Freitag, 19. November 2010

"finde ich ... unterhaltsam!"

Videostill "Entweder Broder", © ARD

"Entweder Broder"
Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad auf Deutschland-Safari

Wobei handelt es sich bei dieser fünfteiligen Serie in der die beiden Protagonisten in einem customdesignten Volvo durch Deutschland reisen?
Ist es so etwas wie eine Integrations-Comedy wo verschiedenen gesellschaftliche Gruppen interviewt, entlarvt oder veralbert werden?
Oder ist es humanistische Aufklärung, die im Deckmantel der Unterhaltung daherkommt? Oder vielleicht ist es einfach nur Unterhaltung?

Jedenfalls ist es unterhaltsam!

Es handelt sich um ein zweigeteiltes Konzept: Zum einen gibt es die Interviews und zum anderen die Reisen zwischen den Interviews.
In den Interviews wird nicht viel kommentiert und - unerwartet - nicht provoziert. Broder und Abdel-Samad stellen Fragen und lassen die Befragten reden - und sich selbst entlarven.
Jedoch muss gesagt werden, dass die Auswahl der Interviewten diesem Konzept beiträgt. Ewig gestrige NPD-"Politiker" oder ebenfalls Rückwärts gewandte Neues-Deutschland-Stasi-Relikte einfach reden zu lassen zielt eben genau auf deren Selbstentlarvung ab.
Interessanter sind eigentlich die Gespräche zwischen den Reisezielen im Auto. Das provokant lackierte Fahrzeug, dessen Inneres eher einem Taxi in Beirut ähnelt, unterstreicht, dass es auf dieser Reise keine heiligen Kühe geben kann.

"Rassismus - Die Angst des weißen Mannes vor dem Ausbleiben der Erektion"

Natürlich polemisiert Broder, wie er es immer tut, und bei einigen Witzen bleibt einem das Lachen im Halse stecken, aber er macht sich demokratisch über alle lustig - Araber, Juden, Deutsche, alle bekommen ihr Fett weg! Auch wenn manche Scherze eher einem Selbstzweck dienen, nämlich einfach nur einen Witz zu machen.

"Möchten Sie gegen den Krieg unterschreiben, Herr Broder?" "Ja, aber nur unter meinem Pseudonym (...) Günter Grass, muss ich meine Waffen-SS-Nummer dazutragen?"

Was aber erreichen die Expeditionsteilnehmer mit dieser eigenartigen Serie? Tabus verkleinern? Dafür zu sorgen, dass es politisch korrekt wird über etwas zu lachen, über das gestern noch nicht gelacht werden konnte? Sollen wir uns vielleicht einfach ein bisschen mehr an die verschiedenen Erscheinungsformen des menschlichen Lebens gewöhnen - ohne sie dabei gut finden zu müssen? Geht es einfach nur um Integration und Broder ist ein heimlicher Humanist mit dem Ziel auch über Ernste Dinge zu lachen um die Gräben langsam zuzuschütten, die uns trennen.

"Aus rechtlichen Gründen kann die Serie nicht als Video in der Mediathek angeboten werden"

Auch auf der Internetseite zur Sendung findet man keine ernsthaften Ansätze und Erklärungen, welchem Zweck genau die beiden Protagonisten nachjagen. Aber vielleicht ist es genau das, was sie interessant macht, das offene Konzept.
Alles was Broder und Abdel-Samad zu den Gründen ihre Reise angeben ist unterhaltsam aber unernst. Der Narr, der Künstler, der Satiriker haben das Recht Dinge zu sagen, die dem Normalbürger übel genommen werden. Weil Humor, wie die Kunst in ihren verschiedenen Formen eine Übertreibung oder ein Zerrbild, ein Chiffre ist, in dessen Schatten man sich weiter vorwagen kann.

Die Reaktionen auf die Sendung werden zeigen, ob sie notwendig ist - wenn sich niemand über diese Sendung aufregt sind wir wohl geheilt!

Jedenfalls ist es unterhaltsam!

Service
"Entweder Broder. Die Deutschland-Safari"
ARD - Sonntags nach TTT

Samstag, 13. November 2010

PKK XI - Picasso in Zürich

Die ausführliche Kritik der aktuellen Züricher Picasso-Ausstellung von kunstlich.com mit Bildern und dem üblichen Service findet man hier.

Ausstellungstipp - Aachener Atelierhaus: Collagen von A. NikoPol

Die Abbildung zeigt eine der sieben in Aachen ausgestellten Collagen A.NikoPols, eine Hommage an Max Ernst und dessen - der entarteten Kunst zum Opfer gefallenen - schönen Gärtnerin.

'Majestät brauchen Sonne' bemerkte einer der zahlreichen Berater des deutschen Kaisers im Kontext der Bestrebungen nach deutschen Kolonien. Dem scheint sich nach dem Köhler-Interview nun auch der Polit-Popstar und Verteidigungsminister zu Guttenberg anschließen zu wollen.

Was das alles mit Kunst zu tun hat? Ganz einfach: Das Zitat ist Teil eines Gedichtes von A. NikoPol, der in Kürze seine jüngsten Werke in Aachen präsentiert. Der Besuch lohnt sich auch fernab der ausgestellten Werke, denn lange wird man die wunderbare, zum Kunstort umfunktionierte, ehemalige Klosteranlage nicht mehr sehen können.

Hier vorab ein Auszug aus dem Pressetext:

Der Aachener Künstler A. NikoPol bespielt den Ausstellungsraum des AHA mit dadaistisch anmutenden Papiercollagen und Plastiken. Es handelt sich um eine wohltuend konzentrierte Auswahl von seinen jüngsten Arbeiten.

NikoPols geheimnisvolle Papier- und Plastikcollagen reizen Sinn und Verstand. Es sind scheinbar leichte, spielerisch anmutende Appelle an die Assoziationskraft des Betrachters und weit verzweigte (Kunst-)Geschichten zugleich.

Wer sich dem Dialog mit den Werken stellt, wird mit intellektuellen und ästhetischen Qualitäten belohnt. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit einem Text von Dr. Gerd Mörsch.

Mehr wie gewohnt in Kürze...

Service:
'denn aus Hai-terem Himmel schmecken Schwimmer nicht'
Fotografien, Plastiken und Gedicht von A.NikoPol

Eröffnung:

Sonntag, 14. November, 12 Uhr

Begrüßung: Nadya Bascha M. A.
Einleitung: Dr. Gerd Mörsch

Ausstellungsdauer:
14. Nov. - 20. Dez. 2010

Öffnungszeiten:

Di
- Fr 10-13 Uhr
Sa - So 12-15 Uhr und nach Vereinbarung


Links:
Atelierhaus Aachen
A.NipoPol

Antwort auf K.T. zu Guttenberg

Montag, 8. November 2010

Once in a lifetime!!! PICASSO im Kusthaus Zürich


Man möchte sagen: "solch eine Ausstellung gab es noch nie und solch eine Ausstellung wird auch nie wieder möglich sein!" Von dieser Aussage stimmt jedoch nur der eine Teil, und zwar ist ziemlich sicher, dass solch eine Ausstellung nie wieder möglich sein wird, des Aufwandes, aber vor allem der Kosten wegen - aber: diese Ausstellung gab es schon einmal. Aber damals war es, genau wie heute ein großes Glück, dass sie stattfinden konnte, oder vielmehr handelte es sich ebenso um ein mühsam erarbeitetes Wunder, der Ausdauer einiger zäher
Persönlichkeiten geschuldet:

Kunsthaus Zürich: Picasso, 1932 und 2010

Man Ray, Pablo Picasso, 1933 (Ausschnitt), © Man Ray Trust/2010 ProLitteris, Zürich


1932 gelang es, aufgrund verschiedener Umstände, Picasso und vor allem seine Galeristen dazu zu bewegen einer Einzelausstellung in Zürich zuzustimmen, einer Retrospektive. Grundsätzlich wollte Picasso eine Ausstellung, es gab jedoch nicht viele Möglichkeiten. In den meisten europäischen Ländern wurden keine zeitgenössischen Künstler gezeigt, in Deutschland war die politische Situation zu unsicher und die einzige moderne Institution in den USA war nicht mit den "Bedingungen" einverstanden. Alfred Barr konnte oder wollte die Integrität des gerade eröffneten MoMA nicht kritischem Argwohn aussetzen, indem er eine Ausstellung, die vom Künstler selbst und dem Handel kuratiert wurde, zuließ. Und somit war die Schweiz, das Kunsthaus, mit der Möglichkeit aus der Ausstellung heraus zu verkaufen, wenn auch in der wirtschaftlichen Krise eher die Werbung als der Verkauf im Vordergrund stand, der perfekte Ort für eine Retrospektive. Die für einen lebenden Künstler zudem durchaus unüblich war.


Zwei Jahrhundertausstellungen

Über 200 Gemälde und Plastiken wurden 1932 gezeigt. Von frühen Werken der so genannten "blauen Periode" bis hin zu frisch im Ausstellungsjahr entstandenen
.

Ausstellungsansichten 1932, © Kunsthaus Zürich

Unmöglich, alle gezeigten Werke von 1932 auch heute wieder an einen Ort zu schaffen, aber einen großen Teil und einige wichtige, bezeichnende Werke aus Picassos Œuvre gelang es Tobia Bezzola erneut nach Zürich zu h
olen.

Nicht nur der historische Wert der Ausstellung an sich, als Meilenstein der Kunstgeschichte und der einzelnen Kunstwerke, sondern vor allem der didaktische Wert der heutigen Ausstellung rechtfertigt schon den Aufwand und die Kosten, die das Kunsthaus und Organisatoren auf sich genommen haben. 1932 konnte man es schon erahnen und heute wissen wir, was sich aus dem Gezeigten entwickelte oder entwickeln würde: der so genannte "Stil Picasso".

Der "Stil Picasso"

In der Ausstellung erkennt man die immer so bezeichneten Phasen Picassos (die sich jedoch eigentlich überschneiden, abwechseln und wiederholen), die eher verschiedene Formensprachen sind. Stark zusammengefasst: man erkennt eine figurative, in den klassizistischen Gemälden übertriebene, körperhafte Ausdrucksweise und man sieht beispielsweise in den kubistischen Arbeiten die Dekonstruktion, das Zersplittern, das konzentrieren, verflächigen der Form. Und als drittes zeigt die surrealistische Ausdrucksweise, das verformen, dehnen, schmelzen der Form. In den Werken von 1932, beispielsweise in einem Porträt Marie-Therese Walters, sitzend auf einem Stuhl, lässt sich bereits ein Eindruck erheischen, auf das was Picasso in den nächsten Jahren schaffen wird.
Er verbindet figurative mit kubistischen Elementen und nutzt den Surrealismus als Katalysator, der diese Verbindung erst möglich macht. Die Figur wird nicht mehr nur abgebildet und nicht mehr zerstört oder dekonstruiert, sie wird nun unabhängig von Zeit und Raum aus verschiedenen Perspektiven und auf verschiedenen Verständnisebenen gleichzeitig abgebildet, etwas was nur Picasso tut. Das ist es, wofür er von so vielen geliebt wird und gleichzeitig so viel Unverständnis erntet. Aber eben diese Ambivalenz macht ihn zu einem ewigen Modernen.

Der gelbe Gürtel: Marie-Thérèse
(La ceinture jaune: Marie-Thérèse), 1932
Öl auf Leinwand, 131 x 97 cm
Courtesy Nahmad Collection, Switzerland


Die teuerste Ausstellung des Kunsthauses

Über den Wert sollte man in der Kunst nicht sprechen, vor allem wenn es sich, wie im Falle Picassos, um Fantasiesummen handelt, die jeglichem Vergleich spotten. Auf dem Kunstmarkt würden die meisten ausgestellten Gemälde wohl Preise zwischen 20 und 80 Millionen Euro erreichen. Man kann das schwer schätzen, aber Erfahrungswerte und vorangegangene Auktionen lassen dies vermuten. Bei über 70 Gemälden, 3 Bronzeplastiken und einigen Radierungen lässt sich ein Gesamtwert vermuten, der in die Milliarden ginge, stünden diese Kunstwerke zum Verkauf - Was heute so schamlos klingt, war 1932 im übrigen Usus, dasKunsthaus verkaufte aus den Ausstellungen heraus. Man kann also nur vermuten welch astronomischer Versicherungswert der Ausstellung im Wege stand. Kein Museum der Welt kann solche Summen alleine stemmen. Das bedeutet, es mussten mehrere Versicherungskonzerne zusammen mit dem Kunsthaus und der Credit Suisse diese immensen Werte absichern. Somit lässt sich vermuten, dass diese Ausstellung an einem anderen Ort, oder in einem anderen Museum nicht möglich gewesen wäre.

Mann mit Klarinette (L'homme à la clarinette), 1911/12Öl auf Leinwand, 106 x 69 cmMuseo Thyssen-Bornemisza, Madrid

Es muss den Kurator Tobia Bezzola unglaubliche Überzeugungsarbeit gekostet haben, all diese einmaligen Kunstwerke Ihren Besitzern und Hütern für den Zeitraum der Ausstellung zu entreißen. Hervorgehoben werden muss in diesem Zusammenhang auch das Musée Picasso in Paris, dass scheinbar als einziges Museum das Projekt am Kunsthaus komplett ignorierte und nicht nur durch Abwesenheit sondern vor allem durch Unhöflichkeit glänzt, die weit über die übliche Arroganz französischer Museen, was Leihgaben angeht, hinausgeht.

Sitzende (Frau im Hemd)(Femme assise (Femme à la chemise)), 1921Öl auf Leinwand, 116 x 73 cm Staatsgalerie Stuttgart, Sammlung Steegmann

Es handelt sich um eine "once-in-a-lifetime"-Ausstellung, die jedem (kunstinteressiert oder nicht) eine Gänsehaut beschert. Jeder, der irgendwie die Möglichkeit hat nach Zürich zu kommen, sollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen - man weiß nie, ob diese Werke jemals wieder zusammen zu sehen sein werden.

Service:
eine Vorbestellung beispielsweise über ticketcorner.ch lohnt sich