Donnerstag, 28. Januar 2010

Buchtipp: Stephan Strsembski: Kapitalistischer Realismus. Objekt und Kritik in der Kunst der 60er Jahre


Kapitalistischer Realismus: Unter diesem Schlagwort wurden seit Beginn der 60er Jahre sehr frühe Werke heute weltbekannter Künstler wie Gerhard Richter, Sigmar Polke, Wolf Vostell oder Konrad Lueg ausgestellt und vermarktet.

Der kapitalistische Realismus stellt eine parallele Entwicklung zur US-amerikanischen und britischen Pop Art dar, die, wie die Untersuchung zeigt, als deutsche Spielart von Pop verstanden werden kann. Das Verhältnis ist dabei keineswegs epigonal, sondern kritisch-distanziert. Die Gemeinsamkeit ist die Abwendung von der Tradition der gegenstandslosen Kunst des Informel oder des Abstract Expressionism. Hier wie dort wird die gegenständliche Malerei mit Hilfe alltäglicher Bilder aus Werbung, Zeitungen oder privaten Fotoalben neu erfunden.

Der kapitalistische Realismus ist von seinen Erfindern nach kurzer Zeit ad acta gelegt worden. Und doch wurde der kapitalistische Realismus in der Zwischenzeit vor allem von dem Berliner Galeristen und Kurator René Block, aufgenommen, erweitert, schließlich ebenfalls als gescheitert erklärt. So changiert der kapitalistische Realismus zwischen Scherz, Kunstrichtung und ideologischem Programm.

Obwohl wegen der herausgehobenen Position der beteiligten Künstler (Richter, Polke, Vostell) der kapitalistische Realismus ein weithin bekannter Begriff der jüngeren Kunstgeschichte ist, fallen die tatsächlichen analytischen Betrachtungen im Ergebnis oft weit auseinander und sind zudem weder besonders zahlreich noch ausführlich. Das Buch ist die erste umfassende wissenschaftliche Untersuchung dieser zentralen "Epoche der Mitte-der-60er-Jahre-Kunst" (René Block).

Stephan Strsembski: Kapitalistischer Realismus. Objekt und Kritik in der Kunst der 60er Jahre
276 Seiten, Softcover,
ISBN: 978-3830049197

Erhältlich beim Verlag oder im Buchhandel

Sonntag, 24. Januar 2010

Ausstellungstipp: Roland Gätzschmann - Einzelschritt

Der Kölner Kunstverein Kölnberg e.V. würdigt den Künstler Roland Gätzschmann mit seiner ersten Schau im Jahre 2010. Gätzschmann studierte bis 2006 erfolgreich an der Düsseldorfer Akademie und erhielt zuletzt das Karl Schmidt-Rottluff Stipendium. Als Teaser hier vorab einige Blicke in die Ausstellung. 
 
 








Die Einzelausstellung zeigt großformatige Wandarbeiten, Keramikobjekte und eine Videoarbeit. Schon jetzt kann gesagt werden: Empfehlenswert - daher erscheint hier in Kürze eine ausführliche Besprechung der nur auf den ersten Blick schlichten, letztlich aber beeindruckenden Werke des Künstlers.

 









Vorab ein einführender Auszug aus dem Pressetext von Kurator Jens Mentrup:
''Gätzschmann lässt das Andere, Unerwartete entstehen. Durch die Begrenzung der Medien, die Gätzschmann wählt und die durch die Architektur begrenzte Raumordnung entstehen „autonome Abbildungen“, die nicht um die Verbesserung der Illusion von Abbildung der Realität kreisen. Vielmehr erforschen sie strukturell den Gedanken der Begrenzung eines Potenzials, sowie die Erschöpfung von Potenzial.

 





 



Gätzschmann arbeitet in der Logik des Mediums dem er sich bedient. Hierbei geht es ihm auch um Flüchtigkeit. Er gießt Wachs und macht sich die leichte Verformbarkeit zu nutze. Die Frequenz von 25 Bildern pro Sekunde in der Videoarbeit gibt ihm dem Takt für sein Werk vor. Die Objekte laufen auf eine Öffnung zu. Sie sind glasiert. Der Lichtreflex, der durch die Glasur entsteht, ist nicht Material.

 








Gätzschmann entfernt sich so mit seinem Werk vom Materiellen. Die eigene Logik und Folgerichtigkeit ist immanenter Teil seines Werkes. Aber nur ein „Einzelschritt“.''


Ausstellungsdauer - 20.2.2010
Öffnungszeiten: Do und Fr 18-20 Uhr - Sa 14-18 Uhr

Service/Links:
Kunstverein Koelnberg e.V. - Aachener Strasse 66 - 50674 Köln
Homepage Kunstverein Kölnberg
Homepage Roland Gätzschmann
Pressetext auf art-in.de
Ausstellung in der Simultanhalle Köln

Samstag, 23. Januar 2010

Buchtipp: Lena Nievers - Juan Muñoz

Der überraschend früh verstorbene spanische Künstler Juan Muñoz (1953-2001) zählt zu den bedeutensten europäischen Künstlern des späten 20. Jahrhunderts. Am bekanntesten sind seine vielfigurigen, teils mehrräumigen Installation: Sie faszinieren durch ihre fremdartigen und monochromen Gestalten sowie die ungewöhnlichen architektonischen Konstruktionen.

Barock anmutende, illusionistische Räume und seine unheimlichen wie geheimnisvollen Figuren irriteren den Betrachter. Muñoz konfrontiert ihn mit hinterlistigen Fallen, wie ein hinter einem Handlauf verstecktes, offenes Klappmesser ("first banister", 1987) oder lässt ihn durch eine von ihm selbst so genannte Zwickmühle ("double bind", 2001) irren.

In der ersten umfassenden kunstwissenschaftlichen Untersuchung zum Werk von Muñoz erarbeitet Lena Nievers die charakteristischen Elemente seiner Figur- und Raumkonzeption anhand der wichtigsten Werkgruppen des Künstlers - darunter befinden sich die großen, ephemeren Installationen "double bind", "a place called abroad" und "streetwise" - und entwickelt so die wesentlichen Grundlagen für eine längst überfällige Gesamtinterpretation seines Werkes.

Lena Nievers: Juan Muñoz - Das Verhältnis von Figur und Raum
264 Seiten
Softcover
ISBN 978-3-496014-15-7

erhältlich unter libri.de

Freitag, 22. Januar 2010

Eigenwerbung: punk is said to be dead, but...

Ausgehend von der Ausstellung "rattus norvegicus" im Leopold-Hoesch-Museums in Düren wurde für die Hamburger Sammlung Dahlmann ein Katalog erstellt, der sich auf nur einen Teil der Sammlung konzentriert.

Der Fokus der Publikation liegt auf den Werken und Positionen, die Berührungspunkte mit der Punk-Kultur aufzeigen.


Einzeltexte zu den in der Ausstellung vertretenen 14 Künstlern werden ergänzt durch Untersuchungen über die Tradition der Provokation, des zivilen Ungehorsams, der Auflehnung gegen das Gewohnte und dem Aufbrechen von Denkstrukturen in der Kunst: die Geschichte des Tabubruchs im Design des letzten großen Stellvertreters der Protestkultur - Punk.

Künstler: Tjorg Douglas Beer, Werner Büttner, Zhang Dali, Michael Deistler, Georg Herold, Paul McCarthy, Jonathan Meese, Bjarne Melgaard, Stephan Mörsch, Markus Oehlen, Thomas Rieck, Oliver Ross, Gerd Stange, Thomas Zipp

Mehr Informationen zum Katalog und Bestellung unter: www.kunstlich.com/rattus_norvegicus.html oder über das Museum in Düren.
































Mittwoch, 20. Januar 2010

Ausstellungstipp: Politische Bilder. Sowjetische Fotografien. Die Sammlung Daniela Mrázkowá

Das Museum Ludwig zeigt die kürzlich angekaufte Sammlung der in Prag lebenden Kuratorin und Publizistin Daniela Mrázkowá und dokumentiert damit ein vielschichtiges Bild der jungen Sowjetunion bis 1941.

Einerseits handelt es sich um zeitgeschichtliche Dokumente, die eine Vielfältigkeit und Weitläufigkeit eines Riesenreiches zeigen, andererseits wird politische Propaganda ausgestellt, die weit über die Grenzen der Sowjetunion hinaus wahrgenommen wurde. Zugleich werden künstlerische Tendenzen und Techniken in der Fotografie vermittelt, deren Bedeutung dem Publikum nicht unbedingt bewusst ist.

Aber im Einzelnen: Die Sowjetunion hatte nach der Revolution eine vergleichsweise hohe Analphabetenquote von ca. 68% (1920). Parallel zur rasanten Entwicklung in der Fotografie, die es zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erlaubte, unter relativ einfachen Bedingungen zu fotografieren und zu entwickeln, entstand erstmals eine Situation, die es ermöglichte, politische Propaganda vor allem über die Fotografie zu betreiben. Zunächst in Schaukästen und relativ bald über Zeitschriften und Illustrierte konnte jedermann in der Sowjetunion erreicht und beeinflusst werden.

Die Leistungen der arbeitenden Bevölkerung konnten im ganzen Land vermarktet werden. Ambitionierte Großprojekte, wie der Bau von Staudämmen und Eisenbahnlinien wurden ebenso ins allgemeine Interesse gerückt wie die Schicksale einzelner Personen und Familien. Eine Reportage über die Arbeiterfamilie Filipow wurde gar in der deutschen Arbeiter-Illustrierten-Zeitung veröffentlicht und zeigte wie gut die "durchschnittliche moskauer Arbeiterfamilie" lebte. Mit moderner Wohnung, Datscha und Freitzeitclub wurde die Überlegenheit des Systems demonstriert.

Andererseits finden sich in der Sammlung Daniela Mrázkowáauch Fotografien, die von essenziellen Meinungsverschiedenheiten über den Einsatz der Fotografie zeugen. Bilder beispielsweise Rodschenkos, die nicht dem "Sozialistischen Realismus", sondern eher künstlerischen Mitteln huldigten, wurden nicht verstanden und teilweise stark kritisiert.

Einen Strommast beispielsweise in der Untersicht zu fotografieren ist heutzutage nichts ungewöhnliches und ein künstlerisches Mittel, dass einem bestimmten Zweck dienen kann. In den zwanziger Jahren wurden jedoch Überblendungen und perspektivische Kunstgriffe mindestens nicht verstanden oder gar angefeindet. Der Betrachter erkannte gar nicht um welches Motiv es sich handelte oder befand, es müsse sich um einen Fehler des Fotografen handeln.

Die Dimension der Pionierleistung, die von diesen frühe Fotografen geleistet wurde, welche mit den Sehgewohnheiten der Menschen brachen und somit ihren Horizont erweiterten, ist kaum zu ermessen. Fazit: Eine Ausstellung, die nicht nur die Fragen nach dem "Was", "Wie" und "Wann" stellt sondern vor allem das "Warum" angeht, ohne viel Aufhebens zu machen. Empfehlenswert.

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Links Service

Museum Ludwig Köln
23.10.09 - 31.01.10

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag (inkl. Feiertage): 10 – 18 Uhr und jeden ersten Donnerstag im Monat von 10 – 22 Uhr, montags geschlossen

Dr. Bodo von Dewitz (Kurator)

Webseite des Museum Ludwig zur Ausstellung

Webseite des Museo Nacional Reina Sofia zu einer Konferenz im Rahmen der Ausstellung über Arbeiterfotografie der 20er und 30er Jahre

Informationen zur Ausstellung im MNCARS auf kunstlich.com

Montag, 18. Januar 2010

Ausstellungstipp: Was nicht passt, wird passend gemacht


Kunst spielerisch entdecken – Die Kölner Ausstellung ’Autotheater’ von Franz West


Baumaterialien und Neurosen. Der Künstler Franz West liebt Provokationen und ungewöhnliche Verbindungen. Seine Kunstwerke sollen wie Prothesen, Kleidung oder Möbel benutzt werden und verwirren mit scheinbar einfachen Titeln und undefinierbaren Formen. Der listige Kunst-Schelm hat sein Werk in Köln selber inszeniert. Kein Wunder - Kaspar König zeigte Wests Passtücke bereits zu Beginn der 1980er in Köln.

Das Kölner Museum Ludwig widmet dem 62jährigen Künstler Franz West die erste große Retrospektive in Europa. Ein vielseitiger Parcours mit Arbeiten von 1972 bis heute, der einen guten Überblick auf das Werk des österreichischen Enfant terrible bietet. West ist dank seines subversiven Humors und spektakulärer Aktionen bekannt. In Wien goss er 2001 rosa Lack auf einen schicken Maserati und verwandelte ihn auf deisem Wege in eine Autoskulptur - Bild- und Kronenzeitung schlachteten den Kunstskandal genüsslich aus. So oder ähnlich provoziert West immer wieder gerne Fragen nach dem Wesen und Sinn von Kunst.

Kunstbetrachtungen

Die Ausstellung beginnt mit einer Installation, die an ein Möbellager erinnert. Der Besucher wird von den West-typischen, kargen Metallbänken empfangen, die mit bunten Stoffen belegt sind und Kunstkennern seit seinem docementa-Beitrag vertraut sind. Ein verwirrender wie entspannter Auftakt. Links und rechts von den Sitzmöbeln laufen Videos. Von den Bänken aus fällt der Blick in den Empfangsbereich. Die Besucher des Museums scheinen im Zentrum zu stehen. West lädt zum Beobachten des Publikums ein - Selbstreflexion oder Voyeurismus?

Ungewöhnliche Annäherungen - Neurosen werden Plastik

Im nächsten Raum wird deutlich, dass Wests Werke auf neugierige und aktive Besucher warten. Von der Decke hängen ringförmige "Passstücke", die man sich über Kopf und Oberkörper stülpen kann. Damit keine Missverständnisse entstehen, signalisiert eine schwarze Hand an der Wand, dass es sich um Werke handelt, die benutzt werden sollen. Kunst und Mensch passen sich einander an, entwickeln eine körperliche Beziehung. Der freie Umgang war und ist die Besonderheit der "Passstücke", mit denen West seit den 1980er Jahren bekannt wurde. Ziel ist ein unbefangenes Spiel.

Bitte keinen Abstand halten - Berühr mich!

West strebt nach einem aktiven Dialog zwischen Kunst und Mensch. Seine "Passtücke" und Möbelskulpturen sollen benutzt werden und brechen mit der Tradition. Kunst gilt als kostbar und fragil, sie soll nicht berührt werden. Absperrungen, Linien auf dem Boden oder Aussichtspersonal sorgen für den gewünschte Distanz. Diese Tradition des Kunsterlebens ist so tief in den Köpfen der meisten Menschen verankert, dass sich trotz der Aufforderungen auch in Köln kaum jemand traut, die Objekte zu berühren.

Demokratische Kunst

Die "Passstücke" erinnern an die Fluxus-Bewegung der 1960er und 1970er Jahre, die einen spielerischen und demokratischen Umgang mit Kunst suchte. Dieser Ansatz zeigt sich auch an den möbelartigen Objekten, die West seit den 1980er Jahren schafft. Er baut seine Möbelskulpturen aus billigem Material wie Baustelleneisen und Sperrholz. Grenzen zwischen Design und Kunst verschwimmen. So wie die "Kantine" (1998) genannte, aus schlichten weißen Tischen und Stühlen bestehende Installation, die - um einen pinkfarbenen Phallus gruppiert - einmal das Café im Kölner Museum möblierten. Doch die harten Sitzflächen und rauhen Kanten der Möbel wollten sich dem Café-Gästen nicht so recht anschmiegen und wurden schließlich gegen langweilige Standardware ausgetauscht. Der Titel "Kantine" führt bewusst in die Irre. "Die Bezeichnung (…) ergibt sich aus dem ins Weibliche transmutierten Namen Kant…", erklärt West listig auf einem Plakat. Philosophen haben es dem Künstler angetan, sein Werk ist voller Referenzen an deren Ideen und Konzepte.

Remix

West kreuzt Hoch- und Alltagskultur, Spiel und Ernst miteinander. Stühle sind Skulpturen und Kommoden werden Sockel für Skulptur. Spielerisch überwindet er so Grenzen zwischen angewandter und bildender Kunst. Neben feinsinnigen wie derben Humor ist vor allem Irritation Programm: "Treten Sie hinter den Paravant, entkleiden Sie sich und legen Sie das Gewand auf den Sessel. Bleiben Sie 5 Minuten so und verhalten Sie sich nach eigenem Ermessen" lautet die "Anleitung" der Installation "Ohne Titel" (1989).

Ist das Kunst, fragt die Boulevardpresse stellvertretend

Die Kölner Ausstellung gleicht einem listigen Verwirrspiel. Wie ernst man die Worte Wests nimmt, bleibt jedem überlassen. Als subtiler wie ironischer Hinweis auf diese Freiheit erscheinen die auf den Tischen der "Kantine" liegenden Kartenspiele. Wer mit der Kunst nichts anzufangen weiß, kann Karten spielen.


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Links/Service:


Museum Ludwig Köln


Wikipedia über Franz West


FranzWest.at - Atelier + Archiv


art - kunstmagazin online-Rezension Almuth Spiegler


Die Kölner Ausstellung läuft noch bis zum 14.03.2010.


Öffnungszeiten:

Dienstag bis Sonntag (inkl. Feiertage): 10 – 18 Uhr

jeden ersten Donnerstag im Monat: 10 – 22 Uhr

montags geschlossen


Die Ausstellung wird im Mai 2010 im Museum Madre in Neapel und anschließend ab September 2010 im Kunsthaus Graz zu sehen sein.