General Idea: Nazi Milk, 1979/1990, Foto: Sammlung Gaby und Wilhelm Schürmann
Haben private Sammler einen anderen Blick auf die zeitgenössische aktuelle Kunst als professionelle Ausstellungsmacher?
Können sich die klammen Museen eigentlich noch zeitgenössische Kunst leisten oder umgekehrt - haben sie gerade jetzt nach der Krise ungeahnte Möglichkeiten?
Die Bonner Ausstellung zeigt in einer bisher noch nie gezeigten Fülle die Vielfalt der jüngsten Kunstproduktion - und das alles (nur) anhand von Werken aus Privatsammlungen: Metapher für die knappen öffentichen Ankausétats oder Clou? 145 Werke von 57 Künstlern, die meist in den 1960er und 1970er Jahren geboren wurden, kommen aus 15 privaten Sammlungen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Nur die zweifelsfrei interessanten Werke von Hannah Hoech und Vito Acconci (Dokumentationen seiner düsteren Performance Claim aus dem Jahr 1971) fielen etwas aus dem Rahmen und störten das Konzept Kunst des 21. Jahrunderts ein wenig. Warum eigentlich?
Tino Seghal - der gerade in New York geehrt wird - lässt in Bonn knackige Jungs und Mädels für den Besucher strippen
Ein spannendes Experiment war Tino Seghals Aktion 'selling out' (2002): Eine attraktive junge Dame und ein fescher junger Herr, die listigerweise als Museumspersonal verkleidet - immer dann wenn keine Kinder in der Nähe sind - mal eben einen Striptease für die Besucher hinlegen. Die Performance erschien zumindest während der Preview auch wie eine Metapher für das oft beklagte Abhängigkeitsverhältnis zwischen Museum und Sammler.
Auf Nachfrage bekundeten die Darsteller, dass es sich um eine Choreografie Seghals handelt, doch die Wahl der Unterwäsche blieb ihnen überlassen. Diese im 21. Jahrhundert eigentlich nicht mehr besonders spektakuläre Aktion irritierte einige der Ausstellungsbesucher in Bonn derart, dass sie sich genötigt sahen, ihre Gedanken dem Gästebuch oder dem verständnisvollen, 'echten' Aufsichtspersonal mitzuteilen. Es soll auch Versuche gegeben haben, Hilfe für die vermeintlich geistig verwirrten Museumswärter zu holen. Doch zurück zum Konzept der Ausstellung, die sich als Beginn einer Ausstellungssreihe versteht.
Sammler und Museum: Beziehungsgeschichten fernab vom Finanziellen?
Zyniker zweiflen, ob Ausstellungen wie diese nicht nur eine gigantische Wertsteigerungmaßnahme für Privatsammlungen sind, weil die gezeigten Werke museal geadelt später mehr wert ist - also das berühmte Privat-Parken von Kunst? Aber nein, Klischees helfen hier auch nicht mehr weiter. Denn das Ziel der Ausstellung ist durchaus auch der Dialog zwischen Institution und Sammler, fernab von Beschwerden über listige Leihgaben - postmoderne Danaergeschenke - und Schäden an ausgeliehenen Werken.
Denn was wäre, wenn die Sammler ihre Tempel - ob in Berlin, Hamburg oder Düsseldorf - nicht bauen, sondern ihre Kunst einfach verscherbeln oder gar an potente 'ausländische' Museen und Investoren verkaufen? Es gibt eben viele Graustufen zwischen vermeintlich humanistisch motivierten Mäzenatentum und extrovertiert-egozentrischer Sammelleidenschaft.
Aber warum der Titel "Neugierig"?
Die Bonner Antwort erscheint recht beliebig: "Die Ausstellung bietet einen konzentrierten Einblick in zentrale Fragestellungen der zeitgenössischen Kunst und gibt einen Ausblick auf die bildende Kunst der kommenden Jahre. Sie dient als Reflexionsfläche, als ein Ort des Nachdenkens, und für dieses Angebot ist Neugier – auch auf Seiten des Betrachters – eine der besten Voraussetzungen." Diese Formulierung ("auch auf Seiten des Betrachters") scheint fragwürdig und dürfte so manchen Beuys-Schüler auf die Palme bringen. Darf denn der Mann und die Frau von der Straße noch ins Museum, möchte man fragen.
Eine konfliktreiche wie fruchtbare Beziehung - Kunst zwischen Sammler und Museum
Die neue Ausstellungsreihe in Bonn stellt interessante wie heikle Fragen nach dem Verhältnis und dem Potential der Beziehung zwischen Privatsammler und Museum. Ein ungleiches Paar, eine Hassliebe? Es sind Fragen nach den Trägern und dem Wesen historischer Kontinuität bzw. Traditionen. Wer bestimmt heute, was ins Museum einzieht und der Tradition gemäß als 'Hochkultur' gelten darf?
Belebt die Konkurrenz mit den privaten Museen letztlich vielleicht sogar das (Kunst-)Geschäft, ganz zum Vorteil des überall beliebten Konsumenten, weil die verstaubten Museen von den schneidigen Sammlern sich ja was abgucken können? Dass Konkurrenz das Geschäft belebt, kann sicher nicht bestritten werden. Aber wie steht es um die Fairnis zwischen öffentlichen und privaten Institutionen im Kunstgeschäft?
'Kunst will gesehen werden, sonst ist das ja nur Farbe bzw. Material auf 'nem Bildträger' - so ein Sammler im Gespräch
Auch Fragen nach den Orten der Öffentlichkeit (als Privatmuseum bzw. collectors room versus öffentliche Kunstinstitution) sowie der globalen Kultur-Konkurrenz im 21. Jahrhundert ergeben sich. In diesem Sinne sollen künftig regelmäßig bedeutende private Sammlungen aus Deutschland und ganz Europa eingeladen werden. 'Dies entspricht dem Auftrag der Bundeskunsthalle, ein Schaufenster der Kunstlandschaft und ihrer zukunftsweisenden Faktoren zu sein' heisst es stolz in Bonn.
Die Zukunft - das Museum ohne Sammlung bzw. gnädig vom Sammler geliehenen Werken?
Doch auch fernab von jeder kunsttheoretischen bzw. soziologischen Debatte um das Verhältnis zu und der Macht von Privatsammlern ist die Ausstellung ein absolutes Muss für alle, die wissen wollen, welche Positionen sich in den letzten Jahren erfolgreich vermarktet haben. Die Ausstellung gibt viel zu denken und bietet einen einzigartigen, quasi intimen Blick in Privatsammlungen von zeitgenössischer Kunst - in dieser Fülle eine seltene Gelegenheit.
Welche von diesen Positionen sich in 50 Jahren noch im kollektiven Kultur-Gedächtnis oder gar in einem (öffentlichen) Museum befindet, wird sich zeigen, darum spricht man ja auch von Kunstgeschichte.
Siehe dazu auch Karlheinz Schmid in der Kunstzeitung (3/2010) und seinem Artikel 'Privates und öffentliches Sammeln: Wie wird man 2099 im Rückblick die Kunst von heute beurteilen.'
Service:
Bundeskunsthalle
Der Generalanzeiger aus Bonn über den "Kunstgipfel"
Die Sammlungen:
About Change, Collection
Sammlung Boros
Sammlung Evergreen Berlin
Sammlung Falckenberg, Hamburg
Collection Antoine de Galbert, Paris
Collection Marc et Josée Gensollen, Marseille
Sammlung Goetz
Sammlung Haubrok
Sammlung KiCo
Sammlung Paul Maenz, Berlin
Olbricht Collection
Privatsammlung Köln (DuMont-Schütte)
Sammlung Ringier, Schweiz
Sammlung Gaby und Wilhelm Schürmann
Julia Stoschek Foundation e.V.
Die Künstler:
Vito Acconci, Doug Aitken, Heike Baranowsky, Hubert Becker, Karla Black, John Bock, Carol Bove, Birgit Brenner, Anthony Burdin, Patty Chang, Jake und Dinos Chapman, Hanne Darboven, Nathalie Djurberg, Cheryl Donegan, Sam Durant, Marcel Dzama, Cao Fei, Fischli/Weiss, Richard Fleischer, Ceal Floyer, Gelitin, General Idea, Wade Guyton, Guyton\Walker, Philippe Halsman, Diango Hernandez, Hannah Höch, Pierre Joseph, William Kentridge, Kitty Kraus, Michael Kunze, Alicja Kwade, Lisa Lapinski, Mark Leckey, Daniel Lergon, Lucy McKenzie, Alex McQuilkin, Lorna Macintyre, Kris Martin, Mathieu Mercier, Hans Niehus, Paulina Olowska, Roman Ondák, Pavel Pepperstein, Raymond Pettibon, Peter Piller, Seth Price, Thomas Scheibitz, Tino Sehgal, Katja Strunz, Vibeke Tandberg, Mathilde ter Heijne, Mario Garcia Torres, Jens Ullrich, Cathy Wilkes, Johannes Wohnseifer, Aaron Young
1 Kommentar:
Very Interesting!
Thank You!
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