Montag, 5. Dezember 2016

Big Data and Brother: Firmen wissen, was wir denken und machen Politik


Der Schweizer Tagesanzeiger lieferte am Wochenende einen sehr lesenswerten Artikel über Big Data und deren Nutzen für den Wahlkampf. Wir berichteten bereits 2012 über den Missbrauch von sozialen Medien wie facebook und möchten an dieser Stelle erneut zur Aufklärung beitragen. Denn auch hier zeigt sich wieder die Macht der - in sozialen Medien – omnipräsenten Bilder.

Der Artikel, oder besser, die traurige Geschichte über den begabten, Forscher Michal Kosinski, dessen Warnungen vor dem Potential der Ergebnisse seiner Untersuchungen lange nicht verstanden wurden, sollte allen, die sich in sozialen Netzwerken bewegen, die Augen öffnen. Wir fassen im Folgenden die wesentlichen Ergebnisse des umfangreichen Artikels hier nur verkürzt zusammen.

Like it or not - and I tell you who you are 

Michal Kosinski ist einer der führenden Experten für Psychometrik, einem datenbasierten Nebenzweig der Psychologie. Dank seiner Forschungen ist es heute möglich, anhand der Daten aus Netzwerken wie facebook abzulesen, ob die Eltern einer Person bis zu deren 21. Lebensjahr zusammengeblieben sind oder nicht.



Unheimliche Aussagekraft – likes bei facebook

Kosinski gelang es, anhand von zehn facebooks-Likes eine Person besser einschätzen als ein durchschnittlicher Arbeitskollege. Es wird noch besser: Ganze 70 Likes reichen aus, um die Menschenkenntnis eines echten, menschlichen Freundes zu überbieten. Mit 150 Likes können gar die Kenntnisse der Eltern übertroffen werden. Und mit 300 Likes können Programme das Verhalten eines Menschen eindeutiger vorhersagen als dessen Partner.

Die digitale Wahrheit über das Ich

Wem das noch keine Angst macht, dem sei gesagt, dass mehr als 300 Likes ausreichen, um mehr über einen Menschen zu wissen, als dieser selbst von sich zu wissen glaubt – dies ist kein Scherz. Just an dem Tag, als Michal Kosinski seine Ergebnisse veröffentlichte, erhält er zwei Anrufe: Eine Klageandrohung und ein Stellenangebot. Beide von facebook…

Das Smartphone als mobile, immer aktive Datenkrake

Als der Kosinski begann, das negative Potential seiner Forschungen zu erfassen, versah er all seine Publikation mit Warnungen. Seine Aufsätze endeten stets mit dem Hinweis, dass seine Methoden «das Wohlergehen, die Freiheit oder sogar das Leben von Menschen bedrohen» könnten. Doch bis zum viele überraschenden Wahlausgang in den U.S.A. hörte niemand auf seine Warnungen.

Mit Social Bots und Mikrotargeting zum Sieg

Kosinskis Alptraum ist wahr geworden. 2014, nach einem verlockenden Angebot eines Unternehmens, das ihn skeptisch machte, recherchierte Kosinski über diese Firma, die von sich selbst auf ihrer Website sagt: ‚Wir sind eine weltweit agierende Wahl-Management-Agentur‘. Das Unternehmen betreibt Marketing mit dem Schwerpunkt Wahlbeeinflussung. Kosinskis Modelle und Erkenntnisse werden – entgegen aller Warnungen – eindeutig für politische Zwecke eingesetzt.



Der perfekte, opportunistische Algorithmus

Und das funktioniert etwa so: Für jeden einzelnen Wähler sendet man individualisierte Botschaften. Bereits im August bemerkte die Mathematikerin Cathy O’Neil, dass Donald Trump wie ein perfekt opportunistischer Algorithmus agiere, der sich nur nach Publikumsreaktionen richtet. Am Tag der dritten Präsidentschaftsdebatte versendeten das Cyber-Team des Milliardärs seine Argumente in 175 000 verschiedenen Variationen. Vor allem auf facebook…

Manipulation mit Hilfe von dark posts

Diese Botschaften unterscheiden sich meist nur in minimalen Details. Mit verschiedenen Titel, Farben, Untertiteln, Fotos und Videos sind sie psychologisch optimal auf die zuvor durchleuchteten Empfänger zugeschnitten. Das mikroskopische Zielen auf Wähler geht auch in die andere Richtung. Nicht nur die ‚eigene Klientel‘ wird manipuliert. Auch Wähler der Konkurrenz werden gezielt manipuliert, um sie von der Wahl abzuhalten.

facebook als ultimative Waffe

Konkret bedeutet dies etwa am Beispiel von jungen Afroamerikanern, also potenziellen Clinton-Wählern, dass sie mit sogenannten dark posts manipuliert werden. Letztere sind gekaufte facebook-Inserate in der Timeline, die nur User mit passendem Profil sehen können. So wurden jungen Afroamerikanern etwa gezielt Videos zugespielt, in denen Clinton schwarze Männer als Raubtiere bezeichnet.

 

Social Bots, Propaganda und Cambridge Analytica

facebook erwies sich als ultimative Waffe und effektiver Wahlhelfer und das in Deutschland der AfD gefallen, die mehr facebook-Freunde hat als CDU und SPD zusammen. Auch den Einsatz von Social Bots hat die AfD bereits offiziell angekündigt. Geschockt von der US-Wahl Michal Kosinski begonnen die Fortschritte und Anwendungen seiner Erkenntnisse zu analysieren.

Please, do not like…

Erste Ergebnisse zeigen, dass psychologisches Targeting, wie Cambridge Analytica es im Wahlkampf für Trump verwendete, die Clickraten von facebook-Anzeigen um über 60 Prozent steigerte. Die Konversionsrate, ein Indikator dafür, wie stark Menschen aufgrund von auf sie persönlich zugeschnittener Werbung im Sinne dieser handeln, also etwas kaufen oder jemanden wählen, steigerte sich um 1400 Prozent.

Der Forscher Kosinski wird mit Angriffen und Vorwürfen bombardiert. Doch er betont, dass es nicht seine Schuld sei: ‚Ich habe die Bombe nicht gebaut. Ich habe nur gezeigt, dass es sie gibt‘, so der Forscher in einem Interview (Das Magazin).

Links
- der Tagesanzeiger-Artikel über Michal Kosinski und Cambridge Analytics, hier
- Alexander Nix erklärt die Methode der Firma Cambridge Analytica, hier
- wie soziale Netzwerke missbraucht werden, um zu manipulieren, DLF-Feature, das Beispiel der Kölner Sylvesternacht 2015, making of Apokalypse 2.0, hier 
- kunstlich über Datenkraken im Netz (2010), hier
- kunstlich über facebook und die ägyptische Revolution (2012), hier
- kunstlich über memoto lifelogging cloud services (2013), hier

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