Wer sich die seltene Präsentation dieses frühen Werks des fintenreichen Kunstschelms anschauen möchte, sollte anschließend nach München reisen. Denn dort gewährt die Sammlung Goetz einen Einblick in ihre umfangreiche Sammlung. Sie enthält frühe und aktuelle Arbeiten Slominskis, so dass man einen guten Überblick über sein Schaffen und seine Entwicklung gewinnen kann.
Vorsicht umfangreiche Inhalte...
Aber halt! Im Netz soll man ja nicht so viel schreiben, nur schön kurz und prägnant. Doch manche Dinge und Themen brauchen – besonders wenn man Bilder aufgrund des heiklen Urheberrechts lieber nicht verwendet – einfach Raum. Daher also diese Warnung, denn die folgenden Zeilen benötigen viel Zeit und Fantasie...
Vergessene Verwandtschaft
Kunst und Fallenstellerei haben viel gemeinsam. Ein wesentliches Ziel der Kunst von ihren Ursprüngen bis in die Gegenwart ist die Idee der getreuen Abbildung, oder philosophischer formuliert, die Repräsentation des in der Welt Vorgefundenen. Schon Plinius der Ältere berichtet von der Relativität und den Grenzen unserer Wahrnehmung. Redewendungen wie ‚die Dinge scheinen, die Menschen meinen’ und ‚der Schein trügt’ zeugen vom ambivalenten Charakter der Repräsentation.
Von Fallen und anderen Finten
Anlässlich der Ausstellung des Werks ‚Fallen - Hochsprunganlage - Berg Sportgeräte’ von Andreas Slominski in Frankfurt werden hier Auszüge des Vortrags von Dr. Gerd Mörsch (24.6.2010) als Köder für eine intensivere Auseinandersetzung mit den (Kunst-)Fallen ausgelegt.
Eine Reise in die Vergangenheit
Im Folgenden werden einige ausgewählte Werke Slominskis vorgestellt. Es ist – so wie die lobenswerte Ausstellungsreihe Double im MMK – eine Reise in die Vergangenheit. Sie führt nach Bremerhaven, Hamburg, Münster und Berlin. Und wie der Titel des Vortrages (DIE (KUNST-) FALLEN VON ANDREAS SLOMINSKI) bereits andeutet, liegt der Fokus auf den (Kunst-)Fallen. Der Titel dient der Abgrenzung von den für Slominskis Werk typischen Tierfallen und auch von den Objekten, die nur vorgeben Tierfallen zu sein.
Intellektuelle Verwirrspiele
Zugleich deutet der Titel im Sinne der Maler-Anekdote von Plinus auf die Nähe zwischen Kunst und Falle sowie den Menschen, der als Museumsbesucher und im Alltag das Opfer von Fallen ist. Etwa die Fallen des Internets, in E-Mails und Internetseiten versteckte Viren, die meist mit traditionellen Ködern wie Sex oder Geld locken. Doch so wie der Köder einer Tierfalle genau für das gewünschte Opfer konzipiert wird, geht es auch dem Menschen.
Weil es viele Menschen gibt, gibt es viele Fallen
Plinius’ Anekdote zeigt, dass Künstler sich von Natur aus mit der Idee der Täuschung beschäftigen. Daher scheint das Werk Slominskis, der sich selbst als Fallensteller und seine Kunstwerke als Fallen bezeichnet, den Kern der Kunst zu thematisieren. Aber was verbindet seine auf den ersten Blick verschiedenen Werke so, dass er alle als Fallen bezeichnen kann? Ist vielleicht Kunst an sich bereits eine Falle, weil sie stets vorgibt, etwas zu sein, was sie nicht ist? Oder positiver formuliert, weil sie immer mehr ist, als sie aus rationaler Perspektive zu sein scheint?
Von merkwürdigen Tierfallen und stinknormalen Nistkästen
So wie Fallensteller ködern und kirren, agiert auch Slominski. In diesem Sinne warnte er 1988: „Es liegt in der Natur der Sache, (...) dass eine Arbeit keine Falle im Sinne einer Tierfalle ist. Diese Falle könnte dann sogar eine Falle im Sinne des Gegenteils einer Tierfalle sein (...). Es kann neben der normalen Tierfalle auch eine merkwürdige Tierfalle, und es kann neben dem stinknormalen Nistkasten einen merkwürdigen Nistkasten geben. Es ist auch wieder einleuchtend, dass der stinknormale Nistkasten eine größere Falle sein kann als der merkwürdige, auch dann, wenn er nicht stinkt. Zu guter Letzt entspricht es auch den Spielregeln, wenn eine Arbeit von der ich behaupte, dass sie eine Falle sei, keine Falle ist.“
(Kunst-)Fallen
Diese zunächst absurd anmutende Erklärung zeigt, dass Slominski mit dem Betrachter spielt. Und die Redewendung ‚kirre machen’ beschreibt dies treffend. Jemanden ‚kirre machen’ bedeutet, jemanden zu verwirren, seinen Widerstand gegenüber einer bestimmten, von ihm nicht gewollten Handlung zu mindern. Dass Slominskis Kunst verwirrt, steht fest. Aber worauf er hinaus will und welchen Widerstand er zugunsten welcher Handlung mindern will, ist auf den ersten Eindruck nicht ersichtlich.
Fabelwesenfallen
Vieles zeugt von der intensiven Beschäftigung Slominskis mit der Fallenstellerei. Er kauft, baut, rekonstruiert und erfindet neue Fallen. Doch bei Werken wie der ,Lonzafalle’ oder seiner ,Falle für Kampfhunde’ (beide Werke wurden 2003 in der Fondazione Prada gezeigt und sind auf deren Homepage zu finden) kann man sich nicht sicher sein, ob es sich wirklich um eine speziell für das jeweilige Tier geschaffene Falle handelt. Es kann ebenso gut eine Finte, ein Streich des Künstlers sein. Das Opfer des seltsamen Objektes ist also nicht ein Tier, sondern der unwissende Kunstbetrachter.
List und Hinterlist
Selbst wenn es sich bei einem Werk wie der ‚Falle für Kampfhunde’ scheinbar um eine Falle handelt, bleibt die Frage, ob es sich um eine ‚echte’ Tier-Falle handelt, offen. Titel und Form deuten darauf hin. Aber warum sollte es neben gängigen Hundefallentypen eine spezielle für Kampfhunde geben? Die martialischen Zähne und der metallische Glanz des Kunstwerks legen nahe, dass das eigentliche Opfer dieser (Kunst-)Falle der Mensch und nicht das umstrittene Tier ist. Und so stellt sich die Frage, was ist eine Falle, die nur vorgibt, eine Falle zu sein?
Fallenstellerfallen
In einer Liste Slominskis findet man die Kategorie ,Attrappen von Tierfallen.’ Die Liste ist von großer Bedeutung, weil sie die Falle bereits 1987 (zu Beginn seiner Laufbahn) als übergreifendes Konzept zeigt. Inzwischen ist das Dokument selbst zu einer Falle für den Künstler geworden. Er bereut seine ,Geheimnisse’ veröffentlicht zu haben. Verschwiegenheit ist ein wesentlicher Bestandteil des professionellen Verhaltens eines Trappers...
Das Gegenteil von Gut...
An Nistkasten und Futterhaus lässt sich das komplexe Fallenverständnis Slominskis verdeutlichen: Beide dienen der Hege und Pflege von Tieren, dem Gegensatz der Falle. Doch auch Nistkasten und Futterhaus können eine Falle sein: Sie werden zur tödlichen Falle, wenn Tiere durch sie Fähigkeiten wie Futtersuche und Nestbau verlernen.
...ist gut gemeint
Gut gemeinte Hilfe wird Verführung zu tödlicher Abhängigkeit. Merke: Nicht nur die Absicht einer Handlung (oder im Kontext der Falle die intendierte Funktion) entscheidet über ihren Ausgang. So wie der Nistkasten zur Falle für Vögel werden kann, birgt auch das Tabu stets die Gefahr, den Reiz des Verbotenen zu steigern. Eine Falle, die vielen wie der gut gemeinte Nistkasten aus der Erziehung vertraut sein dürfte...
Verblendung versus Tarnung
Ein Paradebeispiel für eine Tierfalle und das subtile Verwirrspiel Slominskis ist seine ‚Schneckenfalle’ (1986). Die Falle besteht aus einem grünen Plastikgefäß mit Dach. Sie ist für den Einsatz in Gärten konzipiert, Schnecken gelten als Schädlinge. Doch im Gegensatz zu anderen Tierfallen, handelt es sich der grünen Farbe nicht um eine Verblendung für das Tier, sondern um Tarnung für den Menschen. Die Falle soll den Blick auf die grüne Idylle nicht stören. In der Galerie dagegen präsentierte Slominski das Objekt von Bierdosen umgeben.
Billiges Bier für Mensch und Tier
Die Falle wird auch Bier-Falle genannt, da Bier als Köder dient. Vom Duft angelockt kriechen die Schnecken in das Gefäß, wo sie volltrunken ertrinken. Doch dass Slominski diesen Fallentyp wählte und ihm als Readymade vier Bier zur Seite stellt, anstatt die Falle inmitten von Bierdosen zu verstecken, hat weniger formale als konzeptuelle Gründe. Oder war es doch eine (plumpe) Falle für die Alkoholiker unter den Vernissagegästen?
Schwitters lässt grüßen
Nicht nur. Es ist auch ein Sprachspiel, das über den Kneipenreim ‚vier Bier’ hinaus auf den für das Fallenkonzept Slominskis zentralen Aspekt deutet: Alles kann eine Falle sein. Denn das Bier, das als verführerischer Köder für die Schnecke dient, ist auch für den Menschen eine gefährliche Versuchung und (meist in Kombination mit dem PKW) tödliche Falle.
Eine Multifunktionsfalle?
Die Bierfalle ist also eine bei Mensch und Tier zugleich wirksame Falle. Doch hinter der scheinbar banalen Ebene der ,doppelten Bier-Falle’ verbirgt sich noch mehr: Die Verbindung der Objekte zeigt sich auch in der Erscheinung des sinnbildartigen Readymades: Slominski verstärkt die Parallele zwischen der Tierfalle und der großen Bierdose als Symbol des billigen Alkoholkonsums geschickt durch die Wahl der Biersorte: Das grüne Holsten-Logo entspricht dem Grün der Falle.
Sisyphos’ Garten
Ein letzter (im Sinne von Schadenfreude humorvoller) Fallenaspekt dieses Kunstwerks ist wiederum dem Verhältnis zwischen Tier und Mensch geschuldet: Der Fang vieler Schnecken in der Falle ist ein Pyrrhussieg für den Gärtner. Denn der Sog, den das Bier ausübt, ist zu stark. Gartenratgeber warnen daher: „Wer glaubt mit der Bierfalle die Schneckenplage im Griff zu haben, der irrt. Das Bier lockt weitere Schnecken an und auch Schnecken aus benachbarten Gärten können nun in den eigenen wandern.“
Eine Falle hoch drei
Die scheinbar banale Schneckenfalle ist also auch eine Falle für den Gärtner und so betrachtet erinnern Bierfalle und Gärtner an den antiken Sisyphos. Fassen wir zusammen: Die Bierfalle ist Tierfalle, Menschenfalle und im Falle des Gärtners auch eine Falle für den Fallensteller selbst. Wohl in diesem Sinne antwortete Slominski einmal auf die Frage, was denn eine Falle sei, wenn es sich nicht um eine Tierfalle handele: ‚Alles, was eine Falle sein kann, das kann man selbst mit der blühendsten Fantasie nicht erfassen.’
Sportmord oder Hochspringerfalle?
Nach den einleitenden Gedanken über die nicht auf den ersten Blick als Fallen erkennbaren Werke beginnt nun endlich die Reise ausgehend von der im MMK gezeigten Arbeit. Das Werk ’Fallen - Hochsprunganlage - Berg Sportgeräte’ (1988) besteht aus einer stinknormalen (?) Hochsprunganlage. Slominski hatte sie direkt hinter dem Schaufenster des Kabinetts für aktuelle Kunst in Bremerhaven aufgebaut. Passanten, denen der Ort unbekannt war, konnten daher den Eindruck gewinnen, es sei ein Sportgeschäft.
Latten höher hängen
Wie bei der Bierfalle handelt es sich um ein komplexes Sprach- und Verwirrspiel. Durch die Position der Hochsprunganlage ist klar, dass derjenige, der den Sprung wagen will, von außen durch das Fenster springen muss. Auf diese Weise evoziert Slominski die slapstickartige Szene eines Sport-Junkies, der wie ein Insekt oder Vogel die Glasscheibe nicht sieht und voller Elan dagegen prallt. Wer hoch hinaus will, kann tief fallen? Oder läuft da jemand gegen die berühmte, hier aber unsichtbare Wand? Handelt es sich also um eine Falle für Hochspringer? Oder hat Slominski die Latte nicht doch höher gehangen?
Hoher Sprung, tiefer Fall?
Warum wählte er statt der naheliegenden Formulierung Hochspringerfalle den komplexen Titel? ‚Manche Fallen werden von vielen als Fallen empfunden, wie die Bananenschale oder der Wassereimer auf der Tür’ erklärte Slominski einmal. Im Gegensatz zu diesen Fallen scheint die Hochsprunganlage eine sehr spezielle zu sein, ihre Opfer sind nicht nur Sportler, sondern Kunstfreunde, die das Werk verstehen wollen...
Eine Referenz an die südafrikanische Selbstschussanlage für Hamster und Maulwürfe?
Handelt es etwa sich um eine Hommage an alte Fallentypen, die heute als Sportgeräte verwendete Objekte wie Pfeil und Bogen verwenden? Oder gar Politik - die Deutsche Grenze? Ist es Zufall, dass sich auf der so aussagekräftigen Liste des Künstlers von 1987 weitere sportliche und doppeldeutige Begriffe wie der Schwimmer finden? Viel Raum für Spekulationen, Kunstbetrachtung als Hochleistungssport? Kommen wir nun zu anderen, auf den ersten Blick nicht als solche erkennbaren Fallen.
Gruseln im white cube
1991 war Slominski wieder im Bremerhavener Kabinett zu Gast. Doch dieses Mal ließ er den Raum vollkommen leer. Irritierte Vernissagegäste munkelten, tasteten mit ihren Blicken und Händen die Wände ab. Eine unerhörte Geschichte verbreitete sich. Manche runzelten die Stirn, schienen unheimlich berührt zu sein, zu frösteln. Der Grund für das Gruseln war ein Gerücht. Es hieß, Slominski habe in den Wänden das Skelett einer Hand eingemauert. Doch abgesehen von dem Gerücht gab keine sichtbaren Spuren oder Belege für die Tat. War es eine echte Hand oder war sie Teil eines Plastikskeletts? Warum eigentlich eine Hand?
Ein heller Hinterhalt
Die Gäste waren bereits dadurch, dass sie der Einladung gefolgt waren und den leeren Raum betreten hatten, in eine Falle getappt. Lockmittel war die Vernissage und der Name des Künstlers, mit dem das Publikum geködert wurde. Doch die erwartete Kunst entpuppte sich im Laufe der Zeit (abgesehen von unscheinbaren Spuren an der Wand und der als soziale Plastik oder Happening lesbaren Vernissage) als ein Verwirrspiel. Slominski enttäuschte die visuell wahrnehmbare Kunst erwartenden Gäste. Er konfrontierte sie mit der ,Unsichtbarkeit’ des Kunstwerks und enttäuschte auf diese Weise ihre voyeuristische Neugier.
Verhaltensstudie oder Kinderstreich?
Eine ähnliche, verspielt anmutende Falle im übertragenen Sinn war die ,Münzaktion’ Slominskis auf dem Hamburger Jungfernstieg, eine während seines Studiums vollzogene, experimentartige Aktion. Sie zeigt wie die Liste deutlich, dass Slominski sich schon zu Beginn seiner Laufbahn wie ein Wissenschaftler für das Verhalten des Menschen angesichts der von ihm gestellten Fallen interessierte. Er steckte 200 Deutsche Mark in Form von 50 Pfennig stücken in die Ritzen des Gehsteigs und beobachtete aus sicherer Entfernung die Reaktionen der Passanten auf den Schatz.
Unheimliche Experimente
Slominskis Beobachtungen ähneln Fallenstellern, die das Verhalten ihrer Opfer studieren - eine unverzichtbare Voraussetzung für den erfolgreichen Fang. Doch im Gegensatz zu den glänzenden Münzen war die Hand in Bremerhaven ein unsichtbarer Köder. Seine Funktion erfüllten die Einladung, das Gerücht und Berichte über die skandalöse Tat. Besucher fragten sich daher, ob das alles nur ein Gerücht, ein spielerisches Kunstexperiment sei. Oder war es doch eine makabere, über die Dauer der Ausstellung hinausgehende, unsichtbare Installation? Ein metaphorischer ,Beweis’ für die (auf Einladungen oft angepriesene) Anwesenheit des Künstlers?
Schweigen ist Gold...
Wer das Gerücht aufbrachte, ist nicht dokumentiert. Weder Kurator Jürgen Wesseler noch Slominski beantworteten Fragen über das unheimliche Werk. Und so wurde im Laufe der Gespräche an diesem Abend, die sich wohl um ähnliche Fragen, wie die eben genannten drehten, den Anwesenden allmählich bewusst, in eine Falle geraten zu sein.
Eine Falle für die Institution?
Das an Rituale erinnernde Einmauern ähnelt, wenn man der Dokumentation glaubt und von der Existenz der Arbeit (der Hand in der Wand) ausgeht, der Idee, mit symbolischen, über die eigene Lebensdauer hinaus präsenter Gaben, in die Ewigkeit einzugehen. So betrachtet ist das Einmauern (über die Frage der Existenz des Werks hinaus) ein listiger Trick, mit dem es Slominski gelingt auf ‚ewig’ im Kabinett präsent sein. Eine listige Falle für die Institution?
Zweifeln willkommen
Die Auseinandersetzung mit solchen Kunstwerken gleicht einem Spiel. Im Laufe des Spiels stellen sich Fragen nach dem Sinn und Zweck der Aktion, nach der Funktion und Definition von Kunst. Es scheint plausibel, dass es diese Fragen sind, das Zweifeln und die Gefühle des Rezipienten, auf die Slominski mit der unsichtbaren Hand zielt. So wie im Falle von konzeptueller Kunst Texte und Zeichnungen das Konzept, die Idee des Kunstwerks vermitteln, übernahm das Gerücht die Funktion der Vermittlung der für die Rezeption notwendigen Information.
Leer ist nicht nichts
So betrachtet war der Raum also nicht leer, sondern die zur Verfügung gestellten Informationen waren nur gering bzw. unsichtbar. Doch ausgehend von der Person, die das Gerücht zuerst streute, füllte sich das Kabinett mit dem vermeintlichen Wissen um und den Zweifeln an der Tat, die de facto nicht zu belegen war. Ein ,stille Post-Spiel’ im Kunstkontext?
Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum...
Hat sich der Rezipient einmal auf das Gedankenspiel eingelassen, ist er in die Falle getappt. Er läuft Gefahr, sich in den komplexen Fragen nach der Definition von Kunst und ihren Bedingungen, nach Urheberschaft und Täuschung zu verlieren. Die Wände des Kabinetts erweisen sich bei genauer Untersuchung als Palimpsest, eine Art dreidimensionales Bilderrätsel? Doch wir wollen uns hier nicht in pseudo-kriminalistische Analysen vertiefen. Das kann der interessierte Besucher vor Ort. Zum Schluss aber noch eine naheliegende Assoziation zur ‚unsichtbaren’ Hand.
Von Motten und Menschen...
Die Abbildung des hell erleuchteten, leeren Kabinetts evoziert im Kontext von Falle und Verführung ein weiteres Bild: Die Besucher strömten am Abend der Eröffnung wie Insekten, die vom künstlichen Licht angezogen werden, in den blendend weißen Raum. Verwirrt von der unsichtbaren Kunst, irrten sie wie Nachtfalter auf der Suche nach Spuren herum. Außerhalb der Öffnungszeiten drückten Passanten, die von der unheimlichen Aktion erfahren hatten, ihr Gesicht wie Voyeure dicht ans Fenster, um Spuren zu entdecken. Auch in der folgenden Aktion Slominskis spielt das Schaufenster eine wichtige Rolle...
Konsumkritik
Mit seiner Eisstielinstallation (ohne Titel), die 1994 für die Ausstellung ,Künstlerschaufenster für die Kunsthalle’ im Hamburger Alsterhaus entstand, trieb Slominski Irritation und Enttäuschung auf die Spitze. Für seinen Beitrag wurde ihm ein Schaufenster zur Verfügung gestellt. Doch nachdem er mit Hilfe von Bandmaß und Kompass die richtige Stelle gefunden hatte, positionierte er – wie es für viele seiner Aktionen kennzeichnend ist – im Laufe einer mehrstündigen Aktion einen unscheinbaren Eisstiel im Schaufenster.
Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht...
Das Überbleibsel hatte Slominski auf dem Gehsteig, wenige Meter vor dem Kaufhaus gefundenen. Doch weil er das Objekt nicht einfach aufhob, um es dann ins Kaufhaus zu tragen, war ein enormer Aufwand nötig. Slominski wählte in der Tradition Till Eulenspiegels den denkbar komliziertesten Weg: Erst nachdem Handwerker unter enormen Kraftaufwand die Scheibe aus dem Rahmen gelöst hatten, stieg Slominski vom Gehsteig aus in das Schaufenster und legte das Objekt ab.
Slapstick oder Performance?
Danach wurde die Scheibe mit demselben Aufwand wieder eingesetzt. Abends strahlte ein Spotlight das objet trouvé an und ein auf die Scheibe geklebter Text informierte über die Aktion wie folgt: ‚Diese Schaufensterscheibe wurde am 26. September von den Glasern des Alsterhauses vorübergehend entfernt. In das offene Schaufenster hat Andreas Slominski einen Eisstiel gelegt, den er auf der Straße gefunden hatte. Danach wurde die Schaufensterscheibe wieder eingesetzt.’
Duchamp lässt grüßen
Nach diesem Aufbau-Ritual war der Skandal perfekt und rief empörte Reaktionen hervor. Slominski hatte Abfall im Schaufenster eines exklusiven Kaufhauses vor unbefugten Zugriffen geschützt und wie eine Reliquie präsentiert. Eine Falle für Straßenkehrer? Nicht nur. Denn obwohl die Ausstellung zehn Tage dauern sollte, gab das Kaufhaus öffentlichen Druck nach, entfernte das Objekt und alle Spuren, die von der Aktion zeugten.
Schritt für Schritt verschwunden
Im Nachhinein erscheint diese Zensur als der eigentliche Skandal. Slominski betonte, das Kaufhaus habe sich damals (wie heute) in einer Krise befunden. Sogar die Lackschäden an den Schrauben des Fensterrahmens wurden übertüncht. Sie waren von Fotografien abgesehen die einzigen beweiskräftigen Spuren der Aktion. Nach diesen Beweisen suchten Skeptiker den Rahmen gezielt ab. Wie bei der Münzaktion verfolgte Slominski das forschende Zweifeln der Passanten aus sicherer Entfernung.
Das zweite Experiment auf dem Jungfernstieg?
War es nur ein listiger Streich, eine bewusst mit dem Negativ-Klischee moderner Kunst spielende Provokation? Hier zeigt sich Verwandtschaft von Falle und Skandal. Die Reaktion auf diese ‚Kunst genannte Steuerverschwendung’ – so ähnlich wurde das Werk kritisiert – war wie die Zensur von Duchamps Urinal 1917 in New York vorhersehbar. Ist der Müll im Kaufhaus also eine Falle für den Volksmund, ein hinterhältiger Skandal für die Hamburger Öffentlichkeit?
Aufmerksamkeitsfallen?
Nicht nur. Denn zunächst einmal wurde die Arbeit von den meisten Passanten übersehen. Ein leeres Schaufenster zieht keine Blicke auf sich. Nur wenige es beachtet. Doch jene, die es entdeckt und den Text gelesen hatten, standen (unabhängig vom Kunstverständnis) vor einem Rätsel. Sollte man dem Text glauben? Warum sollte Slominski so umständlich vorgegangen sein? Ist es also eine Finte, hat er vielleicht etwas anderes versteckt? Solche Fragen werden sich jene, die weder von Slominkis Fallen noch von dem Skandal um die Aktion wussten, wohl gestellt haben.
Endstation Sehnsucht
Die Schaufenster-Installation verbirgt auf den ersten Blick ihren durch das Aufbauritual geschaffenen Bedeutungshorizont. Das verbrauchte Objekt verleitet zu Missverständnissen und mangelnder Aufmerksamkeit. In diesem Sinne kann es als Falle verstanden werden. Ein weiterer Fallenaspekt – die gezielte Enttäuschung wie bei der unsichtbaren Hand – wird angesichts der Funktion des Schaufensters klar: Das Schaufenster ist in der industriellen Massengesellschaft der klassische Befriedigungsplatz der Konsumsehnsucht.
Enttäuschung und Desillusionierung
Das Sehnen und die Erwartungen der Passanten enttäuschte Slominski radikal: Statt exklusiver Waren oder Kunst präsentiert er Müll und treibt das Spiel mit der Aktion noch auf die Spitze, wie Spotlight und Text zeigen. Slominski erinnert an einen Schelm, der auf Kosten der ,braven Bürger’ und Steuerzahler seine Späße treibt. Doch so wie Diogenes und Eulenspiegel die Rolle des ,weisen Narren’ verkörpern, scheinen auch die Aktionen Slominskis bei genauerer Betrachtung Weisheit entlarvende Torheiten zu sein: ‚Gäb’ es keine Narren, so gäb’ es keine Weisen.’
Total banal?
Die trügerische Banalität der Aktion entlarvt die eingeschränkte Wahrnehmung und die Erwartungshaltung der Passanten so, wie Eulenspiegel den Geiz und die Dummheit seiner Zeitgenossen enthüllte. Die Reaktion des Kaufhauses auf den öffentlichen Druck ähnelt jener der Zeitgenossen Eulenspiegels auf dessen Streiche. Die Rolle des Narren erscheint aus der Fallenstellerperspektive wie eine Verblendung, die Opfer in Sicherheit wiegt und deren Manipulation ermöglicht.
Ein Schelm, wer Schlechtes denkt...
Die Schaufensterinstallation funktioniert wie eine Falle. Sie provoziert voreiliges Unterschätzen, ein trügerisches, der Hybris verwandtes Überlegenheitsgefühl und verleitet Passanten und Öffentlichkeit zu einem ihre Haltung entlarvenden Verhalten. Ein Hinterhalt. Die Reaktion der Öffentlichkeit in Hamburg erinnert nicht zufällig an die Zensur von Duchamps Urinal.
Was darf Kunst?
Duchamps Urinal und Slominskis Eisstiel sind über die Tatsache hinaus, dass beide kurz nach ihrer Präsentation wieder verschwanden, miteinander verwandt. Ihre Rezeption kann wie ein Gradmesser für die Toleranz gegenüber zeitgenössischer Kunst gelesen werden. Beide rufen aufgrund der scheinbaren Banalität Proteste der Bevölkerung hervor, welche sich dadurch indirekt selbst vorführt. Die Reaktion deutet auf die Toleranz der Gesellschaft gegenüber Normen widersprechenden, kritischen Handlungen.
Der Hintergrund
1988 betonte Slominski, dass man vorsichtig im Umgang mit seinen Arbeiten sein sollte. Die Eissteil-Aktion zeigt, dass er damit wohl nicht nur seine Tierfallen meint. Es scheint als habe er bewusst auf diese Toleranzgrenze gezielt, die fernab von Kunst auch von der ,Aufgeklärtheit’ und dem Selbstverständnis der Gesellschaft zeugt.
Das Boot ist voll
1994 waren die wiedervereinigungsbedingten, wirtschaftlichen Boomjahre vorbei. Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung dominierten die öffentliche Debatte. Die Reaktion des wirtschaftlich in Bedrängnis geratenen Kaufhauses kann als Metapher für den Zustand der BRD gelesen werden. So betrachtet gewinnt das im Schaufenster ausgestellte und dann entfernte objet trouvé den Charakter eines Sinnbildes für dahingeschmolzenen Luxus und die Sorgen um sozialen Abstieg: Der Traum ist aus, die fetten Jahre sind vorüber...
Slapstick II: Skulpturprojekte Münster
Provokation und Enttäuschung sind auch in der Aktion ,Umlegen eines Reifens’ zentral. Sie war ein Beitrag Slominskis für die ,Skulptur.Projekte’ in Münster 1997, den er wieder mit einer schelmischen Aktion schuf. Denn er stülpte den Fahrradreifen nicht einfach von oben über die Laterne, sondern vollzog wie in Hamburg mit Hilfe zahlreicher Helfer eine absurde Performance: Zuerst wurde die Laterne vom Stromnetz getrennt, ausgegraben und anschließend von einem Kran angehoben.
Aufbaurituale
Dann stülpte Slominski den Reifen von unten über den in der Luft schwebenden Mast. Abschließend wurde die Laterne wieder zu Boden gelassen, verankert, angeschlossen und der umliegende Gehsteig wieder verschlossen. Nachdem alle Spuren der Aktion beseitigt waren, war das Werk vollendet und der Kunst-Skandal perfekt: Ein unscheinbarer Fahrradreifen lag wie ein Ring auf dem Boden um eine Laterne. Doch statt eines Schildes wie in Hamburg fehlte hier jeder Hinweis auf die Aktion. Nur die Presse und der Katalog der ,Skulptur.Projekte’ zeugten von dem Schildbürgerstreich.
Kunstraub oder Intrige?
Wie in Hamburg polarisierte das Werk die Stadt, weil Slominski für die scheinbar absurde Aktion deren städtische Arbeiter beschäftigte. Auch dieses Mal verschwand das Objekt kurz nach der Aktion. Im Gegensatz zu Hamburg handelte es sich in Münster nicht um 'öffentliche' Zensur. Laut Presse und Dokumentationen hatte ein anonymer Kunstfreund oder -hasser den Reifen nachts gestohlen. Doch dank einem Aufruf zur Rückgabe, befindet sich das Werk nun im Museum in Münster. Ein Kunstraub im öffentlichen Raum statt im vermeintlich gut bewachten Museum?
Spekulation statt Information
Wie bei dem Gerücht vom Handskelett sind kaum Informationen über den Diebstahl vorhanden. Doch angesichts der von Slominski geklauten Fahrradpumpe und dem ähnlich illegal entfernten, im Kunstraum präsentierten Elf-Meter-Punkt, stellt sich zumindest Kennern seiner Arbeit die Frage, ob der Diebstahl in Münster nicht Teil der Aktion war. Ist es also eine Intrige, ähnlich Duchamps Inszenierung des Urinal in New York?
Interpretationsansätze
Der Fahrradreifen bietet neben Bedeutungen wie die Anlehnung an Kinderspiele oder eine Hommage an die Fahrradstadt Münster einen weiteren Aspekt, der über den Skandal hinaus als Falle begriffen werden kann: Die zu den SkulpturProjekten angereisten Gäste nutzen meist das Fahrrad, um einen Überblick über die ausgestellte Kunst zu gewinnen. Mit Lageplänen und geliehenen Fahrrädern versuchen Kuratoren, Sammler, Kritiker und Kunstliebhaber alle in der Stadt verteilten Kunstwerke zu sichten. Ist der Reifen also ein ironischer Kommentar zu Kunsttouristen auf Fahrrädern?
Von Nadeln und Heuhaufen
In diesem Sinne wird sich bei jenen, die das Werk Slominskis wohl recht lange suchten, das Gefühl eingestellt haben, sie seien vorgeführt worden. Einen auf dem Boden liegenden Fahrradreifen im Zentrum Münsters zur Zeit der Skulptur.Projekte zu finden, erinnert sicher nicht zufällig an die Nadel im Heuhaufen. An Laternen gekettete Fahrradreifen sind für Großstädte nicht untypisch. Sie zeugen vom Diebstahl des restlichen Fahrrads, liegen aber selten flach auf dem Boden. So betrachtet kann der Reifen wie der Eisstiel in Hamburg und die Hand in Bremerhaven als eine gezielte Enttäuschung verstanden werden, als Köder für ein Verwirrspiel, das Fragen nach dem Wesen und Sinn von Kunst evoziert.
Nächste Station Berlin: Unter den Linden
Eine dadaistisch geklaute Fahrradpumpe war Teil einer Ausstellung in der Berliner Guggenheim Dependance. Dort präsentierte Slominski auch eine Vogelfangstation und einen Wassereimer. Über den erfolgreichen Transport eines Esslöffels voller Medizin mit dem dafür von Wissenschafter konstruierten Transportsystem für Hustensaft hinaus vollzog der Künstler draußen auf der Straße vor den Ausstellungsräumen eine weitere Aktion.
Schamanistische Wiederbelebung?
Auf dem Sandweg des ,Unter den Linden’ genannten Boulevards ließ Slominski eine kaum sichtbare Stolperfalle installierten. Die Straße hat eine lange Geschichte. Sie wurde 1648 als Reitweg zum Grunewald für Kurfürst Friedrich Wilhelm angelegt. Doch inmitten der Allee mit ihren 370, von der Stadt detailliert registrierten Bäumen ließ Slominski einen Baumstumpf aus dem Grunewald ,pflanzen’. Ein Gärtner grub den Stumpf so tief ein, dass er nur knapp aus der Erde ragte. Dann wurde der Sand so präpariert, dass sich die Stolperfalle möglichst unscheinbar in den Weg integrierte und die Tarnung perfekt war. Alle Spuren wurden beseitigt.
Eine intellektuelle und leibliche Stolperfalle zugleich
Passanten, die zufällig visuell oder unachtsam tatsächlich über den Stumpf stolperten, bot sich ein Rätsel. Der Stumpf bildete abhängig vom Opfer eine intellektuelle und reale Stolperfalle zugleich. Während der eine aufgrund seiner Unaufmerksamkeit stolperte, geriet der andere aufgrund seiner Aufmerksamkeit in die Falle. Weil es viele Menschen gibt, gibt es viele Fallen. Der Baumstumpf rief an diesem Ort neben Fußschmerzen also auch Kopfzerbrechen im übertragenen Sinne hervor...
Kopfschütteln und -schmerzen
Diese schmerzhafte Begegnung provozierte Fragen: Hatte jemand illegal den Baum gefällt oder wurde er wegen seines die Ordnung der Allee sabotierenden Standortes entfernt? Doch wie konnte er überhaupt unbemerkt so groß werden? Und wer trug die Verantwortung für die unprofessionelle Entfernung, die eine Gefahr für Flaneure bildete? Ein Skandal!
Belebende Irritation
Wieder zeigt sich die Nähe von Falle und Skandal. Das Kunstwerk fungiert als ein Aufsehen und im hier wahrsten Sinnes des Wortes ‚Anstoß’ erregendes Ereignis. Eine soziale Plastik? Spaziergänger, die häufig ,Unter den Linden’ verkehren, haben wohl einen Moment lang ihre eigene Wahrnehmung, ihre alltägliche Aufmerksamkeit in Frage gestellt und sich gefragt, ob hier je ein Baum gestanden habe. Natürlich nicht, lautete die reflexartige Antwort. Doch wie kam er dann an diesen Ort? So wie das Gerücht von der Hand in Bremerhaven, zog auch diese Aktion ihre gedanklichen Kreise.
Aufmerksamkeit dank Absperrung
Bereits nach einem Tag wurde der illegale Baumstumpf denunziert und der Tatort abgesperrt. Doch diese Sicherheitsmaßnahme steigerte den Sog des rätselhaften Objektes. Die Absperrung erhöhte die Attraktivität der Falle und steigerte so die Bedeutung und Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde. Hatte Slominski diese Reaktion kalkuliert? Gelang es ihm etwa, seine Opfer so kirre zu machen, dass sie selbst den Reiz seiner Falle steigerten? So betrachtet scheint der Baumstumpf eine genial konzipierte Falle für Voyeure zu sein, die sich erst durch den vermeintlichen Schutz vollkommen entfaltet. Das Gegenteil von Gut, ist gut gemeint...
Spurensicherung statt -lesen
Die für einen kurzen Moment gewonnene Aufmerksamkeit – wobei einige aufgrund der Absurdität sicher länger über das rätselhafte Objekt nachgedacht haben – und die daraus resultierenden Gedankengänge sind – so wie die Gedanken der Gäste des Kabinetts oder die der Passanten in Hamburg – das Ergebnis dieser Aktion. Das Abtasten der Wand in Bremerhaven ähnelt dem Untersuchen Tatortes in Berlin. Und über die Funktion als Stolperfalle hinaus hat die Aktion auch einen experimentartigen Charakter. Eine Falle, die ein bestimmtes Verhalten der Opfer provoziert?
Passanten als Versuchskaninchen?
Die Versuchspersonen sind wie bei den Aktionen in Hamburg irritierte Passanten. Ist die Aktion also eine Art Verhaltensstudie, die Slominski mehr über seine Opfer verrät, so dass er seine Fallen zielgruppengerechter, also effektiver gestalten kann? Dass die Polizei das Werk absperrte, um körperliche Folgen der Begegnung mit zeitgenössischer Kunst zu vermeiden, erscheint geradezu genial. Denn die Behörde wurde so unbewusst zum Komplizen Slominskis, weil sie die getarnte Falle in einen auffälligen Tatort verwandelte, also verblendete.
Ungewollte Komplizenschaft
Diese Reaktion auf die unscheinbare, aber effektive Störung der Ordnung offenbart einen weiteren Fallenaspekt, wenn man das Absperren als Erfolg einer hinterlistigen Strategie interpretiert. Slominski verleitete die Öffentlichkeit, sich (wie in Hamburg und Münster) selbst vorzuführen. Dank der Absperrung erscheint das Werk zudem wie ein Sinnbild für die Geschichte der Allee, die den Wandel der deutschen Geschichte widerspiegelt.
Ortspezifischer Hintergrund
Die Allee war Kurfürst Friedrich Wilhelm so ans Herz gewachsen, dass er deren Bäume mit der Androhung drakonischer Strafen schützen ließ. Doch die Nazis fällten später alle Bäume, weil sie Paraden und Kriegsmanövern im Weg standen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die in der sowjetischen Besatzungszone liegende Straße wiederaufgeforstet, aber nur bis zum Pariser Platz, der Grenze zum Westen. Erst nach der Wiedervereinigung wurde die Allee wieder vollständig hergestellt.
Zufall, Kunst oder geheime Verbindung?
Kannte Slominski diese Geschichte? Die Kuratorin der Berliner Ausstellung Nancy Spector vermutet dies. So betrachtet erscheint der Grunewald Baumstumpf wie der Fahrradreifen in Münster als ein Werk, das auch im Kontext des Ausstellungsortes erfasst werden muss. Zu viele Argumente sprechen gegen die zufällige Begegnung von Kontext und Kunst, so wie es sich bei dem von Slominski angeblich während eines Spaziergangs in Weimar gefundenen, 1943 geprägten Glückspfennigs um eine listige Finte handelt.
Mythen und Metaphern
Die Geschichte, der zufolge ein (blinder) Maulwurf das in der Nähe von Weimar und dem KZ Buchenwald so zynisch erscheinende Objekt ausgegraben habe, klingt einfach zu märchenhaft. Ebenso unwahrscheinlich ist auch, dass Slominski zufällig einen Baumstumpf aus dem Grunewald für die Aktion in Berlin wählte. Zuletzt sei eine weitere Interpretation der doppelten Stolperfalle erwähnt, sie zeigt neben der Geschichte des Orts auch Bezüge zur moralischen Dimension der Falle auf.
Bilde deinen Geist!
Das Motiv eines toten Baumstumpfs neben einem lebenden Baum – also so wie Slominskis Stumpf in der Mitte der Allee – galt in der neuzeitlichen Sinnbildkunst als Symbol für die ,Belebung durch den Geist.’ Vor diesem Hintergrund erscheint das Objekt wie ein ephemeres, dem historischen Emblem verwandtes Sinnbild für das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft.
Ein Denk-mal
Die Aktion Slominskis belebte den öffentlichen Raum und die über den Baumstumpf leiblich oder intellektuell stolpernden Menschen. So betrachtet erscheint der Stumpf wie ein unscheinbares Denkmal im wahrsten Sinne des Wortes. Die Subscriptio eines Belebung durch den Geist-Emblems von 1595 mahnt in diesem Sinne: Bilde also deinen Geist zu glänzenden Tugenden und beweise, dass du durch deine Kräfte lebendig bist. Dieser Imperativ könnte auch das Motto des vergrabenen Stumpfes in Berlin sein.
Fallen, Fallen überall nur Fallen
Alle 1999 in Berlin ausgestellten Werke sind Fallen: Die samt Rahmenstück geklaute Luftpumpe war eine gefährliche Falle für den Fahrradbesitzer, weil das Rad destabilisiert wurde. Der Wassereimer im Museumsshop war (auch wenn er nicht auf einer Tür auf sein Opfer wartete) einen Falle für unachtsame Konsumenten. Zum anderen war er, da alle Spuren seiner aufwendigen Befüllung beseitigt wurden, auch eine Falle für unaufmerksame Rezipienten, die das Kunstwerk aufgrund seiner gewöhnlichen Erscheinung übersahen bzw. nicht als solches erkannten....
Fazit
Slominskis (Kunst-)Fallen irritieren. Sie verleiten zu vorschnellen Urteilen und provozieren aufgrund ihrer auf den ersten Blick alltäglichen Erscheinung. Doch hat man sich einmal auf die komplexen Gedanken- und Verwirrspiele eingelassen, erscheinen Slominskis Werke wie Anregungen. Es ist ein humorvolles, absurd anmutendes und doch ernsthaftes Spiel, dessen philosophische Wahrheit darin besteht, Kunst als Prozess, als Dialog zu verstehen.
Emanzipation durch Hinterlist?
Slominskis Ziel scheint das eigenständige, tradierte Wege als solche erkennende und skeptisch hinterfragende Denken zu sein. Er stellt Manipulation, Lüge und Täuschung in den Dienst der Aufklärung des Rezipienten. Ob dieser die ihm zugespielten Bälle annimmt, liegt allein in seiner Hand. Aus Fehlern lernt man. In diesem Sinne lautet der Imperativ der Auseinandersetzung mit den (Kunst-)Fallen wohl, du sollst dich nicht täuschen lassen.
Die Fallstricke des Lebens
Kompliment! Sie haben Ausdauer und Interesse an komplexen Themen bewiesen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und hüten sie sich vor den Fallstricken des Lebens! Doch halt, auch dieser Text ist eine Falle. Er ist – wenn er Sie für das Thema die Falle in der Kunst begeistern konnte – eine Dauerwerbesendung für das von kunstlich.com bereits vorgestellte Buch.Service:
- PostKartenKritik zur Slominski-Ausstellung im MMK
- Slominski in der Sammlung Goetz, München
- DLF (Fazit - Kultur vom Tage 25.5.2010): Finten und Fallen - Andreas Slominski in der Münchner Sammlung Goetz (Von Johannes Halder, Text und Audio-Datei).
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen