-Ausstellung in Baden-Baden und ganz unten wie gewohnt Serviceinfos und weiterführende Links:
 
'Sigmar Polke (1941 – 2010) gehört zu den größten Bild-Erfindern und bedeutendsten Malern Deutschlands. Seine Werke leben von gesteuerten Zufällen und bergen geheimnisvolle Überraschungen. Sie werden von einem besonderen Wort- und Bildwitz begleitet, der alles kategorisch Strenge durchbricht.

Die Ausstellung im Museum Frieder Burda konzentriert sich auf zwei wesentliche Merkmale in Polkes Arbeiten. Sie rückt unter dem Aspekt Alchemie die zufällig bis chaotisch erscheinenden Bildgründe seiner Malerei in den Fokus, die durch ungewöhnliche Substanzen entstehen, was zu eigenwilligen Farbverläufen führt. In anderen Werken reagieren mineralische Zusätze auf klimatische Veränderungen. Der Alchemie steht der Aspekt Arabeske gegenüber – ornamentale Liniengebilde, die Polke etwa Holzschnitten Dürers und Altdorfers entnahm. Er malte aber auch seine eigenen Handlinien oder generierte Zufallslinien.

Sigmar Polke ist diesen wie zufällig erscheinenden, selbst gewählten Ordnungen auch in anderen Materialien und Medien nachgegangen, so goss er Asphaltritzen mit geschmolzenem Gold aus, fotografierte das schnörkelige Wachstum von Weinranken oder radioaktives Urangestein. Er filmte chemische Farbexperimente und sammelte fluoreszierendes Uranglas, interessierte sich für Zerrspiegel. Die Ausstellung präsentiert neben hochkarätigen Gemälden und Papierarbeiten die 1991 in den USA entstandenen »Goldstücke« sowie eine große Anzahl an Fotoarbeiten, zwei Filme, Urangestein-Fotografien und Polkes eigene Sammlung an Uranglas-Objekten.'  


Service
SIGMAR POLKE - ALCHEMIE UND ARABESKE 
noch bis zum 25. Juni
 
Museum Frieder Burda
Lichtentaler Allee 8 b
76530 Baden-Baden

Öffnungszeiten
Di - So 10 - 18 Uhr

NICHT lobenswert sind die für ein Privatmuseum hohen Preise,
von Eintritt frei bis 18 ganz zu schweigen...

Links

- die Website des Museums zur Ausstellung SIGMAR POLKE - ALCHEMIE UND ARABESKE, hier 
- der ART-Dok-Lesetipp zur Vorbereitung des Ausstellungsbesuchs: Gerd Mörsch - Das Ornament in Sigmar Polkes Werk der 1960er Jahre, hier 
- kunstlich über Polke und Richter in Leverkusen (7/2016), hier 

- kunstlich empfiehlt: Sigmar Polke und sein filmisches Werk, ein Feature von Beate Becker (7/2016), hier

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