Wir hatten zuletzt bereits von der spannenden Ausstellung in Wiesbaden berichtet, die aufgrund der kurzen Laufzeit leider schon Ende dieser Woche schließt. Daher hier der Hinweis auf die nun erscheinende Publikation zur Ausstellung und den Text zur Ausstellung:
Die Ausstellung, die wir hier vorstellen, heißt AUTOPAINT. Ich meine, eigentlich könnte es doch auch ein Autosalon sein. Schicker Wagen, Spiegelsaal. Da würde es doch kaum wundern, wenn gleich ein Verkäufer um die Ecke käme und fragte, ob wir nicht mal probesitzen möchten. Aber natürlich ist es kein Autosalon. Und Probesitzen ist heute auch nicht möglich. Andreas Exner geht es vielmehr um Fragen der Nutzung, Benutzung, Vernutzung, Umnutzung und letztlich auch Entnutzung, wenn er Malerei in oder doch eher an einem Automobil präsentiert. Und, beschränkt sich die Malerei denn eigentlich auf das Stück Leinwand, das anstelle der Fahrertürscheibe eingesetzt ist? Oder ist es nicht vielmehr das Auto selbst, der Lack, die Oberfläche, die sich hier malerisch
geriert.
Bei Andres Exner vermischen sich diese Ebenen. Er spielt mit dem Weltenwechsel, der Frage nach Gebrauch, Alltag und Kunst. Anders als bei John Chambarlain „verbraucht“ er den Wagen aber nicht für seine Kunst, er leiht ihn sich nur aus. Und das wortwörtlich. Das Fahrzeug ist zugelassen und nur vorübergehend hier geparkt. Aber auch anders als die vielen Automaler, die die Oberflächen zahlloser Automobile verziert haben, agiert Exner. Seine Malerei ist temporär, die Leinwand kann entnommen werden, der Fiat nachhause fahren, kein Problem. Nur eben jetzt nicht, jetzt ist er Kunst, ist Malerei, für uns heute Abend und für die Gäste in den kommenden Wochen.
Exner spielt mit dem Fetisch, mit dem heiligen Blechle, bringt zwinkernd – wie einst Blinky Palermo – die Malerei dagegen in Stellung. Malerei, die eigentlich immateriell erscheint, wird hier als Objekt real. Ursprünglich flach wird sie faktisch, wird räumlich und dies nicht nur im Volumen des farbigen Blechs. Keine Frage, die Malerei beschränkt sich nicht auf die Leinwand, vielmehr erstreckt sie sich als Komposition über das ganze Fahrzeug, mit seinen Rundungen, Flecken, Ausschnitten, Durch- und Einblicken. Gerade weil ein kleines Stück Leinwand gegen die „normale“ Funktion des Autos rebelliert, haben wir die Chance, dieses einmal anders, mithin mit anderen Vorzeichen zu betrachten.
Das Bild wird uns dabei zum Fenster und doch verschließt es sich vor unserem Blick. Außen und Innen werden thematisiert. Und, wer genau hinschaut, sieht Malerei – selbst im Seitenspiegel des Wagens. Apropos Spiegel: neben dem „Fenster“ steht dieser für eine weitere Bedeutung des Bildes. Denn: durch das Fenster wird geschaut, wir sehen in eine andere Welt. Der Spiegel aber schaut zurück, berichtet von den Geschehnissen auf unserer Seite der Scheibe.
Raymund Kaiser gibt uns dazu Gelegenheit; mit seiner Spiegelwand, die den Blick zurückwirft und zugleich uns den Raum erweitert. Aber Halt! Da ist sie wieder unsere Frage, wo ist hier die Malerei? Sind es die Spiegel, die in der Tradition Rauschenbergs, Pistolletos oder Richters den Raum erweitern, reflektieren
und bespiegeln, die Wirklichkeit und Bild verschmelzen lassen? Aber sind da nicht auch blinde Flecken, die Spiegel etwa zerbrochen? Fehlt hier gar ein Stück der Wirklichkeit? Und: Sind nicht vielmehr diese Ausbrüche bei genauer Betrachtung die eigentliche Malerei?
Hier sehen wir Faktisches, wir sehen eine Handschrift, sehen, wie Farbe aufgetragen und schließlich zu ganz unterschiedlichen, räumlich erscheinenden Strukturen wird. Im Gegensatz zum Spiegelpart, der uns nur zeigt, was wir schon kennen, finden wir dort etwas neues, andersartiges, vor allem aber beständiges. Denn das, was wir jetzt im Spiegel sehen, ist nachher nicht mehr da, ist flüchtig und nur für den Augenblick. Die Malerei, unscheinbar grau, aber bleibt. Die Spiegelwand besteht aus vielen Bildern, aus Einzelfragmenten, die wir im Schauen zusammenfügen oder auch isoliert betrachten können.
Ganz bewusst ist hier ein modularer Aufbau gewählt, der die Spiegelung hinterfragt, der sie letztlich auch bricht. Befragt werden Komposition genauso wie Oberfläche und Räumlichkeit des Bildes. Im Ergebnis offen und nicht festgelegt. Der Raum, in dem wir uns befinden wird befragt und zeigt sich plötzlich in ganz unterschiedlichen Facetten. Wir sehen Spiegelungen in der Kunst, wie auch im Fenster auf der gegenüberliegenden Seite, in der sich alles nochmal zu zeigen scheint. Zurückgenommen jedoch und in einer anderen optischen Ebene.
Und noch etwas finden wir im Raum: Die Rückwand ist verhangen. Ein großes Transparent fängt unseren Blick. Nicht nur, dass hier der Titel von Andreas Exner nochmals ganz groß angeschlagen wird, nein, uns selbst wird damit auch ein Stück des Raums genommen. Wo an den Längsseiten der Raum erweitert wird, dringt hier etwas ein, tritt uns gegenüber: Am Ende ein weiteres Thema der Malerei, die nicht nur Fenster und Spiegel sein kann, sondern auch Vorhang, der etwas verbirgt oder nur vage durchscheinen lässt. Und immer bleibt dabei die Frage, was wird denn hier eigentlich gezeigt? Und was bleibt uns hier verborgen?
Ein Text von Jörg Daur, Museum Wiesbaden – Hessisches Landesmuseum für Kunst und Natur
Service und Links
- Christine Dressler für den Wiesbadener Kurier über AUTOPAINT, hier
- Andreas Exner, *1962, lebt und arbeitet in Frankfurt, mehr über sein Werk findet sich hier
www.andreasexner.net
- Raymund Kaiser, *1955, lebt und arbeitet in Köln, mehr über sein Werk erfahren Sie hier www.raymundkaiser.de
Die hier verwendeten Ausschnitte sind Screenshots von Bildern, sie finden sich wie der Text in der Publikation „AUTOPAINT“, die anlässlich der Ausstellung im Kunstverein Bellevue-Saal in Wiesbaden vom 19. Januar bis 19. Februar 2017 erscheint.
Weitere Informationen unter www.kunstverein-bellevue-saal.de
© 2017 für den Fotografen Dirk Uebele, Wiesbaden und den Autor Jörg Daur © 2017 VG Bild-Kunst für Raymund Kaiser und Andreas Exner
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