Ein Screenshot der Website des Kölner Museum Ludwig zur Jubiläumsausstellung Wir nennen es Ludwig © Museum Ludwig |
Das Kölner Museum Ludwig feiert seinen Geburtstag mit einer Vielzahl an Veranstaltungen und Gästen. Neben internationalen und lokalen Stars sind auch institutionskritische Stimmen darunter. Etwa Hans Haacke, der den Industriellen Peter Ludwig und seine Steuersparmodelle in einer Pralinenmeister genannten, 14-teiligen Arbeit vorstellt und hinterfragt.
In diesem Sinne haben sich – neben Maria Eichhorn – auch die Guerilla Girls der Institution Museum Ludwig gewidmet und ernüchtert festgestellt, dass ganze 11% der Kunstwerke der weltweit bekannten Kölner Sammlung von Künstlerinnen stammen. Lobend betonten die maskierten Damen jedoch, dass eine solche Ausstellung wie aktuell in Köln in den U.S.A. kaum möglich sei.
Die Macht der omnipräsenten Mäzene ist in der U.S.-Kunstszene einfach zu groß. Oder anders formuliert, keine Institution in den U.S.A. kann es sich leisten, solch institutionskritische Arbeiten zu präsentieren. Neben diesen zwar nicht gerade neuen aber doch noch immer wirkungsvollen, subversiven Positionen finden sich im Programm der noch bis Ende Januar 2017 laufenden Jubiläumsausstellung auch jüngere.
Ephemere Kunst, die nicht ins Depot oder Schubladen passt…
Im Rahmen der im August angekündigten ausführlichen Ausstellungskritik stellen wir hier nun ein besonderes, weil ephemeres Kunstgeschenk des Museum Ludwig für sich und die Öffentlichkeit vor: Die permanente Aktion der beiden Künstler Alexandra Pirici und Manuel Pelmus. Beide sind dem internationalen Kunstpublikum spätestens seit 2013 durch ihren Beitrag für den rumänischen Pavillon im Kontext der Biennale in Venedig ein Begriff.
Für Venedig schufen sie eine Arbeit, die einen Blick auf die Geschichte der Institution warf. 5 Akteure verkörperten – im wahrsten Sinne des Wortes – eine von Pirici und Pelmus geschaffene Auswahl von Kunstwerken, die Teil der Geschichte der Biennale sind. Jeden Tag von neuem, der gleichen Choreografie folgend und doch immer einzigartig verkörperten die von Pirici und Pelmus engagierten Tänzer Meilensteine der Biennale-Geschichte.
Tanz den Mussolini, Meilensteine der Geschichte der Biennale in Venedig
Nach einer Ankündigung in englischer Sprache, die dem Publikum in kurzer, prägnanter Form mitteilte, welches Kunstwerk nun vorgestellt werde, positionierten die Performer sich zu einer lebenden Abbildung des zuvor angekündigten Werks. Als getanzte Kunstgeschichte beschrieben einige Kritiker die Aktion, doch von Tanz kann hier nicht die Rede sein. Eher von einer Transformation, einer Verkörperung von Malerei und Skulptur.
Die ein Jahr später geschaffene, Public Collection of Modern Art genannte Arbeit von Alexandra Pirici und Manuel Pelmus beabsichtigt, einen subjektiven und unvollständigen Überblick auf die Kunst der Moderne und deren Fortwirken bis in die Gegenwart zu geben. Bezugspunkte bilden dabei hierbei etwa Auszüge von Donna Haraways "A Cyborg Manifesto" (1983) und aktuelle Diskurse über den Akzelerationismus. Folgerichtig werden in dieser Arbeit neben objekthaften Kunstwerken auch konzeptuelle Werke, also Manifeste wie das Futuristische vorgetragen.
Die Moderne als ein nicht abgeschlossener Prozess
Im Rahmen von Public Collection of Modern Art lösen Pirici und Pelmus sich von den gängigen kunsthistorischen Einordnungen der Moderne. Denn sie begreifen diese nicht als eine historische, abgeschlossene Epoche. Pirici und Pelmus verstehen die Moderne als einen Impulsgeber für kontinuierlich andauernde Diskurse, deren Einfluss sich bis auf die zeitgenössische Kunst unserer Tage erstreckt.
Indem Public Collection of Modern Art nichts weiter als den menschlichen Körper zu Hilfe nimmt, stellt sie bedeutende Kunstwerke und Ereignisse der Moderne und ihre Resonanz in der Gegenwart nach. Und auf diese Weise ist Public Collection of Modern Art zugleich auch ein Versuch, sich (Kunst-)Geschichte anzueignen. Werke werden von ihren Sockeln geholt, ent-monumentalisiert, aktualisiert und re-kontextualisiert.
Abstand nehmend von der Idee der einmaligen oder temporären Performance, sind die permanenten Aktionen von Pirici und Pelmus bewusst als wiederholbare Handlungen angelegt. Daher sind Begriffe wie Choreografie und Performance unscharf. Denn das Format dieser immateriellen, Public Collection of Modern Art genannten Sammlung von Pirici und Pelmus ist das einer permanenten, aktionsgeladenen Ausstellung.
Auf diese Weise beziehen Pirici und Pelmus sich auf Konventionen wie sie für die museale Präsentation materieller Objekte üblich sind. Doch die Public Collection of Modern Art stellt zugleich auch grundlegende Fragen zur Ökonomie der immateriellen Produktion in Kulturinstitutionen. Hinterfragt die Idee einer materiellen Sammlung an sich, den Grundpfeiler des Museums als Institution.
Eine lebendige Sammlung von moderner Kunst und unschätzbarem Wert…
Die Arbeit Public Collection of Modern Art wurde ursprünglich vom Van Abbemuseum für die Ausstellung Confessions of the Imperfect, 1848 – 1989 – Today beauftragt. Anlässlich von 60 Jahren documenta wurden Pirici und Pelmus 2015 vom documenta Archiv eingeladen, einen Dialog zwischen der Diskursgeschichte, bedeutenden Momenten der Moderne und der Geschichte der documenta mit ihren ursprünglichen Intentionen zu kreieren.
Die Kasseler Version von Public Collection of Modern Art befasste sich unter anderem mit Max Beckmann, dessen Werk von den Nationalsozialisten als entartet verfemt wurde. Im Rahmen der ersten documenta (1955) wurde Beckmann erstmals wieder prominent in Deutschland ausgestellt. Denn frühen documenta-Ausstellungen sahen sich angesichts der deutschen Vergangenheit in der Verantwortung, die künstlerische Avantgarde der Moderne zurück in das öffentliche Bewusstsein zu bringen. Ein weiterer documenta-Bezug war das Büro für Direkte Demokratie, in das Joseph Beuys auf der documenta 5 zur Diskussion einlud.
Martin Kippenberger, Max Ernst und Candida Höfer
Für die Kölner Präsentation der Public Collection of Modern Art haben Pirici und Pelmus ihre Sammlung um bedeutende Werke der Sammlung des Museums Ludwig erweitert. Martin Kippenbergers Symphatische Kommunistin, Max Ernsts Heilige, das Jesuslind züchtigende Jungfrau und Candida Höfers Aufnahmen von Türken in Deutschland.
Der Reiz der Aktion liegt fernab von ihrer kunsttheoretischen Bedeutung, der Erinnerung an nach wie vor aktuelle Fragen zum Wesen von Kunst und den Bedingungen von Kulturinstitutionen in der überzeugenden Klarheit, der Schlichtheit des künstlerischen Ansatzes.
Wer spielt mit?
Der von Pirici und Pelmus konzipierten Verkörperung und Reanimierung bedeutender Positionen der modernen Kunstgeschichte gelingt es, Menschen unabhängig von ihrer kulturellen Vorbildung für die Komplexität, das Nicht-Abgeschlossensein des Projekts Moderne zu begeistern. Zumindest wenn Sie etwas Zeit, Interesse und Neugier mitbringen.
Es lohnt sich auch die Interaktion, die Reaktion des Publikum auf die in alltäglicher Kleidung agierenden Akteure zu beobachten...
Teil der Jubiläumsausstellung Wir nennen es Ludwig sind die folgenden Künstler: Georges Adéagbo, Ai Weiwei, Ei Arakawa & Michel Auder, Minerva Cuevas, Maria Eichhorn, Andrea Fraser, Meschac Gaba, Guerilla Girls, Hans Haacke, Diango Hernández, Candida Höfer, Bodys Isek Kingelez, Kuehn Malvezzi, Christian Philipp Müller, Marcel Odenbach, Ahmet Ögüt, Claes Oldenburg, Pratchaya Phinthong, Gerhard Richter, Avery Singer, Jürgen Stollhans, Rosemarie Trockel, Villa Design Group, Christopher Williams.
Service und Links
Die Public Collection of Modern Art ist täglich bis zum 18. September von 13 - 17 Uhr zu erleben und dann wieder vom 1. - 20. November.
- Alexandra Pirici und Manuel Pelmus: Public Collection in Bologna 2015, hier
- Alexandra Pirici und Manuel Pelmus: Public Collection im Museum für Moderne Kunst in Warschau 2015, hier
- Jan Kedves über den Beitrag von Alexandra Pirici und Manuel Pelmus in Venedig 2013, hier
- kunstlich.com über Alexandra Pirici und Manuel Pelmus in Venedig (2013), hier
- Bilder zu den Arbeiten von Alexandra Pirici und Manuel Pelmus, hier
- Michael Köhler über das Jubiläum und die Ausstellung im Museum Ludwig, hier
- Kunstkritikerin Christiane Vielhaber über das Museum Ludwig, den Mäzen und die Geschichte des Hauses, hier
- Kunst ist Trumpf: 40 Jahre Museum Ludwig, Sabine Oelze über das Museum Ludwig, hier
- Mäzene und Museen - Dörte Hinrichs über das vielschichtige Verhältnis am Beispiel des Kölner Museum Ludwig, hier
- Barbara Engelbach, Kuratorin der Fotosammlung des Museum Ludwig im Gespräch, hier
- das offizielle Video zur Kölner Geburtstagsausstellung – Wir nennen es Ludwig, hier
- Museen von Köln bis Peking, der Name Ludwig steht für eines der größten Kunstimperien der Welt, eine aktuelle WDR-Dokumentation, hier
- Ein Museum zieht sich um, eine Multimediareportage von Thomas Köster und Philipp J. Bösel, hier
- die Website des Museum Ludwig zur Ausstellung, hier
- Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig, im Gespräch mit Britta Bürger über die Bedeutung der Sammlung Haubrich, hier
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