Freitag, 30. September 2016
Jetzt aber schnell: Freundschaftsspiel Istanbul: Freiburg - noch bis zum 9. Oktober
Das Freiburger Museum für Neue Kunst hat mit seiner aktuellen Schau den Puls der Zeit getroffen. Mit seiner Ausstellung Freundschaftsspiel Istanbul : Freiburg setzt das Museum für Neue Kunst die Ausstellungsreihe Freundschaftsspiel fort, bei der die museumseigene Sammlung mit anderen Sammlung in Dialog gesetzt wird.
Rund drei Wochen nach der Eröffnung der Ausstellung Freundschaftsspiel Istanbul : Freiburg erhielt die Kooperation mit den türkischen Künstlern und Sammlern durch den gescheiterten Putschversuch in der Türkei Ende Juli dieses Jahres eine zuvor ungeahnte Brisanz.
Neben der Ausstellung von Werken aus der Sammlung Ayse Umur und solchen aus der Freiburger Sammlung werden im Rahmen des Kooperationsprojekts im Schau_Raum des Museums auch Videoarbeiten aus der Sammlung Agah Ugur gezeigt. Und mit einer Reihe von Publikationen, welche im Rahmen des Ausstellungsprojektes entstanden, endet die Schau.
Hier folgen Auszüge der Pressemitteilung zur Ausstellung Freundschaftsspiel Istanbul : Freiburg
Die Ausstellung ist das Ergebnis einer Korrespondenz zwischen Sammlungen, die zwar in unterschiedlichen geo-politischen Kontexten entstanden sind, aber dennoch verwandte künstlerische Haltungen teilen. Freundschaftsspiel Istanbul: Freiburg untersucht eine Reihe von historisch und politisch aufgeladenen Kontexten wie Gender-Fragen, Sprache, Identität und Humor. Innerhalb dieser Themenfelder kann die zeitgenössische museumseige Sammlung mit ihrer Vielstimmigkeit glänzen, um so mehr als ihr zwei selten zu sehende, aber umso wirkmächtigere Privatsammlungen zur Seite gestellt wird.
Die Beiträge zur Ausstellung beinhalten Künstlergespräche, ein Diskussionsprogramm, Screenings, Lesungen und Performances. In der Begegnung der Sammlungen entsteht eine nicht-lineare, aufeinander bezogene Komposition, die parallele künstlerische Positionen aus verschiedenen Generationen kartografiert und eine oft eurozentristische Annäherung um weitere Positionen bereichert.
In der Ausstellung vertreten sind die folgenden Künstler und Kollektive:
Hera Büyüktaşçıyan | Handan Börtüçene | Selim Birsel | Cansu Çakar | Aslı Çavuşoğlu | Şevket Dağ | Dellbrügge & de Moll | Max Diel | Merike Estna | Cevdet Erek | Ralph Fleck | Nilbar Güreş | Eugen Gomringer | Stefan Hösl | Ali Kazma | Joseph Kosuth | KOMET | Merve Kılıçer | Anselm Kiefer | Ola Kolehmainen | Kurucu Koçanoğlu | Aleksandra Mir | Ciprian Mureşan | Laure Prouvost | Raqs Media Collective | Max Radler | Necla Rüzgar | Hanni Rocco | Abigail Reynolds | Viviane Sassen | Michel Sauer | Richard Schindler | Fritz Schwegler | Kemal Seyhan | Nedko Solakov | Curt Stenvert | Serra Tansel | Yavuz Tanyeli | Erdem Taşdelen | Amalia Ulman | Mehmet Ulusel | Raymond Waydelich
Service und Links
- die Website des Museums für Neue Kunst zur Ausstellung, hier
- Ingo Arend im Gespräch mit Britta Bürger über die Kunstszene in Istanbul, hier
- die aktuelle Situation der Theaterszene in der Türkei, hier
- Dirk-Oliver Heckmann über die Einstellung des Verfahrens gegen Jan Böhmermann, hier
- Thomas Bormann im Gespräch über den Semesterstart nach dem Putschversuch in der Türkei, hier
- Thomas Bormann über den Alternativen Nobelpreis für die Zeitung Cumhuriyet, hier
- Luise Samman über die aktuelle Situation für Journalisten, Künstler und Intellektuelle in der Türkei, hier
- Manfred Götzke über die Polarisierung der türkischen Gemeinde in Deutschland, hier
- Reinhard Baumgarten über die Situation in der Türkei nach dem Putschversuch Ende Juli, hier
- Nurkan Erpulat im Gespräch mit Susanne Burkhardt über das Theater in der Türkei nach dem Putschversuch, hier
Mittwoch, 28. September 2016
Coming soon: New York - Kai Althoff inszeniert seine Kunst im MoMA
Ein Screenshot der Website des MoMA zur aktuellen Ausstellung von Kai Althoff. Zu sehen ist ein wahrhaftes Frühwerk von Kai Althoff: Untitled, c. 1969, Filzstift auf Papier, 21×29.7 cm. Collection the artist. © Kai Althoff und MoMA |
Anlässlich der gerade eröffneten Ausstellung von Kai Althoff, wollen wir uns dem Künstler, der auf einen Auftritt im Rahmen der documenta (13) verzichtete, etwas intensiver widmen. In Kürze werden wir an dieser Stelle ausführlicher über den sagenumwobenen, öffentlichkeitscheuen und wohl auch daher so begehrten Rheinländer berichten.
Hier folgen vorab einige nützliche wie informative Links, denn wer nicht wie viele potente Großsammler warten will, kann schon jetzt - mit etwas Glück - noch einen echten Althoff zu erschwinglichen Preisen ergattern.
Ein Blick in Kai Althoffs Inszenierung seiner Arbeiten in der Kölner Simultanhalle 2004 © Kai Althoff und Simultanhalle, Foto: Gerd Mörsch |
Der Kölnische Kunstverein bot seinen Mitgliedern bis vor wenigen Wochen eine Vereinsgabe von Kai Althoff an. Auch die von Stephan Strsembski gegründeten, Bochumer Provinzeditionen bewarben noch vor Kurzem eine exquisite Edition Althoffs.
Service und Links
- Kai Clement für Deutschlandfunk über Kai Althoffs Ausstellung, hier
- Jörg Scheller für die Zeit über den Künstler Kai Althoff, hier
- die Website des MoMA zur Kai Althoff Ausstellung, hier
- Fotostrecke zur New Yorker Kai Althoff Ausstellung, hier
- Carola Padtberg-Kruse für den SPIEGEL über die 'Zähmung des MoMAs' durch Kai Althoff, hier
- DPA-Collage der Süddeutschen über die New Yorker Kai Althoff-Aussstellung, hier
- Rückblick: Kai Althoffs Ausstellung in der Kölner Simultanhalle (2004), hier
- Kölnischer Kunstverein: Vereinsgabe von Kai Althoff, hier
- Provinzeditionen: die Edition von Kai Althoff, hier
Freitag, 23. September 2016
Mittwoch, 21. September 2016
Daniel Josefsohn: Widerstand kleidet und Punk sei Dank
Anlässlich der Photokina wollen wir an dieser Stelle einen schon jetzt unsterblichen, rotzfrechen, herrlich subversiven Künstler würdigen: Den stets Punk und Kind gebliebenen Künstler Daniel Josefsohn, der als Fotograf das Bild der deutschen Fotografie seit den 1990er Jahren wesentlich prägte und vor fünf Wochen verstarb.
Da aus dem traurigen Anlass schon viele Nachrufe und treffende Charakterisierungen des Erfinders der legendären Miststück-Kampagne für den Musiksender MTV geschrieben wurden, belassen wir es an dieser Stelle mit einem ausführlichen Zitat von Lothar Gorris und einer Linkssammlung für all jene, die dem Werk des Künstlers Daniel Josefsohn näher kommen wollen.
Strangulieren tut gar nicht weh…
Nach seinem Besuch bei Josefsohn verfasste Lothar Gorris einen ausführlichen Artikel. Aus diesem stammt die folgende Beschreibung des Wintergartens, der Josefsohn seit seinem Schlaganfall zugleich als Studio diente:
Hier ‚lehnt eine Kalaschnikow an der Wand, er hat sich das Ding im Internet gekauft, es funktioniert nicht mehr. "I love Jews" steht eingraviert auf dem Schaft, die Schrift gold, das Herz rot. Gegenüber das Foto eines palästinensischen Attentäters mit Sprengstoffgürtel, Josefsohn hat es vor Jahren aus Las Vegas mitgebracht, wo es auf einem Schießstand als Zielscheibe neben einem Foto von Bill Clinton diente, es hat Einschusslöcher. Nun ist es eine Art Fotokasten, schaltet man ihn ein, schießt das Bild rote Laserstrahlen aus den Löchern in den Raum. Auf einem Schrank ein verrosteter Wehrmachtshelm, den er aus einem Baustellenloch in der Nähe seiner alten Wohnung in Friedrichshain geholt hat, auch der Helm hat Einschusslöcher...‘
Angst macht keinen Lärm…
Der letzte aus Beitrag aus Josefsohns 52-teiliger Kolumne Am Leben, die er nach seinem Schlaganfall ein Jahr lang für das ZEITmagazin schuf, ist eine Aufnahme vom 17. August 2013. Es war Josefsohns erster Ausflug ins Kulturleben. Ein Besuch im Berliner Museum Hamburger Bahnhof, zehn Monate nach seinem Schlaganfall. Das Foto zeigt Josefsohn im Rollstuhl mit seinem Sohn vor einem Kippenberger-Selbstporträt mit Rollstuhl.
Josefsohn beschreibt die Situation wie folgt: ‚Die Ironie der Ironie der Ironie. Der erste gute Moment. Danke, Kippi. You made my day.‘ Und wir sind uns sicher, dass das Werk des Künstlers Daniel Josefsohn – wie das Martin Kippenbergers – leider erst posthum seiner Bedeutung entsprechend gewürdigt wird.
Service und Links
- Deutschlandradio Kultur: Christoph Amend und Julian Röder im Gespräch über den Fotografen Daniel Josefsohn, hier
- Der Spiegel: Georg Diez über Daniel Josefsohn, hier
- Jan Böhmermann in der Süddeutschen Zeitung über Daniel Josefsohn, hier
- Tobias Rüther für die FAZ über Daniel Josefsohn, hier
- Daniel Josefsohns 52-teilige Kolumne Am Leben für das ZEITmagazin, hier
- Sebastian Hammelehle über Daniel Josefsohn, den Erfinder des MTV-Miststücks(2015), hier
- Der Spiegel: Lothar Gorris über den Fotografen Daniel Josefsohn (2014), hier
- ARTE Metropolis über Daniel Josefsohn, hier
- die offizielle Website von Daniel Josefsohn, hier
Montag, 19. September 2016
Photoszene Köln: John Heartfield und die Arbeiterfotografie
Ein Screenshot der Website der Galerie Arbeiterfotografie zeigt prominente Arbeiten von John Heartfield © Galerie Arbeiterfotografie, John Heartfield, Akademie der Künste Berlin |
Der September ist alle zwei Jahre Photokina-Monat. Das Photoszene Köln Festival präsentiert rund um den Fotomessemonat an über 100 Orten im Kölner Stadtraum Ausstellungen von moderner und zeitgenössischer Fotokunst. Heute stellen wir im Rahmen der Reihe ‚klein aber fein‘ weniger prominente Kunstorte wie die Kölner Galerie Arbeiterfotografie vor.
‚Antikunst. Antikrieg. Dada. 1916 ist Gründungsjahr der Künstlergruppe Dada, die Antikunst als Waffe gegen den Ersten Weltkrieg einsetzen will. John Heartfield ist Monteurdada', wirbt die Galerie Arbeiterfotografie für ihre aktuelle Ausstellung anlässlich des Internationalen Photoszene Köln Festivals.
Pionierarbeit an der Schnittstelle zwischen Kunst und Medien
In Zentrum der Ausstellung stehen die berühmten Fotomontagen des umtriebigen deutscher Künstlers John Heartfield, der u.a. als Maler, Grafiker, Fotomontagekünstler und Bühnenbildner tätig war. Doch aufgrund seiner avantgardistischen Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Kunst und Medien gilt Heartfield heute vor allem als einer der bedeutendsten Erfinder der politischen Fotomontage.
Anfang 1919 erhält John Heartfield von Rosa Luxemburg sein KPD-Parteibuch. Und ab 1930 gestaltet er seine heute ikonenhaften Fotomontagen gegen den NS-Staat für die Titelseiten der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung. Seit 1926 ist das aktuell mit der Berliner Gordon Parks Ausstellung verbundene Motto von der Fotografie als Waffe Leitspruch der Vereinigung der Arbeiterphotographen Deutschlands.
Hintergrund
Die sozialdokumentarische Fotografie entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und wird als ein Vorläufer der Arbeiterfotografie angesehen. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der damals sogenannten ‚arbeitenden Klasse‘ waren erstmals in der u.a. von Henry Mayhew und John Brinny herausgegebenen Veröffentlichung ‚London Labour And The London Poor‘ Gegenstand der Fotografie.
Weitere sozialdokumentarische Fotografen waren Jacob August Riis, der in den 1880er Jahren die Lebensbedingungen von Arbeits- und Obdachlosen in New York dokumentierte und 1890 seine Werke in dem wegweisenden Band ‚How the Other Half lives‘ publizierte. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur in den USA grassierende Kinderarbeit war zentrales Thema von Lewis Wickes Hine.
Gegen Ende der 1920er, während der weltweiten Depression wurden Fotografen wie Dorothea Lange und Walker Evans mit ihren Dokumentation des amerikanischen Farmsterbens für die Farm Security Association (FSA) bekannt. In Deutschland ist August Sander der bekannteste Fotograf, der in seinem epochalen Bildatlas ‚Menschen des 20. Jahrhunderts‘ den Blick auf das Soziale richtete.
Eine zeitgenössische Position aus der Kölner Ausstellung Die Kunst ist tot - John Heartfield und die Arbeiterfotografie © Galerie Arbeiterfotografie |
Zurück in die Zukunft? Frappierende Aktualität…
Aktuell ist in Berlin eine Ausstellung des US-Fotografen Gordon Parks zu sehen. Er gilt als eine der Ikonen der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Auch für ihn war die Kamera eine Waffe, ein Mittel, um den Blick auf problematische Zustände und Tendenzen der US-amerikanischen Gesellschaft zu lenken und so die Spaltung dieser zu thematisieren. Die Berliner Ausstellung Gordon Parks. I am you. Selected Works 1942 – 1978 zeigt Bilder, die verblüffende Parallelen zum heutigen Amerika aufzeigen.
Fazit: Ein Blick auf die Collagen Heartfields, die Portraits Sanders oder die Dokumentationen Parks veranschaulicht die These von der Moderne als ein nicht abgeschlossenes Projekt. Die Aktualität der künstlerischen Positionen ist frappierend, die Parallelen zu aktuellen Diskussionen und Krisen ernüchternd.
Service
Galerie Arbeiterfotografie
Die Kunst ist tot - Montagen von John Heartfield und Arbeiterfotografie
Ausstellung im Rahmen der Internationalen Photoszene 2016
noch bis zum bis 27. September
Öffnungszeiten
Mi + Do 19 - 21 Uhr, Sa 11 - 14 Uhr und nach Vereinbarung, hier
Sonderöffnungszeiten / Internationale Photoszene Köln
Fr 23. September, 19 - 21 Uhr und Sa + So 24./25. September, 11 - 16 Uhr
Links
- die Website der Galerie Arbeiterfotografie, hier
- die Website der Internationalen Photoszene Köln, hier
- kunstlich.com über die Sammlung Daniela Mrázkowá (2010), hier
- die Kamera als Waffe - Fotos von Gordon Parks in Berlin, hier
- Arbeiterfotografie in der Deutschen Fotothek, hier
Freitag, 16. September 2016
New York: Maurizio Cattelan - America - Kunstgeschichte am stillen Ort
New York hat eine erstaunliche (Kunst-) Attraktion mehr: Der erste öffentliche, stille Ort mit goldenem Sitzklosett. Natürlich handelt es sich bei dem America genannten Kunstwerk von Cattelan um eine typische Tiefspültoilette amerikanischer Bauart...
Diesem Kunstereignis, fast genau 100 Jahre nachdem Marcel Duchamp in New York sein Fountain genanntes Kunstwerk auf einer Kunstmesse präsentierte, wollen wir uns natürlich ausführlicher widmen. Denn es ist - wie Kritiker Carsten Probst formuliert – eine der wenigen kunst(markt)kritischen Arbeiten, die – obwohl es zunächst banal erscheint – ein breites Publikum erreicht.
Neben dem Fountain Geniestreich von Duchamp in New York im Jahre 1917 kann im Zusammenhang mit der aktuellen Arbeit von Maurizio Cattelan auf eine ganze Traditionslinie von Toiletten oder auch Fäkalien in der Kunst des 20. Jahrhunderts verwiesen werden. Sehr schön und ebenso kunstmarktkritisch wie die Aktion von Cattelan ist die seines Landsmannes Piero Manzoni, dessen berühmte merda d’artista (Künstlerscheiße) Edition von 1961.
Fantastische Magie der Kunst: Scheiße als Gold verkaufen?
Manzoni füllte jeweils 30 g seiner eigenen Fäkalien in 90 Dosen und verschloss sie geruchsfest. Dann nummerierte er sie von 001 bis 090 schrieb merda d’artista oder auch Künstlerscheiße darauf. Anschließend verkaufte Piero Manzoni zum damals aktuellen Goldpreis für 30 g (ca. 37 Dollar). Man darf davon ausgehen, dass der Kunstmarkt den Goldpreis überholt hat und die wahrhaftige merda d’artista eine renditeträchtige Investition war.
Skandalöse Transformationen II: Klärschlamm und Minimal Art
Ähnlich, wenn auch im größeren Stil, ging der seit einigen Jahren in Frankfurt am Main lebende Paul McCarthy-Schüler Mike Bouchet vor. Aber dessen Manifesta-Beitrag scheint – zeitgemäß – weniger vom Geniekult beeinflusst als die Dosen Manzonis aus den 1960ern. Bouchet Werk scheint eher für moderne, finanziell sehr potente Sammler geschaffen und zugleich basisdemokratischer. Denn Bouchet betont, dass seine Manifesta 11- Arbeit eine Kollaboration mit der gesamten Bevölkerung der Stadt Zürich sei:
Alle, die am 24. März 2016 in Zürich eine Toilette benutzten, haben Anteil an der rund 80 Tonnen schweren, bis vor wenigen Tagen im Löwenbräukunst ausgestellten Installation von Bouchet. In Kooperation mit der Wasseraufbereitungsanlage Werdhölzli verwandelte der Künstler die Ausscheidungen der Züricher Bevölkerung in Kunst.
Hommage an Manzoni oder Andre oder Delvoye?
Bouchet fertigte aus der täglich anfallenden Menge an Fäkalien und Klärschlamm massive Blöcke, die durch ihre Form, Farbe und Anzahl sowie die Inszenierung minimalistisch anmuteten. Daher spricht Karlheinz Schmid von einem Carl Andre aus Klärschlamm. Und nur dank einem ‚eigens entwickelten Duftstoff‘, so verlautet die Manifesta, sei der Geruch im Ausstellungsraum erträglich. Schade eigentlich...
Auch Wim Delvoyes berühmte Versuche, die menschliche Verdauung maschinell zu rekonstruieren oder Paul McCarthys wie Otto Muehls orgiastische Performances können an dieser Stelle erwähnt werden. Doch angesichts der Installation Cattelans wollen wir erneut an Duchamps geschickt inszenierten, die Kunst des 20. Jahrhunderts prägenden Skandal in New York vor rund 100 Jahren erinnern.
Zensur in juryfreien Ausstellungen
Mit seinem Readymade ‚Fountain‘ gelang es Duchamp, die vermeintlich liberale Kunstszene vorzuführen. 1917 reichte er für die International Exhibition of Modern Art im New Yorker Grand Central Palace, die bis dahin größte Ausstellung zeitgenössischer Kunst in den U.S.A, ein abgesehen von der Signatur unverändertes, gebrauchtes Pissoir ein. Doch da Duchamps Name in den Avantgardekreisen damals bereits berüchtigt war, wurde das Werk unter dem Pseudonym R. Mutt eingereicht.
Die natürlich einsetzende, heftige Diskussion über Fountain in dem angeblich juryfreien Kuratorium heizte Duchamp, der selbst als ‚Hängekommissar‘ Teil der Jury war, hinterlistig an. Als man sich entschieden hatte, ‚Fountain‘ nicht auszustellen, sorgte der Künstler dafür, dass die juryinterne Debatte in die Öffentlichkeit gelangte.
Performativer Kunstskandal mit nachhaltiger Wirkung
Gemeinsam mit seinem Freund Alfred Stieglitz und dem einflussreichen Sammler Walter Arensberg inszeniert er den Skandal so geschickt, dass man die Aktion wohl auch als eine Performance lesen kann. Duchamp Kenner Arturo Schwarz beschreibt die einer klassischen Intrige ähnelnde, perfekte Inszenierung wie folgt:
„Duchamp tells how Walter Arensberg, hearing of the incident [die Zensur], went to the Independent Show and asked to see ,the Fountain by R. Mutt’. Attendants called officials. The officials said that they had never heard of it. ,I know better than that’, said Arensberg. His next remark stunned the officials. ,I want to buy it’, he said calmly. Still it could not be found. Thereupon Duchamp and Man Ray, poking around, discovered the offending object behind the partition. They called to Arensberg, who took out his checkbook and announced that he would buy it sight unseen. ,Fill in the amount yourselves’ he said, and then required the urinal to be brought out and carried in plain view through the crowded galleries.“
Das Readymade galt schon bald als ein Jahrhundertwerk und Duchamp zu Recht als Meister einer in ihrer Vielschichtigkeit kaum absehbaren, subversiven wie humorvollen Kunst. Ähnlich dem jetzt installierten, goldenen Sitzklosett Cattelans in New York irritierte Duchamps Urinoir, rüttelte am Kunstverständnis des Publikums (und der damaligen Experten) und stellte auf diese Weise das Selbstverständnis und die Kondition Kunst- und Ausstellungsbetriebs in Frage.
In diesem Sinne schließen wir uns Carsten Probsts Formulierung von einer der wenigen kunst(markt)kritischen Arbeiten, die obwohl sie banal erscheint, ein breites Publikum erreicht, gerne an. Denn der eigentliche Skandal ist doch eher, dass es rund 100 Jahre nach Duchamp und Co. und den wilden (Kunst-)Jahren des ausgehenden 20. Jahrhunderts noch immer so viel Bedarf an elementarer Kunstvermittlung gibt. Dass das Projekt Aufklärung ein nicht abgeschlossenes sei, ist weitläufig bekannt.
Doch dass die Kunst des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart auf ein nach wie vor so leicht zu erregendes Publikum trifft, sollte zu denken geben. Wie auch immer. kunstlich.com freut sich auf eine Postkartenkritik (PKK) aus New York mit einem Bericht von der nun im MoMA möglichen, dank Cattelan besonders exklusiven Kunsterfahrung und belohnt den Absender mit einer Publikation.
Service Links
- das Guggenheim über seine neue, goldene Toilette von Cattelan, hier
- Kunstkritiker Carsten Probst im Interview über Maurizio Catellans Werk, hier
- Gerd Mörsch: Über die Kunst der Provokation, hier
- Christoph Schütte über Mike Bouchet (2014), hier
- die Website der manifesta 11 zu Mike Bouchet, hier
- eine detailliertere Beschreibung der Kunstskandale Duchamps findet sich in der Publikation Die Falle in der Kunst des 20. Jahrhunderts, hier
Mittwoch, 14. September 2016
Köln: Alexandra Pirici und Manuel Pelmus - Public Collection of Modern Art - bis zum 18. September und vom 1. - 20. November
Ein Screenshot der Website des Kölner Museum Ludwig zur Jubiläumsausstellung Wir nennen es Ludwig © Museum Ludwig |
Das Kölner Museum Ludwig feiert seinen Geburtstag mit einer Vielzahl an Veranstaltungen und Gästen. Neben internationalen und lokalen Stars sind auch institutionskritische Stimmen darunter. Etwa Hans Haacke, der den Industriellen Peter Ludwig und seine Steuersparmodelle in einer Pralinenmeister genannten, 14-teiligen Arbeit vorstellt und hinterfragt.
In diesem Sinne haben sich – neben Maria Eichhorn – auch die Guerilla Girls der Institution Museum Ludwig gewidmet und ernüchtert festgestellt, dass ganze 11% der Kunstwerke der weltweit bekannten Kölner Sammlung von Künstlerinnen stammen. Lobend betonten die maskierten Damen jedoch, dass eine solche Ausstellung wie aktuell in Köln in den U.S.A. kaum möglich sei.
Die Macht der omnipräsenten Mäzene ist in der U.S.-Kunstszene einfach zu groß. Oder anders formuliert, keine Institution in den U.S.A. kann es sich leisten, solch institutionskritische Arbeiten zu präsentieren. Neben diesen zwar nicht gerade neuen aber doch noch immer wirkungsvollen, subversiven Positionen finden sich im Programm der noch bis Ende Januar 2017 laufenden Jubiläumsausstellung auch jüngere.
Ephemere Kunst, die nicht ins Depot oder Schubladen passt…
Im Rahmen der im August angekündigten ausführlichen Ausstellungskritik stellen wir hier nun ein besonderes, weil ephemeres Kunstgeschenk des Museum Ludwig für sich und die Öffentlichkeit vor: Die permanente Aktion der beiden Künstler Alexandra Pirici und Manuel Pelmus. Beide sind dem internationalen Kunstpublikum spätestens seit 2013 durch ihren Beitrag für den rumänischen Pavillon im Kontext der Biennale in Venedig ein Begriff.
Für Venedig schufen sie eine Arbeit, die einen Blick auf die Geschichte der Institution warf. 5 Akteure verkörperten – im wahrsten Sinne des Wortes – eine von Pirici und Pelmus geschaffene Auswahl von Kunstwerken, die Teil der Geschichte der Biennale sind. Jeden Tag von neuem, der gleichen Choreografie folgend und doch immer einzigartig verkörperten die von Pirici und Pelmus engagierten Tänzer Meilensteine der Biennale-Geschichte.
Tanz den Mussolini, Meilensteine der Geschichte der Biennale in Venedig
Nach einer Ankündigung in englischer Sprache, die dem Publikum in kurzer, prägnanter Form mitteilte, welches Kunstwerk nun vorgestellt werde, positionierten die Performer sich zu einer lebenden Abbildung des zuvor angekündigten Werks. Als getanzte Kunstgeschichte beschrieben einige Kritiker die Aktion, doch von Tanz kann hier nicht die Rede sein. Eher von einer Transformation, einer Verkörperung von Malerei und Skulptur.
Die ein Jahr später geschaffene, Public Collection of Modern Art genannte Arbeit von Alexandra Pirici und Manuel Pelmus beabsichtigt, einen subjektiven und unvollständigen Überblick auf die Kunst der Moderne und deren Fortwirken bis in die Gegenwart zu geben. Bezugspunkte bilden dabei hierbei etwa Auszüge von Donna Haraways "A Cyborg Manifesto" (1983) und aktuelle Diskurse über den Akzelerationismus. Folgerichtig werden in dieser Arbeit neben objekthaften Kunstwerken auch konzeptuelle Werke, also Manifeste wie das Futuristische vorgetragen.
Die Moderne als ein nicht abgeschlossener Prozess
Im Rahmen von Public Collection of Modern Art lösen Pirici und Pelmus sich von den gängigen kunsthistorischen Einordnungen der Moderne. Denn sie begreifen diese nicht als eine historische, abgeschlossene Epoche. Pirici und Pelmus verstehen die Moderne als einen Impulsgeber für kontinuierlich andauernde Diskurse, deren Einfluss sich bis auf die zeitgenössische Kunst unserer Tage erstreckt.
Indem Public Collection of Modern Art nichts weiter als den menschlichen Körper zu Hilfe nimmt, stellt sie bedeutende Kunstwerke und Ereignisse der Moderne und ihre Resonanz in der Gegenwart nach. Und auf diese Weise ist Public Collection of Modern Art zugleich auch ein Versuch, sich (Kunst-)Geschichte anzueignen. Werke werden von ihren Sockeln geholt, ent-monumentalisiert, aktualisiert und re-kontextualisiert.
Abstand nehmend von der Idee der einmaligen oder temporären Performance, sind die permanenten Aktionen von Pirici und Pelmus bewusst als wiederholbare Handlungen angelegt. Daher sind Begriffe wie Choreografie und Performance unscharf. Denn das Format dieser immateriellen, Public Collection of Modern Art genannten Sammlung von Pirici und Pelmus ist das einer permanenten, aktionsgeladenen Ausstellung.
Auf diese Weise beziehen Pirici und Pelmus sich auf Konventionen wie sie für die museale Präsentation materieller Objekte üblich sind. Doch die Public Collection of Modern Art stellt zugleich auch grundlegende Fragen zur Ökonomie der immateriellen Produktion in Kulturinstitutionen. Hinterfragt die Idee einer materiellen Sammlung an sich, den Grundpfeiler des Museums als Institution.
Eine lebendige Sammlung von moderner Kunst und unschätzbarem Wert…
Die Arbeit Public Collection of Modern Art wurde ursprünglich vom Van Abbemuseum für die Ausstellung Confessions of the Imperfect, 1848 – 1989 – Today beauftragt. Anlässlich von 60 Jahren documenta wurden Pirici und Pelmus 2015 vom documenta Archiv eingeladen, einen Dialog zwischen der Diskursgeschichte, bedeutenden Momenten der Moderne und der Geschichte der documenta mit ihren ursprünglichen Intentionen zu kreieren.
Die Kasseler Version von Public Collection of Modern Art befasste sich unter anderem mit Max Beckmann, dessen Werk von den Nationalsozialisten als entartet verfemt wurde. Im Rahmen der ersten documenta (1955) wurde Beckmann erstmals wieder prominent in Deutschland ausgestellt. Denn frühen documenta-Ausstellungen sahen sich angesichts der deutschen Vergangenheit in der Verantwortung, die künstlerische Avantgarde der Moderne zurück in das öffentliche Bewusstsein zu bringen. Ein weiterer documenta-Bezug war das Büro für Direkte Demokratie, in das Joseph Beuys auf der documenta 5 zur Diskussion einlud.
Martin Kippenberger, Max Ernst und Candida Höfer
Für die Kölner Präsentation der Public Collection of Modern Art haben Pirici und Pelmus ihre Sammlung um bedeutende Werke der Sammlung des Museums Ludwig erweitert. Martin Kippenbergers Symphatische Kommunistin, Max Ernsts Heilige, das Jesuslind züchtigende Jungfrau und Candida Höfers Aufnahmen von Türken in Deutschland.
Der Reiz der Aktion liegt fernab von ihrer kunsttheoretischen Bedeutung, der Erinnerung an nach wie vor aktuelle Fragen zum Wesen von Kunst und den Bedingungen von Kulturinstitutionen in der überzeugenden Klarheit, der Schlichtheit des künstlerischen Ansatzes.
Wer spielt mit?
Der von Pirici und Pelmus konzipierten Verkörperung und Reanimierung bedeutender Positionen der modernen Kunstgeschichte gelingt es, Menschen unabhängig von ihrer kulturellen Vorbildung für die Komplexität, das Nicht-Abgeschlossensein des Projekts Moderne zu begeistern. Zumindest wenn Sie etwas Zeit, Interesse und Neugier mitbringen.
Es lohnt sich auch die Interaktion, die Reaktion des Publikum auf die in alltäglicher Kleidung agierenden Akteure zu beobachten...
Teil der Jubiläumsausstellung Wir nennen es Ludwig sind die folgenden Künstler: Georges Adéagbo, Ai Weiwei, Ei Arakawa & Michel Auder, Minerva Cuevas, Maria Eichhorn, Andrea Fraser, Meschac Gaba, Guerilla Girls, Hans Haacke, Diango Hernández, Candida Höfer, Bodys Isek Kingelez, Kuehn Malvezzi, Christian Philipp Müller, Marcel Odenbach, Ahmet Ögüt, Claes Oldenburg, Pratchaya Phinthong, Gerhard Richter, Avery Singer, Jürgen Stollhans, Rosemarie Trockel, Villa Design Group, Christopher Williams.
Service und Links
Die Public Collection of Modern Art ist täglich bis zum 18. September von 13 - 17 Uhr zu erleben und dann wieder vom 1. - 20. November.
- Alexandra Pirici und Manuel Pelmus: Public Collection in Bologna 2015, hier
- Alexandra Pirici und Manuel Pelmus: Public Collection im Museum für Moderne Kunst in Warschau 2015, hier
- Jan Kedves über den Beitrag von Alexandra Pirici und Manuel Pelmus in Venedig 2013, hier
- kunstlich.com über Alexandra Pirici und Manuel Pelmus in Venedig (2013), hier
- Bilder zu den Arbeiten von Alexandra Pirici und Manuel Pelmus, hier
- Michael Köhler über das Jubiläum und die Ausstellung im Museum Ludwig, hier
- Kunstkritikerin Christiane Vielhaber über das Museum Ludwig, den Mäzen und die Geschichte des Hauses, hier
- Kunst ist Trumpf: 40 Jahre Museum Ludwig, Sabine Oelze über das Museum Ludwig, hier
- Mäzene und Museen - Dörte Hinrichs über das vielschichtige Verhältnis am Beispiel des Kölner Museum Ludwig, hier
- Barbara Engelbach, Kuratorin der Fotosammlung des Museum Ludwig im Gespräch, hier
- das offizielle Video zur Kölner Geburtstagsausstellung – Wir nennen es Ludwig, hier
- Museen von Köln bis Peking, der Name Ludwig steht für eines der größten Kunstimperien der Welt, eine aktuelle WDR-Dokumentation, hier
- Ein Museum zieht sich um, eine Multimediareportage von Thomas Köster und Philipp J. Bösel, hier
- die Website des Museum Ludwig zur Ausstellung, hier
- Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig, im Gespräch mit Britta Bürger über die Bedeutung der Sammlung Haubrich, hier
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