Freitag, 2. September 2016

Heimat – Katharina Fritsch im Essener Folkwang Museum – noch bis Ende Oktober


Ein Screenshot der Website des Museum Folkwang zur Ausstellung Katharina Fritsch © Katharina Fritsch VG Bild-Kunst, Bonn 2016, Foto: Jens Nober, 2016
 
Postkartengrüße aus Essen sendete ihr der Großvater einst in die gar nicht so weit entfernte Stadt Düsseldorf, wo Katharina Fritsch 1977 ihr Studium begann. Und so darf man wohl getrost sagen, dass es ist eine sehr private Ausstellung im Essener Folkwang Museum ist.

 

Die mit ihren überlebensgroßen, monströsen Ratten und anderen alptraumhaften, monochromen Figuren bekannt gewordene Künstlerin präsentiert in einer wohltuend überschaubaren Schau verfremdete Postkartengrüße aus dem jungen Nachkriegsdeutschland gepaart mit für sie typischen, monochromen Figuren.

Bekannte, die Künstlerin und das Bild des Nachkriegs-Essen prägende Orte und Veranstaltungen wie die Gruga oder der Baldeneyer See sind als übergroße, verfremdete Postkartenmotiv im Folkwang Museum und am zweiten Ausstellungsort, der Villa Hügel, zu sehen.


Nüchterne Präsentation, hier ein Blick auf die Werke Gartenskulptur (Torso) und Postkarte (Essen), 2005–2006, von Katharina Fritsch im Museum Folkwang © Katharina Fritsch VG Bild-Kunst, Bonn 2016, Foto: Jens Nober, 2016

Durch das Skalieren der handlichen Postkarten in Werbeplakatdimensionen und die optischen Verfremdungen gewinnen die Bilder eine surreale Unschärfe, so wie die Erinnerungen an das poppige Wirtschaftwundersdeutschland jener Zeit. Und die starken, neonfarbigen Schleier über den Bildern erinnern zugleich an Farbfehler, wie sie bei Digitalisierungsprozessen wie das Scannen von farbigen Motiven entstehen. 

Diese vermeintlichen Fehler stehen in einem Kontrast zu der strengen Ordnung der Ausstellungsinszenierung, die für Arbeiten der Künstlerin ebenso typisch ist, wie ihre monochromen oft überlebensgroßen Figuren. Die ideale, griechisch anmutende Vase war zuvor schon Thema in Fritschs Werk.

In Essen, dem ersten Museum für moderne Kunst in Deutschland mit maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung von Museen für zeitgenössische Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, kann diese Vase als Hommage an den humanistischen Bildungsauftrag der Institution gelesen werden, die vermutlich auch maßgeblichen Einfluss auf die künstlerische Sozialisierung von Katharina Fritsch hatte. 



Der Düsseldorfer Riese von Katharina Fritsch im Museum Folkwang © Katharina Fritsch VG Bild-Kunst, Bonn 2016, Foto: Jens Nober, 2016

So ist auch der weibliche Torso eine Kindheiterinnerung an einen Garten in der Essener Nachbarschaft. Die Arbeit von Ernst Conze ist ein deutlicher Bezug auf einen Torso von Wilhelm Lehmbruck, der sich seit 1912 im Folkwang Museum befand. Recht aktuell dagegen ist der Riese im ersten Raum der Ausstellung.

Der betongraue Riese mit Keule und Lendenschurz erweckt zunächst den Eindruck eines Neandertalers. Doch bei genauerer Betrachtung der hellen Figur mit ihrer perfekten, samtenen Oberfläche stellt sich ein Irritationsmoment ein. Denn der Kopf, das moderne Gesicht der Figur passt nicht zu ihrem archaisch anmutenden Körper.

Hier zeigt sich der spielerische wie humorvolle Moment der Bildhauerin Fritsch, denn der vermeintlich archaische
Riese ist ein Abguss eines Taxifahrers aus Düsseldorf, wo sie bei Fritz Schwegler in den 1970er Jahren studierte, bevor sie schließlich selbst eine Professur an der Akademie übernahm.

Und doch wird man das Gefühl nicht los, dass hinter diesem perfekten
Arrangement, trotz der lichten Farbigkeit und der Idylle der Postkartenmotive etwas Abgründiges steckt. Etwas das mehr ist, als ein Zweifeln an der so friedlichen Postkarten-Idylle der frisch geputzten BRD

Service / Links
- die Website des Museum Folkwang zur Ausstellung Katharina Fritsch, hier
- Kritik: Christiane Vielhaber über Katharina Fritsch in Essen, hier
- Kritik: Alexandra Wach über die Fritsch-Ausstellung in Essen, hier
- Kritik: Bertram Müller über die Katharina Fritsch Ausstellung im Folkwang Museum, hier
- die Ausstellung von Katharina Fritsch in der Villa Hügel, hier
- Kostenloser Eintritt in die Sammlung: Verdoppelte Besucherzahlen - Folkwang-Direktor Tobia Bezzola im Gespräch mit Stefan Koldehoff, hier
- Georg Imdahl über die fotografische Sammlung des Folkwang Museums, hier
- eine aktuelle Postkartenkritik bei kunstlich zur Villa Hügel, hier
- Heimat, die Wiederkehr einer Idee, Interviews mit Kulturschaffenden über ihren Begriff von Heimat, hier

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