© Gerd Mörsch
In der Frankfurter Schirn Kunsthalle läuft eine interessante Schau zum Thema Privatsphäre. Vom Ende des Doppellebens nennt Ulrike Knöfel ihre Rezension der Ausstellung. Kaum überraschend ist das Fazit der Autorin, derzufolge sich der Begriff des Privaten auflöst. Spannender ist jedoch die Frage, ob wir diese Tendenz als befreiend oder bedrohlich empfinden sollten.
Indirekt haben wir - kunstlich.com - dieses Thema schon oft behandelt (siehe hier) und spätestens mit dem inzwischen legendären Zitat des umstrittenen Mark Zuckerberg - Privatheit ist eine obsolet gewordene soziale Norm - dürfte es bei den meisten angekommen sein.
Leider denken viele, wie es Zuckerberg und Co. so oft formulieren: Ich habe nichts zu verbergen und daher habe ich keine Angst vor dem Ende der Privatheit. Bis zur damit verbundenen totalen Überwachung ist es nicht mehr weit.
Was hätten Autoren wie Orwell oder Bradbury zu Zuckerberg und seinen Thesen gesagt?
Es ist schon seltsam: Die noch vor wenigen Jahrzehnten in Dystopien ersonnenen elektronischen (oder wie auch immer gearteten) Fußfesseln, die der totalen Überwachung und dem Erhalt ebensolcher totaler Systeme dienten, werden heute teuer auf dem freien Markt angeboten und der vermeintliche freie Konsument begibt sich selbst freiwillig in sein unfreies Schicksal.
Post-Privacy oder vom Lauf der Zeit als übermächtigen Gegner
So schreibt Melanie Mühl für die FAZ und liest die Ausstellung als Warnung. Knöfel wählt die Werke von Billingham und Emin, deren noch vor wenigen Jahrzehnten irritierende Kunst eine Frage implizierten, die bis heute unbeantwortet geblieben sei: Ist die Idee, dass das Private seine Bedeutung verliert, eine befreiende oder eine bedrohliche?
Es war einmal: Schlüssellochspionage und Gardinenverbot
Wieder zeigt sich das avantgardistische Potential der Kunst. Denn nur wenige Jahre vor Reality-Shows und Formaten wie Big Brother verstörten Werke wie Emins Bett noch das Publikum - von Warhols frühen Werken mal ganz abgesehen. Während es heute scheinbar keine intimen Szenen aus dem Privatleben mehr gibt, die man nicht in TV-Formaten oder Internet findet.
Und die Moral der Geschichte?
Knöfels Kommentar endet mit den oft paradiesisch anmutenden Fotografien des New Yorker Künstlers Ryan McGinley. Junge Menschen klettern nackt wie in Hesses Zeiten, laufen ebenso über Autobahnen oder springen in idyllisch anmutende Flüsse.
Trotz der nicht ausgeklammerten, auf den zweiten Blick sichtbaren Schattenseiten des vermeintlichen Hippie-Kultur erkennt die Autorin in ihnen eine Vision: ''Das ideale Privatleben könnte einem das Gefühl von Freiheit vermitteln.''
© Ryan McGinley
Courtesy of the artist, Alison JacquesGallery, London, Team Gallery, New York, und Bischoff Projects, Frankfurt
Courtesy of the artist, Alison JacquesGallery, London, Team Gallery, New York, und Bischoff Projects, Frankfurt
Fakten / Hintergrund:
Die Ausstellung zeigt Werke von Ai Weiwei, Michel Auder, Merry Alpern, Evan Baden, Richard Billingham, Mike Bouchet, Stan Brakhage, Sophie Calle, Tracey Emin, Hans-Peter Feldmann, Nan Goldin, Christian Jankowski, Birgit Jürgenssen, Edgar Leciejewski, Leigh Ledare, Leo Gabin, Christian Marclay, Ryan McGinley, Jenny Michel und Michael Hoepfel, Marilyn Minter, Gabriel de la Mora, Mark Morrisroe, Laurel Nakadate, Peter Piller, Martha Rosler, Jörg Sasse, Dash Snow, Fiona Tan, Mark Wallinger, Andy Warhol, Michael Wolf, Kohei Yoshiyuki, Akram Zaatari.
Service:
Schirn Kunsthalle Frankfurt
Römerberg
60311 Frankfurt
Tel 069.29 98 82-0
welcome@schirn.de
Link zur Ausstellung
Öffnungszeiten:
Dienstag, Freitag – Sonntag: 10–19 Uhr
Mittwoch & Donnerstag 10–22 Uhr
Eintrittspreise:
7 €, ermäßigt 5 €,
freier Eintritt für Kinder unter 8 und Kinderkunstclubmitglieder
Familienticket14 €
Ermäßigung gilt für Studenten, Schüler, Senioren, Schwerbehinderte mit Begleitpersonen und Arbeitslose.
Fragwürdig:
Leider gibt es keine Chance die Ausstellung kostenlos zu sehen, wie es viele Institutionen zumindest einmal im Monat anbieten. Außderdem: Die Ermäßigung für Senioren gilt für Frauen ab dem 63. und Männer ab dem 65. Lebensjahr.
Rezensionen:
- Der Spiegel 44/2012: Knöfel, Ulrike: Ende des Doppellebens
- FAZ 1.11.2012: Melanie Mühl: Wer soviel Ich ist, weiß nicht, wer er ist
- FR-Interview mit Edgar Leciejewski
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