So nahm alles seinen Lauf... Das Foto zeigt die erste Waldfegen-Aktion im Jahre 2013 © Ivo Weber, Foto Olaf Hirschberg |
Der September ist alle zwei Jahre der Photokina-Monat. Das Photoszene Köln Festival präsentiert rund um den Fotomessemonat in diesem Jahr an über 100 Orten im Kölner Stadtraum Ausstellungen von moderner und zeitgenössischer Fotokunst. Wir hatten zuletzt über einen der Pioniere an dieser Kunstgattung berichtet, hier.
An dieser Stelle konzentrieren wir uns im Folgenden ganz auf den Künstler Ivo Weber, der sich vor allem als Bildhauer einen Namen gemacht hat. Vor 13 Jahren begann der ordentliche Schwabe, den Wald zu kehren und dokumentierte die Aktion fotographisch.
In der Kölner artothek sind nun die Bilder der Waldfegen-Aktionen der letzten 13 Jahre zu sehen. Zuletzt war der Künstler 2010 mit seiner Installation Blauer Montag in der Kölner artothek. Doch nun zurück in den Wald. Dort nahm alles seinen Lauf als Ivo Weber vor rund 13 Jahren im laubbedeckten Wald begann, Formen durch das Entfernen von Blättern zu bilden.
Alleine im Wald mit Rechen, Harke und Besen
Zunächst noch von der Land Art kommend positionierte der Künstler auch Objekte auf dem Waldboden, verwarf diese Idee aber rasch wieder. Doch das Fegen im Wald hinterließ einen nachhaltigen Eindruck. Für Weber wurde es mehr und mehr zu einem Ritual, einer Performance. Zu dieser lud er Freunde ein, fegte mit ihnen passend zur Gruppe abgesteckte Flächen und ließ einen befreundeten Künstler die getane Arbeit schließlich fotographisch dokumentieren. Er zog sich zurück, wurde mehr und mehr zum Regisseur, zum Choreographen des von ihm initiierten Rituals.
Beuys und Zen-Buddhismus
Die Aktion, das alljährliche Waldfegen Webers, erinnert sich nicht von ungefähr an die umgangssprachlich Zengarten genannte Karesansui-Kultur Japans. Auch hier werden in sisyhoshafter Manier die Spuren der getanen Arbeit regelmäßig verwischt. Und bei genauerer Betrachtung finden sich auch Elemente der Beuysschen Verbindung von Ost und West – von Intuition und Rationalität – im Werk von Ivo Weber. Nein, es sind nicht nur die filzartigen Mäntel oder die wiederholt verwendeten, ausgestopften Tiere. Wobei Weber statt dem Hasen listiges Niederwild wie den Wiesel verwendet, dem in Eurasien magische Kräfte nachgesagt werden…
Der verzauberte König im Budapester Wald
Beim diesjährigen International Artcamp Erdöszölö nahe Budapest begann Weber, ähnlich den Waldfegen-Aktionen, zunächst im dichten Grün auf dem Grund eine runde Fläche freizulegen. Dort grub er dann ein Loch, um darin einen mannshohen Turm zu mauern. Das im Zeitraffer die Arbeit dokumentierende Video zeigt deutlich, dass es sich auch hierbei um eine performative Aktion handelt, in deren Verlauf ein plastisches Werk entsteht – der gemauerte Turm. Und diese einfache, geometrische Form erinnert wiederum an klassische Arbeiten der Land Art, etwa solche von Robert Smithson.
Im Blaumann im Dickicht © Ivo Weber |
Doch zurück zu Ivo Weber, in den Dschungel nahe Budapest. Dort lud er nach Vollendung seines Turmbaus abschließend zu einer feierlichen, prozessionsartigen Performance ein. Zunächst begrüßte Weber, wie ein Zeremonienmeister einen hölzernen Stab mit sich führend, das Publikum. Dann ging er unter musikalischer Begleitung, gefolgt von einer Gruppe, die einen Mann auf einer Sänfte trug, ins grüne Dickicht. Weber führte die ihn Folgenden zu seinem Turm. Dort stieg der Getragene von der Sänfte hinab ins Innere der gemauerten Röhre, die ihm bis zu seinen Schultern reichte. Mit Hilfe seines Stabs und einem daran befestigten, künstlichen Vogel verzauberte Weber schließlich den freiwillig Gefangenen. Wie in Trance folgte dieser dem um ihn kreisenden Vogel, drehte sich dabei um sich selbst, immer und immer wieder.
Slominskiesker, schelmenhafter Schamanismus
Die Prozession mit der Sänfte zum Turm © Ivo Weber |
Die Steine, die Ivo Weber für den Bau des Turms verwendete, wurden von ihm übrigens aus jener Erde gebrannt, die er zuvor im Wald ausgehoben hatte. Der Turm – verstanden als Röhre – ist eine logische Fortführung der Kreisform, ein archaisches Symbol für die Unendlichkeit und – metaphorisch formuliert – er besteht nur aus jenen Elementen, auf denen er ruht.
Der Betrachter des humorvollen wie märchenhaften Prozessionsvideos kann den ewigen Kreislauf der Materie – ähnlich dem Zeitraffervideo vom Turmbau – in seiner Vorstellung fortführen. Der steinerne Turm wird überwuchert. Er verschwindet gänzlich im grünen Dickicht und versinkt im Laufe der Jahrtausende wieder dort, wo er dank der Arbeit Ivo Webers wachsen durfte.
Die Entgrenzung der Ausstellungen durch simultane Präsentation
Kommen wir zurück nach Köln, in die artothek zu den Waldfegen-Bildern des Künstlers. Denn hier wendet Ivo Weber – neben der Präsentation der Fotographien im Rahmen der leider etwas kurzen Ausstellung – einen weiteren, vielschichtigen Kunstgriff an. Da die Ausstellung so wie das Waldfegen immer nur wenige Stunden – von 20:00 Uhr am 31. August bis 20:00 am 1. September – erlebbar ist, wird in dieser Zeit in einem zwei Stundenintervall immer eine der 12 Fotoarbeiten von Weber live ins Internet übertragen.
Doch diese Aktion – die Präsentation der Werke im Internet – wäre keine Arbeit von Ivo Weber, wenn die Übertragung selbst nicht einen performativen und zugleich auch subversiven Aspekt beinhalten würde. Der Künstler übernachtet, verbleibt im Ausstellungsraum. Im Zweistundenrhythmus bewegt Weber die Webcam und wechselt so von einer Fotoarbeit zur nächsten.
Ein komplexes Spiel mit künstlerischen wie politischen Realitäten und kunsthistorischen Referenzen
Natürlich hätte der technikaffine Künstler diesen Bildwechsel automatisch vonstattengehen lassen können. Doch durch seine Anwesenheit, seinen scheinbar unsinnigen, persönlichen Einsatz und die Art der Verwendung der Medien wird die Präsentation selbst zu einem performativen Akt. Dieser erinnert an frühe Performance-Arbeiten, etwa solche von Vito Acconci.
lost in space - ein Screenshot der Einladungskarte zur Ausstellung my cube von Ivor Weber und Ulrich Haarlammert © Ivo Weber und Ulrich Haarlammert |
Bereits in seiner letzten Ausstellung in Münster – eine Kooperation mit Ulrich Haarlammert – spielte Ivo Weber mit der Idee der Präsentation von Kunst und kommentierte zugleich gesellschaftlich-politische Realitäten. Auch in Münster präsentierte Weber die Fotographien von seinen Waldfegen-Aktionen. Und mit Hilfe von zwei, auf einer Kreisbahn über den Köpfen der Besucher schwebenden Videokameras überwachte er den Ausstellungsraum permanent.
Die Videoaufnahmen wurden simultan im Ausstellungsraum präsentiert. Je nach Position und Aufmerksamkeit konnten sich die Betrachter der Werke beim Betrachten der Kunst betrachten – und wurden somit sichtbar selbst zum Teil der Ausstellung. Zugleich wurden die Bilder durch einen im Schaufenster des Ausstellungsraumes befindlichen Bildschirm nach außen, zur Straße hin präsentiert.
Hinter der Münsteraner wie der Kölner Medieninstallation Ivo Webers verbergen sich viele theoretische Baustellen. Die Idee vom Ausbruch aus dem geschlossenen white cube und vom Rezipienten als Teil des Kunstwerks. Oder Fragen zur Sichtbarkeit und Zugänglichkeit von Kunst, ihrer medialen Präsenz und auratischen Qualität, aber auch zur Präsenz von Kameras in unserer zunehmend überwachten Gesellschaft.
Raum und Zeit
Doch was macht der Künstler nachts in der artohtek wirklich? Ist die 24 Stunden-live-Übertragung seiner Waldfegen-Fotographien vielleicht nur ein ironisch verzweifelter Versuch, die Ausstellung durch ihre Präsenz im nichts vergessenden Internet zu verlängern? Dagegen spricht nicht zuletzt die Tatsache, dass auch der Ort des Waldfege-Rituals, der Wald, live in den Ausstellungsraum der Kölner artothek übertragen wird. Der seit 13 Jahren von Ivo Weber bespielte Raum wird live in den Kunstraum übertragen. Der Wald wird zur schweigsamen, omnipräsenten und somit offensichtlich zentralen Figur der Inszenierung.
Es scheint, als habe das Philosophiestudium Ivo Webers Spuren in seinem Werk hinterlassen. Sein Spiel mit den verschiedenen Gegenwarten und Begriffen von Kunst und Natur versetzt den aufmerksamen Betrachter ins Staunen ob der komplexen Verwicklungen, die sich hinter der zunächst schlicht anmutenden Inszenierung seiner Interventionen im Wald verbergen.
Oder ist das alles nur ein geschickt inszenierter Spuk? Und die live-Übertragung des Waldes in den Raum – so wie Beuys-Legende von seiner tagelangen Versorgung durch die Krimtataren – eine anekdotische Irreführung des gutgläubigen Ausstellungsbesuchers?
Ein Screenshot der Website des Künstlers Ivo Weber © Ivo Weber |
Service / Links
- die Website von Ivo Weber, hier
- Ivo Weber, das Video the tower in the forest, hier
- Ivo Weber, das Video der Performance the tower in the forest, hier
- WDR3 Fotostrecke zur die Ausstellung Ivo Weber - Waldfegen, hier
- WDR3 Interview mit Ivo Weber zur Ausstellung Waldfegen, hier
- der Pressetext zur Ausstellung, hier