Freitag, 16. Dezember 2016

Buchtipps: Schattenseiten der Wohlstandsgesellschaft und Frauen in der Kultur

Frauen kommen zwar häufiger ins Museum als früher, doch ihre Kunstwerke sind wie Frauen in Führungspositionen noch immer relativ selten. Für Gleichberechtigung und Transparenz im Kunstbetrieb kämpfen die Guerilla Girls seit Jahrzehnten © courtesy Guerilla Girls www.guerrillagirls.com

Zugegeben, das sind harte Themen und es ist bald Weihnachten. Ja aber. Kuscheln kann man woanders und für die heile Welt sollte man Soaps und Telenovelas schauen, Kitschromane lesen oder Trump wählen. Also Punkt. Kulturpolitik ist Gesellschaftpolitik. 

Diese These der 1970er Jahre hat sich zunehmend als Erkenntnis politisch Verantwortlicher durchgesetzt. Zumindest in Vorträgen und Absichtserklärungen. Denn als freiwillige Leistung der Kommunen wird Kultur und kulturelle Bildung meist nur budgetabhängig spendiert. Doch angesichts der aktuellen, gesellschaftlichen Herausforderungen wird kulturelle Bildung - nicht nur - in der Bundesrepublik zunehmend als eine wesentliche Voraussetzung für eine emanzipierte, gesellschaftliche Teilhabe begriffen.

Da war doch was, aprospos Teilhabe... 

Eigentlich sollte der für gesellschaftliche Teilhabe nicht unwesentliche Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesrepublik schon im Sommer 2016 publiziert werden. Aber kurz vor der Weihnacht 2016 heisst auf der Website des Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesrepublik nun: Unter der Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wird die Bundesregierung die 2001 begonnene Bestandsaufnahme der sozialen Lage in Deutschland fortsetzen und im Jahr 2017 den Fünften Armuts- und Reichtumsbericht (5. ARB) vorlegen.

Oder hat Putin etwa wieder seine Finger im Spiel?

Pünktlich nach der Wahl 2017 wird der 5. ARB veröffentlicht, sticheln Experten. Wenn die Russen und andere böse Kräfte aus dem Darknet ihn nicht vorher hacken, prophezeien andere. Wir wollen postfaktischen Diskussionen hier - ausnahmsweise - mal nicht so viel Raum geben. Oder doch?

Der Verdacht liegt schon nahe, dass die Zahlen und die aus Ihnen kreierbaren, ernüchternden Thesen zur Entwicklung von Armut und Reichtum in der Bundesrepublik bewusst aus dem beginnenden Bundestagswahlkampf herausgehalten werden.
 

Wirklich alle? Nein, ein 'kleiner' Verband leistet Widerstand...

Zum Glück gibt es Alternativen, den aktuellen Armutsbericht des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands etwa. Der ist schon jetzt verfügbar und gibt detailliert Auskunft. Franz Köger, Autor der kulturpolitischen mitteilungen, fasst den Bericht wie folgt zusammen: 'Trotz aller Erfolgsmeldungen ist ein beachtenswerter Teil der Bevölkerung in seinen gesellschaftpolitischen Partizipationsmöglichkeiten materiell erheblich eingeschränkt.'    

Wie arm ist meine Stadt? Die Postleitzahl gibt Auskunft...

Machen wir es doch mal konkret: In Köln sieht die Entwicklung der Armut laut Deutschem Paritätischen Wohlfahrtsverband wie folgt aus: 2009: 14,7%, 2010: 15,1%, 2011: 16,3%, 2012: 16,4%, 2013: 17,5%, 2014: 16,3%. Als arm gilt, wer über weniger als 60% des Durschnittseinkommens verfügt. Die Zahlen für 2015 dürften besonders spannend sein, denn, so formuliert es Franz Köger vorbildlich deutlich:
  
'Wenn aber die positive Wirtschaftsentwicklung kaum noch Einfluss auf den Abbau von Armut in Deutschland hat, dann bleiben staatliche Transferleistungen für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse unausweislich.' Wir danken Autoren wie Köger für die klaren Worte und sind gespannt, wie die neuen Zahlen aussehen und vor allem, wann sie denn veröffentlicht werden. Und jetzt widmen wir uns dem zweiten Thema und Buch.

Klare Zahlen: Frauen in der Kultur

Die vom Deutschen Kulturrat finanzierte Studie zur Situation von Frauen in der Kultur ist zunächst einmal lobenswert. Denn eine Studie, die es sich erlaubt, 20 Jahre - 1994-2014 - für die Entwicklung der Geschlechtergerechtigkeit als Basis zu wählen, macht viel Arbeit. Die Situation der Frauen in den Kultursparten, den entsprechenden Studienfächern, in den Kultureinrichtungen, in den Medien, in der Freiberuflichkeit, bei den öffentlichen Förderungen und in den Bundeskulturverbänden ist das Thema.

Und die Zahlen sind, wen wundert es, wenn er in der Szene tätig ist, ernüchternd. OK, die Zahl der weiblichen Studierenden in den künstlerischen Fächern hat sich in den letzten Jahrzehnten auf insgesamt 60% erhöht und immerhin 40 Prozent der Lehrkrafte in den Fächern Kunst und Kunstwissenschaft sind inzwischen weiblich. Auch in den Kultureinrichtungen sind Frauen an der Spitze - und im Mitelbau - nicht ungewöhnlich. Gleichverteilt oder gar -berechtigt sind sie aber noch lange nicht.

Fazit: Es bleibt noch einiges zu tun...

Die empirisch anspruchsvolle Studie liefert wichtiges Material zur Analyse der Geschlechterverteilung im Kulturbereich und beleuchtet zugleich die Entwicklung vor dem Hintergrund der erfolgten, rechtlichen Maßnahmen - Stichwort Gleichstellungspolitik. Wie war das doch gleich? Kulturpolitik ist Gesellschaftpolitik, es handelt sich also um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Also packen wir's oder im Sinne der Guerrilla Girls prangern wir's an.

Links
- der Armutsbericht des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, hier
- die Website der Bundesregierung zum 5. Armuts- und Reichtumsbericht, hier
- die Buchvorschau des Deutschen Kulturrates: Frauen in der Kultur, hier
- Analyse und Kommentar: Julia Schröder über das Buch Frauen in der Kultur, hier
- Eva von Schirach über die Situation der kulturellen Bildung in der Bundesrepublik, hier
- weitere spannende (politische) Buchtipps, hier
- Informationen über die kulturpolitischen mitteilungen, hier
- Informationen zu den Aktionen der Guerilla Girls, hier
 
PS: Die Zitate von Franz Köger stammen aus seinem Artikel 'Schattenreiche der Wohlstandsgesellschaft' in den kulturpolitischen mitteilungen, Nr. 154, Heft III/2016, S. 13.

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