Sonntag, 10. Februar 2013

Ongoing process: On time, Baustelle: Über die Zeit

Kronos mit der Sichel bewaffnet, in: Dr. Vollmers Wörterbuch der Mythologie aller Völker, 3. Auflage, Stuttgart 1874, S. 406-407

Schon in letztem Jahr hatten wir angekündigt, uns dem Thema Zeit zu widmen. Ja, ja, entschuldigend sei angemerkt, dass wirklich wichtige Dinge dazwischengekommen sind. Aber nun endlich ist die Zeit dafür gekommen - oder sollten wir besser sagen, wir haben sie uns genommen..
 
Als neudeutsch teaser oder auch guten alten Köder findet man an dieser Stelle vorab schon einmal einige paar historische Illustrationen zum Thema Zeit. Personifiziert bekannt als Kronos oder Chronos und in deren Folge auch der Sensenmann. 

Vom chronischen Zeitmangel

Der Name ist schon in der antiken Volksetymologie, also sehr früh, dem hier zu beklagenden Phänomen zum Opfer gefallen, keine Zeit (zum Nachdenken...). Kronos wurde mit dem Zeitgott Chronos (Χρόνος) gleichgesetzt, was aber nicht nur etymologisch falsch ist. Ursprünglich waren es zwei verschiedene Götter, die im Laufe der Zeit - bzw. aufgrund des Mangels eben jener - miteinander verschmolzen.

Kastration und Kindermord

Seit Hesiod ist jener der erste Sohn Gaias, auch ein Name, der in letzter Zeit im Kontext der Nachhaltigkeitsdebatten wieder en vogue ist. Die gute alter Mutter Erde stiftete ihren Sohn Kronos an, seinen tollwütigen, triebgesteuerten Vater zu entmannen. Wen wundert es da, dass dieser intregante Junior später nicht weniger toll wütet und seine Kinder auffrisst. Doch davon soll hier eigentlich garnicht die Rede sein.


Kronos, Kupferstich, 160 x 95 mm, in: Epitome Rerum Romanarum / Florus, Lucius Annaeus, Giessen, 1741, Frontispiz.
Quelle: PPO

Nach den Mythen der Orphiker dagegen erzeugte Chronos als Schöpfergott, der selbst unter mysteriösen Umständen aus dem dunklen Chaos entstanden war, aus dem Aither - wiederum durchaus dem heute bekannten Äther verwandt - das silberne Welten-Ei. Um an dieser Stelle aber nicht in der Huhn-Ei-Debatte zu verschwinden und zum Thema - der Zeit - zurück zu kommen, nehmen wir uns vorher einfach noch ein wenig von jener...

Le Serpent et la Lime / Charles Monnet [Illustr.]. Etienne Fessard [Stecher]. C Monnet. in. del. ; St. Fessard. sculp. 1768.; St. Fessard. sculp. 1768. [Sign.]. Kupferstich 59 x 80 mm, In: . - Paris, 17XX. - (Fables Choisies. 3 / La Fontaine, Jean de). - Bd. 3. - S. 33,
Quelle: PPO

Die Zeit erhebt die Menschheit aus der Tiefe zum Licht / Franz Ludwig Catel [Illustr.]. Abraham Jacobcz Hulk [Stecher]. Gezeich.t von Catel à Berlin. Gestoc.n under Direc.n von Hulk à Paris. Gedruckt von Dufour. [Sign.]. Abraham Jacobcz Hulk; Dufour [Drucker]. Kupferstich,koloriert,105 x 71 mm, in: Historisches Bilderbüchlein oder Weltgeschichte. - Braunschweig, 18XX. - Sämmtliche Kinder- und Jugendschriften. 16 / Campe, Joachim HeinrichBd. 16., Frontispiz.
Quelle: PPO

Und das ist garnicht so leicht, obwohl zahlreiche Denker dies - eigentlich schon lange bzw. immer ? - proklamieren. Sich Zeit zu nehmen, fordert auch der Psychologe Stephan Grünenwald in seinem jüngst erschienenen Buch Die erschöpfte Gesellschaft. Der Autor erwähnt das allseits bekannte Hamsterrad, spricht von kafkaesker Krisenpermanenz und scheint uns allen damit aus der Seele zu sprechen. Uns allen oder spricht auch hier nur der Zeitgeist über die Zeit?

Vom Verlust der schöpferischen Substanz


Grünewald rät in zu weniger Rettungssirtakis - im politischen wie privaten Leben? - und fordert mehr Werbeunterbrechung. Das berühmte Augen zu und durch, Papas Faust in der Tasche, das zeitgemäße Burn-Out-Abzeichen oder nicht doch eher ein Stempel? Die Flucht in die Überbetriebsamkeit, die Idee des Leistens, um sich zu spüren ist nicht nur in den Fitness-Studios offensichtlich. 

Mehr nächtliche Narrenfreiheit des Geistes!


Auch die nehmen wir uns nun konsequenterweise erstmal und berichten bald weiter...




Service:
- Stephan Grünewald: 
Die erschöpfte Gesellschaft
Warum Deutschland neu träumen muss
Campus Verlag 

2013 
WDR3-Interview hier
- Der katholische Sozialethiker Friedhelm Hengsbach ruft dazu auf, Zeitrebell zu werden. Nachlesen und -hören 
DLF-Interview hier...

Donnerstag, 7. Februar 2013

Museumsmeditation

Sauber und schlicht - Ausblick des Gästezimmers von Gregor Schneider in Berlin.
© Gerd Mörsch 

Wer sich in Berlin - wo momentan ja wieder der Berlinale-Stress herrscht - einfach mal eine Auszeit gönnen möchte oder diese gar dringend braucht, sollte in den Hamburger Bahnhof fliehen. Denn dort - im linken Flügel hinter Beuys - befindet sich das Gäste-zimmer des für seine mitunter unheimlichen Räume bekannten Künstlers Gregor Schneider. 

Das Zimmer stammt eigentlich aus Rheidt, seiner Heimatstadt bzw. aus dem wohl bleiverseuchten Elternhaus des Künsters, das er über Jahre in ein matrjoschka-labyrinthartiges Environment verwandelte. Das ganze Haus bzw. große Teile davon hatte Schneider 2001 unter dem Titel Totes Haus u r in den Deutschen Pavillon in Venedig gesetzt und war spätenstens damit Teil der jüngeren Kunstgeschichte geworden.

Einschließen erlaubt - Bitte nicht zu lange 

Doch im Gegensatz zu Santiago Sierra - der auch schon mal einen kubusartigen Raum im Museum ausstellte und Besucher dazu einlud, sich darin eine Weile zurückzuziehen, ohne dass diese von der somit ermöglichten, temporären und von Sierra gewünschten Gefangennahme durch die Museumswärter wußten - ist der Schlüssel im Berliner Gästezimmer innen. 
  
Tagsüber im Museum

Wer will kann sich dort also nun in aller Ruhe mal einschließen und - wieder im Gegensatz zu Sierra - sogar sein Telefon mit reinnehmen und Mama anrufen. Doch natürlich ist die Atmosphäre in Schneiders Raum nicht mit jener in Hollywoods Museumsnächten zu vergleichen, auch wenn man das Licht ausmacht. Und trotzdem dürfte es ein Heidenspaß sein, einen Aufenthalts-Rekord in Schneiders Raum aufzustellen. Das schlichte Gästebett übrigens ist recht bequem... 

Service:
Invalidenstraße 50-51
10557 Berlin
Tel. 030 - 3978 3411

Öffnungszeiten:
Di - Mi  10:00 Uhr - 18:00 Uhr
Do        10:00 Uhr - 20:00 Uhr
Fr         10:00 Uhr - 18:00 Uhr
Sa - So 11:00 Uhr - 18:00 Uhr

TIPP Museum Küppersmühle, Duisburg




Wer das Museum Küppersmühle in Duisburg noch nicht kennt, für den wird die Sammlung eine Überraschung bereithalten.
Gezeigt wird eine kleine (weil teilweise sehr großformatige) Auswahl an emblematischer Nachkriegskunst, vor allem deutscher Künstlergrößen.

Das Gebäude ist vielleicht aus aktuellen Meldungen bekannt, da sich ein geplanter Erweiterungsbau seit ca. anderthalb Jahren im Baustopp befindet und nicht nur die Gemüter der Duisburger erhitzt. Es geht um Millionen die verplempert und abgeschrieben werden und es dem Durchnittsmuseumsbesucher einen Besuch nicht umbedingt sympathischer macht.


© Museum Küppersmühle, Foto: Iven Paschmanns

Dennoch: das Museum in seiner heutigen Form ist in jedem Fall eine Reise wert und die Sammlung verdient sicherlich einen Erweiterungsbau. Über die Umsetzung ist zu streiten.
Es sind relativ wenige Werke auf den beiden oberen Etagen zu betrachten, wobei zusätzlich die untere Etage wechselden Ausstellungen vorbehalten ist. 
Die Architektur der ehemaligen Mühle ermöglicht es sehr großformatige Werke, beispielsweise Pencks oder Kiefers auszustellen. 

© Georg Baselitz, Museum Küppersmühle, Foto: Iven Paschmanns

Die qualitative Hochwertigkeit der Sammlung macht dieses Museum zu einem perfekten Ort, die großen deutschen Nachkriegskünstler auf einen Blick zu sehen. Die Sammlung verfügt über Werke von Georg Baselitz, Joseph Beuys, Hanne Darboven,  K.O. Götz,  Candida Höfer,  Rebecca Horn, Jörg Immendorff, Anselm Kiefer, Markus Lüpertz, Blinky Palermo, A.R. Penck, Otto Piene, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Emil Schumacher, Rosemarie Trockel und zahlreichen anderen Künstlern.

© Hanne Darboven, Museum Küppersmühle, Foto: Iven Paschmanns


© Anselm Kiefer, Museum Küppersmühle, Foto: Iven Paschmanns


© Anselm Kiefer, Museum Küppersmühle, Foto: Iven Paschmanns


© Gerhard Richter, Museum Küppersmühle, Foto: Iven Paschmanns


© Museum Küppersmühle (Treppenhaus), Foto: Iven Paschmanns



© Anselm Kiefer, Museum Küppersmühle, Foto: Iven Paschmanns

Service:
Mi 14-18 Uhr
Do / Fr / Sa / So 11-18 Uhr
Feiertags 11-18 Uhr
Mo / Di geschlossen 
Sammlung: 6 €
Wechselausstellungen: 4 €
Gesamtes Haus: 8 €
Ermäßigt: 4 €
Gruppen ab 10 Personen: 4 €

EXTRATipp: Nach dem Museum "Zur Laterne" in der Duisburger Innenstadt einen Pferdesauerbraten (für Reiter gibt es auch zahlreiche Alternativen) genießen.